Seit drei Jahrzehnten unterstützt die vom Vorarlberger Jesuitenpater Georg Sporschill gegründete Hilfsorganisation „Concordia Sozialprojekte“ in Not geratene Kinder, Jugendliche und Familien in Südosteuropa. Das KirchenBlatt hat mit Vorstandsmitglied Pater Markus Inama SJ über die aktuellen Herausforderungen gesprochen.

Das Ziel einer Hilfsorganisation ist ja bekanntlich, Not zu lindern und sich dadurch gewissermaßen selbst „abzuschaffen“. Warum braucht es die Concordia nach 30 Jahren immer noch?

P. Markus Inama SJ: Auch dank der Unterstützung aus Vorarlberg konnten wir für Kinder und ältere Menschen schon vieles zum Besseren verändern. Es gibt aber nach wie vor große Unterschiede zwischen dem Osten und dem Westen Europas. Rumänien und Bulgarien gehören zwar zur EU, allerdings wird es noch lange dauern, bis die dort benachteiligten Gruppen einigermaßen den Anschluss gefunden haben werden.

Hat der EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien zu wenig verändert?

P. Markus Inama SJ: Es hat sich zwar etwas geändert, allerdings habe ich den Eindruck, die sozialen Themen sind eher ein Klotz am Bein - gerade wenn die Wirtschaft in den dortigen Ländern aufholen möchte. Ich kenne vor allem die Situation in Bulgarien. Als ich in diesem Land lebte, mussten die Leute anderthalb Jobs haben, um sich überhaupt über Wasser halten zu können. Da blieben für soziale Themen weder Zeit noch Energien oder Sympathien übrig. Die Zivilgesellschaft, die bei uns beispielsweise sehr viel auffängt - Stichwort Flüchtlingskrise -, ist dort in dieser Form nicht vorhanden. Diese aufzubauen ist langwierig. Das passiert nicht einfach in fünf oder zehn Jahren. Es ist allerdings schon spürbar, dass es für diese Länder EU-Gelder gibt und dass sich Concordia auch bei verschiedenen Ausschreibungen beteiligen kann. Manchmal kommen wir auch zum Zug. Es gibt also Fortschritte, allerdings geht es immer noch nicht ohne die Unterstützung aus Österreich und anderen Ländern.

Was können Sie von der aktuellen Lage berichten? Wie wirkt sich die Coronakrise dort aus?

P. Markus Inama SJ: Bulgarien hat eine Impfquote von rund 25 Prozent und in Rumänien spielen sich ähnliche Szenen ab wie vor anderthalb Jahren in Bergamo in Italien.
Wir alle haben seit dem Ausbruch der Pandemie gelernt, dass das Abstandhalten Ansteckungen verhindern kann. Manchmal wurde diese Maßnahme aber auch zum Vorwand genommen, um sich von Menschen zu distanzieren, die der Mehrheit nicht sympathisch sind. Diese Dynamik schlägt in unseren Projektländern durch. Die Armenviertel wurden teilweise aus Angst vor dem Virus komplett abgeschottet. Was wiederum dazu führte, dass Arme gar keinen Zugang zum Gesundheitssystem mehr hatten. Dieser war ohnehin schon schwierig.
Die Coronakrise hat sich natürlich auch finanziell ausgewirkt. Vor allem für jene, die ihre Jobs oder Ausbildungsplätze verloren haben. Die Kluft ist durch Corona wieder größer geworden.

Waren die Armenviertel aufgrund der oft beengten Wohnverhältnisse besonders betroffen?

P. Markus Inama SJ: Das kann man schwer sagen, es gab ja kaum Tests. Wenn jemand krank war, dann war er halt krank. Covid oder nicht, das wusste niemand. Concordia war eine der wenigen Organisationen, die noch in diese Viertel reingegangen ist und medizinische Betreuung, Hygieneartikel und Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt hat. Was sich bei den Armen abgespielt hat, das hat kaum jemanden von der offiziellen Seite interessiert.

Konnten trotz der Coronakrise geplante Projekte umgesetzt werden?

