Unter dem Motto „Zeig mir, was dir heilig ist“ luden in Bregenz vier Glaubensgemeinschaften an ihre jeweiligen Versammlungsorte. An die hundert Interessierte vieler verschiedener religiöser, kultureller, sozialer Prägungen folgten diesem gemeinsamen Weg, der den ganzen Reichtum der Bahai, des Islams und des evangelischen und katholischen Christentums zeigte.

Wolfgang Ölz

Aglaia Mika vom Büro für Interreligiöses und Interkulturelles der Diözese Feldkirch begrüßte die bunte Schar bei der Landesbibliothek in Bregenz mit den Worten, dass dieser symbolische Weg, der das Interesse an der anderen Weltanschauung zeigt, immer auch mitbedenkt, dass es auch Unterschiede gibt, „denn wir sind nicht hier, um alle gleich zu werden“. Hier liegt der Schlüssel für den Erfolg und das Potenzial einer solchen Veranstaltung: Indem die Verschiedenheit anerkannt und akzeptiert wird, können sich alle am Reichtum und an der Weisheit des jeweilig anderen auch des Eigenen im anderen erfreuen, und so lässt sich konkret ein Stück an einer friedlichen Weltgesellschaft von morgen bauen.

Ein Baum des Friedens

Den Anfang machte die Bahai-Religion mit Michael Neunteufel bei einem Friedensbaum, der 2010 auf Anregung der damaligen Kulturstadträtin von Bregenz, Judith Reichart, im Zuge des Jubiläumsaktes „25 Jahre Geistiger Rat der Bahai in Bregenz“ unweit der Landesbibliothek gepflanzt wurde. Die  Bahai ist eine weltweite, einheitliche Glaubensgemeinschaft, die auf den Religionsstifter Baha’ullah zurückgeht, der 1844 in seinen Offenbarungen eine Variante des abrahamitischen Monotheismus mit einem transzendenten Gott erfahren hat. In Vorarlberg gibt es ca. 80 Mitglieder, denen Achtsamkeit, Gebet, Dienst an der Gemeinschaft, Demut, die Heiligkeit der Schriften und die Suche nach der Wahrheit Richtschnur für ihr Leben ist.
Die Feierstunde an diesem Nachmittag beinhaltete ein gemeinsames Lied zur Herrlichkeit Gottes, Zitate zum Prinzip der Nächstenliebe, Wohlwollen gegenüber allen Religionen und ein Gebet für die Einheit, das in poetischer Sprache eine echte mystische Erfahrung transportierte.

Gruß von Glocken

Nach einer kurzen Wegstrecke begrüßten die Glocken der katholischen St. Gallus-Kirche die spirituellen Spaziergänger. Pfarrer Anton Bereuter führte lächelnd und ungeheuer prägnant in „seine“ Kirche ein, in der er gewirkt hat und immer noch wirkt. Auch katholische Christen konnten da noch so manches Wissenswerte lernen, wie etwa die Tatsache, dass vor 1600 Jahren im damaligen Brigantium an dieser Stelle bereits eine kleine Kirche für eine Christengemeinde aus römischen Kaufleuten und Veteranen bestand. Anhand des barocken Konzepts entwickelte der pensionierte Pfarrer von St. Gallus eine kleine, äußerst niveauvolle  Einführung ins katholische Christentum. Heilig ist ihm Gott, denn „Er allein ist der Heilige“, und dies entfaltet sich in der Apsis als der heilige, dreifaltige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, als menschgewordener Gott in Jesus Christus  im Altarbild und im Brot gegenwärtig im Tabernakel. In der bekenntnishaften Rede von Pfarrer Anton Bereuter wurde etwas deutlich: Wenn die anderen Religionen ihre Schätze zeigen dürfen, wenn sie sein dürfen, dann wird der missionarische Charakter des Christentums, das Gegenteil von Indoktrination, wieder möglich – Schlagwörter wie „Freiheit und Liebe“ bekommen ihren Wortsinn zurück.

In Gang kommen

Das Format des gemeinsamen Gehens unterschiedlicher Standpunkte hat eindeutig ein großes Zukunftspotential. Im Spazieren finden sich die gerade zusammenpassenden Gesprächspartner, neben Betrachtungen zur Umgebung werden beiläufig Erkenntnisse möglich, die sich schon mal in allgemeinen, mitunter philosophisch grundierten Statements verwirklichen können. Der eigene Lebensraum wird im zielgerichteten Gang zu normalerweise fremden Heiligtümern unbekannt, und schenkt sich dem Aufmerksamen neu wieder.

Heilig? Alles oder niemand

In der Rede des evangelischen Pastors der Ölrain Kirche, Ralf Stoffers, wird eines deutlich: In Bregenz gibt es eine echte Zusammenarbeit zwischen den Konfessionen. So wie er sich auf „Kollege Bereuter“ bezieht und sich schmunzelnd ökumenische Hilfe bei Pfarrer Edwin Matt holen möchte, was die Unterschiede von evangelischer und katholischer Kirche angeht, das zeugt von gewachsenen Beziehungen. Die Bitte: „Zeig mir was Dir heilig ist!“, die übrigens auf die verstorbene Islamexpertin und Fachfrau im interreligiösen Dialog Elisabeth Dörler zurückgeht, hat Ralf Stoffers jedenfalls ein Stückweit herausgefordert. Die evangelische Kirche hat nämlich ein anderes Heiligkeitsverständnis als die katholische. Das alttestamtliche Abbildverbot wird sehr ernst genommen. Das Heilige weist nach Innen. Es geht um die Verkündigung, das Gebet und den Gesang. Bei ihnen ist alles oder niemand heilig. Im Anschluss bot Ralf Stoffers die Möglichkeit, Fragen zu stellen.

Friede als verbindendes Element...

Die letzte Station erreichte die mittlerweile ganz selbstverständlich, völlig einträchtig spazierende Gruppe, nachdem sie die Bregenzer Arlbergstraße überquert und nach Vorkloster hinunter gegangen war: Die ATIB-Moschee. Vorbei an freundlich grüßenden Muslimen, jungen, alten, Frauen und Männern, begab man sich, nachdem man die Schuhe ausgezogen hatte, in den Gebetsraum im ersten Stock. Der muslimische Religionslehrer Ahmed Agne lud ein, es sich auf dem Boden bequem zu machen. Agne betonte, dass die Muslime auch an Heilige Schriften glauben. Gott spricht in den Büchern: Mose in der Tora, Jesus im Evangelium, David in den Psalmen und Mohammed im Koran. Der festlich gekleidete Imam, Adem Güldekin, rezitierte anschließend noch eine Sure zur Dankbarkeit des Menschen vor Allah. Den Abschluss bildete ein vorzügliches orientalisches Büffet.

... mit den Händen zu greifen

Der Friede zog sich wie das verbindende Element durch den ganzen Nachmittag: angefangen vom Friedensbaum der Bahai über den katholischen Gebetswunsch „Mach mich zum Werkzeug Deines Friedens“ und das evangelische Spruchband an der evangelischen Ölrain-Kirche „Friede sei mit Euch“ bis hin zum muslimischen Friedensgruß in der ATIP Moschee "assalamu alaikum". Friede zwischen den Religionen, das Gegenteil von Terror und Krieg, an diesem Nachmittag war er nicht nur spürbar, sondern mit Händen zu greifen.

Der Artikel erschien im KirchenBlatt Nr. 18 vom 4. Mai 2017.