Das Vorarlberger Landestheater zeigt mit „Unter Verschluss“ des katalanischen Autors Pere Riera ein hochaktuelles politisches Stück. Die Inszenierung bietet mit kleiner Besetzung auf reduziertem Raum eine intensive Auseinandersetzung mit Themen und Methoden, die uns im laufenden Nationalrats-Wahlkampf schmutzkübelweise entgegengeschüttet werden, wenn wir Internet, Fernsehen oder Radio auch nur einschalten.

Dietmar Steinmair

Die Top-Journalistin Silvia Utgés (gespielt von Judith van der Werff) bereitet sich auf ein Interview mit Präsident Víctor Bosch (Christoph Jacobi) vor, das landesweit ausgestrahlt werden soll. Utgés ist leicht nervös, will sie doch den Präsidenten mit der Tatsache konfrontieren, dass dieser eine sexuelle Beziehung mit einer Minderjährigen hatte. Cáceres (Timo Weisschnur), Pressesprecher des Präsidenten, ist schon vor Ort und verwickelt die wartende Journalistin in ein Gespräch. Nachdem Utgés dem jungen Mann während der Verbalfechterei für einen kurzen Augenblick etwas tiefer in die Augen geschaut hatte, reagiert Cáceres mit breitem Teflon-Grinsen sofort: Er erklärt der verdutzten Journalistin, dass er niemals gedacht hätte, dass sie - attraktive Frau und knallharter Profi - ihn hier an Ort und Stelle verführen wolle. Utgés ist mindestens ebenso perplex wie das Bregenzer Publikum, doch Cáceres spielt seine Rolle weiter. Bald wird klar: Der Pressesprecher weiß, was die Journalistin vorhat. Seine Attacke, in der er sich als Opfer sexueller Belästigung geriert, hat allein den Zweck, die Gegnerin seines Chefs aus dem Konzept zu bringen. Cáceres agiert geradezu teuflisch. Bis zum Ende des Stücks setzt er seine Unterstellungen und Täter-Opfer-Verdrehungen fort.

Fataler Anruf
Inzwischen trifft Präsident Bosch ein. In das übliche Geplänkel im Vorfeld von Live-Sendungen bricht der Telefonanruf von Utgés‘ Mann. Die gemeinsame 15-jährige Tochter sei auf dem Schulhof beim Verkauf von Drogen ertappt und verhaftet worden. Der Präsident erwägt eine Verschiebung des Interviews. Die Journalistin wankt zwar, doch da sie ihren Mann bei der Tochter weiß und dieses Interview der Höhepunkt ihrer Karriere sein könnte, beschließt sie, bei der Arbeit zu bleiben. Der Präsident und sein Mitarbeiter bieten an, die Sache auf ihre Weise zu regeln, damit die gierige Presse nichts von der drogendealenden Journalisten-Tochter erfährt. Irgendwann beschleicht den Zuschauer die böse Ahnung, dass die Drogen-Geschichte womöglich eine geschickt inszenierte Falle ist. So soll die Journalistin unter Druck gesetzt werden, den pikanten Fall und die Beweise nicht an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch jetzt fehlen nur noch Minuten zum Live-Einstieg - und Utgés wird sich entscheiden müssen, ob sie den Präsidenten auffliegen lässt oder ihre Tochter (und damit auch die eigene Karriere) schützt.

Schnitt
In der Folge werden die Zuschauer in die Interview-Arena katapultiert: Showdown! Für welche Fragen sich Utgés und für welche Antwort sich Bosch im drohenden Skandalfall entscheiden, das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Soviel nur: Hingehen lohnt sich. Denn van der Werff, Jacobi und vor allem Weisschnur glänzen mit großer Präsenz. Als Bühnenbild genügen zwei Stühle, ein Tischchen und eine große, rechteckige Lampe. Als Spielort dient der schmale Bühnenstreifen vor dem Vorhang des Kornmarkttheaters - die Darsteller, vor allem aber die dargestellten Personen stehen permanent nahe am Abgrund. In der Interview-Szene neigt sich die Lampe zum Spiegel, so dass die Zuschauer eine zusätzliche Kamera-Einstellung auf das Duell haben. Im Ring stehen zwei Profis, die um ihre Karrieren kämpfen und versuchen, die alles zerstörende Schlagzeile von morgen zu verhindern. Denn „... die Presse in diesem Land existiert in allen Schattierungen“, wie Cáceres zu bedenken gibt. Utgés und Bosch wissen um die im Augenblick größte Schwachstelle des anderen - und so könnte jedes Wort eines zu viel sein.

Koinzidenz 
Der katalanische Autor Pere Riera hat das Stück schon fünf Jahre vor der Uraufführung 2011 geschrieben. Regisseur Maik Priebe hat nun in Bregenz mit „Unter Verschluss“ einen flotten Schlagabtausch inszeniert, der in fünf Viertelstunden intensives Theatererleben und fast schon intimes Kammerspiel bietet. Dass die österreichische Erstaufführung just neun Tage vor der Nationalrats-Wahl - inmitten von Facebook-Affären und Dirty Campaigning - hoch aktuell ist, mag Zufall sein. Aber auch schon die Präsentation des Spielplans 17/18 im vergangenen Mai geschah quasi zeitgleich mit der Ausrufung der Neuwahlen für Oktober. Stück, Schauspieler, Zeitpunkt: In diesen Tagen passt das (kleine) Landestheater wunderbar zum (großen) Bundestheater. So soll Theater sein.

TERMINE

Unter Verschluss.

Weitere Termine:
18. / 21. / 27. Oktober sowie 2. / 19. November,
jeweils 19.30 Uhr
Großes Haus, Vorarlberger Landestheater, Bregenz.

Karten:
T 05574 42870-600,
www.landestheater.org

(aus dem KirchenBlatt Nr. 41 vom 12. Oktober 2017)