P. Markus Inama SJ: a, durchaus. Ein Beispiel ist die Eröffnung einer inklusiven Volksschule in Rumänien. Ein Leuchtturmprojekt, bei dem sowohl Kinder aus sozial schwachen Schichten als auch Kinder aus „normalen“ Schichten in dieselbe Schule gehen.
Grundsätzlich sind wir in den letzten Jahren enorm gewachsen, unser Hilfsgebiet hat sich mit dem Kosovo noch einmal erweitert. Concordia ist jetzt gewissermaßen in einer Konsolidierungsphase. In den nächsten Jahren möchten wir unsere Modelle noch einmal so weit verbessern, dass sie von anderen Organisationen übernommen werden können.

Wenn Sie sich zum runden Geburtstag von Concordia etwas wünschen dürften – was wäre das?

P. Markus Inama SJ: Einerseits, dass in unseren Projektländern mehr Sensibilität entsteht und andererseits dass die Korruption abnimmt. Diese ist nach wie vor ein großes Problem. Und dass die Länder vor Ort die Probleme vermehrt selber angehen und die Concordia nur noch Modelle zur Verfügung stellt. Dass Hilfszentren, die jetzt noch von uns geleitet werden, mehr und mehr von staatlichen Einrichtungen übernommen werden.

Ein Blick in die Glaskugel: Werden die Menschen vor Ort Ihre Hilfsorganisation in 30 Jahren noch benötigen?

P. Markus Inama SJ: Ich dachte mir ursprünglich, dass es noch eine Generation lang dauern wird, bis diese Vorurteile gegenüber Minderheiten abgebaut sind. Eine gute Freundin hat mich allerdings darauf hingewiesen, dass es wohl noch mehrere Generationen brauchen wird, bis diese Abneigung überwunden werden kann. So lange zum Beispiel die Minderheit der Sinti und Roma als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden, sind die sozialen Probleme vorhanden.

Warum ist Ihnen persönlich Südosteuropa so wichtig?

P. Markus Inama SJ: Ehrlicherweise hatte ich Osteuropa nie groß am Schirm. Ich war eher auf Italien oder die USA fokussiert. Bei mir hat es sich geändert, als ich von 2008 bis 2012 selber in Bulgarien gelebt und mühsam eine slawische Sprache gelernt habe (lacht). Mir ist dieses Land sehr ans Herz gewachsen und ich fühle mich mit den Menschen dort verbunden. Vor Corona war ich alle sechs Wochen vor Ort. Viele Volontäre wollen - bevor sie bei uns anfangen - eher in Afrika oder Lateinamerika helfen, sind dann aber von der Arbeit in unseren Projektländern sehr angetan. Die bulgarischen Städte haben schon auch ihr verborgenes Flair und dafür möchte ich doch ein wenig Werbung machen (lacht).


Zur Sache
Im Herbst 1991 nahm das spendenfinanzierte Hilfswerk in Rumänien seinen Anfang. Nach dem Ende des Ceaucescu-Regimes wurde Pater Georg Sporschill vom Jesuitenorden nach Bukarest entsandt. Dort kümmerte er sich um die vielen auf der Straße lebenden Kinder und gründete Concordia. Von 1991 bis 2011 leitete Pater Sporschill den Verein. Die kleine Initiative wuchs zu einem Werk mit derzeit rund 600 Mitarbeitenden.

Heute ist Concordia Sozialprojekte eine internationale Organisation mit einem vielfältigen Programm zur Unterstützung von Kindern und Familien in Not. Das Projekt ist mittlerweile über Rumänien hinaus auch in Bulgarien, der Republik Moldau und dem Kosovo - inklusive einem kleinen Projekt in Wien - aktiv und gibt den Ärmsten der Armen Hoffnung.

Pater Markus Inama SJ wurde 1962 in Hohenems geboren. 1987 trat er in den Jesuitenorden ein. Nach seiner Zeit im Bereich der offenen Jugendarbeit in Wien und Innsbruck war er vier Jahre lang für Concordia Sozialprojekte in Bulgarien tätig.
In dieser Zeit war er maßgeblich am Aufbau  des Sozialzentrums „Sveti Konstantin“ in Sofia beteiligt.

Seit 2009 ist Pater Inama ehrenamtlich im Concordia-Vorstand tätig und reist regelmäßig zu den Hilfsprojekten. Von 2012 bis 2018 war er Rektor des Jesuitenkollegs in Innsbruck. Heute ist er Superior der Jesuiten in Wien.