Zwei von drei Jahren Bauzeit sind geschafft - das Projekt „neue Riesenorgel“ für den Stephansdom in Wien biegt auf die Zielgerade ein. Wendelin Eberle, Geschäftsführer der Schwarzacher Firma Rieger Orgelbau, erzählt, was dieses außergewöhnliche Projekt so besonders macht.

Charlotte Schrimpff

Sie dürfen mir zuerst aus einer Verwirrung helfen: Was ist das denn nun in Wien – eine Orgelrestaurierung, eine Instandsetzung oder ein Orgelneubau?
Wendelin Eberle, Rieger OrgelbauWendelin Eberle: Es ist ein Neubau unter Wiederverwendung von historischem Material aus der Vorgängerorgel. Das heißt, die Konzeption und große Teile sind komplett neu, und das, was wir weiterverwenden, wird restauriert. Das betrifft die Fassade, also das, was man vorne sieht, einen Teil der Windanlage, die Bälge und ungefähr die Hälfte des Pfeifenmaterials. Aber grundsätzlich ist es ein neues Instrument.

War das von vorneherein klar?
Eberle: Teilweise. Als wir unser Konzept für den Ausschreibungswettbewerb gemacht haben, haben wir die Substanz sehr genau analysiert: Was ist da, was davon ist gut - vom Material, von der Konsistenz - was ist weniger gut. Außerdem wussten wir, dass die Fassade und das Gehäuse der Orgel denkmalgeschützt sind, sprich: Sie darf sich in diesem Prozess optisch und in der Größe nicht verändern. Das waren bzw. sind die Bedingungen.

Klingt anspruchsvoll ...
Eberle: Das ist es auch. Vor allem, wenn man den geschichtlichen Hintergrund mitbetrachtet: Die Orgel wurde 1960 gebaut - das ist eigentlich kein Alter für so ein Instrument. Es ist damals unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit entstanden und es war ein Projekt, an dem mehrere Firmen beteiligt waren. Die Firma Kauffmann aus Österreich hat die Planung und den Einbau der Orgel übernommen, die Bauteile wurden aber größtenteils in Deutschland in verschiedenen Werkstätten gefertigt. Ein solches Konstrukt wäre heute, in guten Zeiten, noch eine Herausforderung, aber wenn die Zeiten weniger gut sind, die Materialien, die man sich wünschen würde, nicht alle erhältlich sind, kann man sich ausmalen, was das für das Instrument bedeutet. Aus heutiger Sicht waren Planung und Konzeption der Orgel nicht optimal und haben dazu geführt, dass es auch kein optimales Instrument geworden ist. Das war auch damals schnell klar. Darum jetzt dieser relativ schnelle Austausch, wobei man sagen muss: die Orgel ist schon seit 1997 außer Betrieb, also gerade mal 37 Jahre überhaupt genutzt worden. Seitdem kennt man sie als die größte Orgelruine Österreichs.

Aber das ändert sich jetzt ja alles.
Eberle: Genau. Allerdings war es auch unser Ziel, dem Ganzen Respekt zu zollen und deutlich zu machen: Man muss nicht alles verdammen, was früher war. Die Menschen damals haben wahrscheinlich unter großem Aufwand und unter großer Mühe versucht, ihr Bestes zu tun und das erkennen wir mit unserer Arbeit an. Was die Qualität angeht, kann ich sagen: Es ist kein Kompromiss, was wir jetzt tun, obwohl wir Teile der alten Orgel verwenden.

Das wissen Sie schon, obwohl Sie das Instrument noch nie gehört haben?
Eberle: Natürlich haben wir es schon gehört - im Geiste. Das ist wie bei einem Musiker: Wenn der nicht vorher hört, was er spielen will, kann er’s nicht spielen. Dann produziert er nur Töne, macht aber keine Musik. Genauso müssen wir eine Orgel vorher hören und sehen. Wenn ich die Augen schließe, habe ich sie vor mir, als ob sie schon stünde. Das ist eine Vorstellungskraft, die man entwickelt, wenn man viel damit zu tun hat, und die einem dabei hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das gilt auch für unseren Intonateur, der für die klangliche Seite verantwortlich ist. Auch er muss das Instrument im Geiste hören, um zu wissen, wie er diesen Klang erreichen kann. Sonst geht‘s schief.

Wenn ich es richtig verstanden habe, hat die Intonation gerade angefangen?
Eberle: Die Intonation vor Ort, ja. Seit zwei Wochen vor Ostern sind wir mit einem Team von sechs Mitarbeitern wieder in Wien und bauen die Orgel auf. Parallel dazu produzieren wir auch hier in Schwarzach noch Teile. Die Pfeifen sind aber schon seit über einem halben Jahr fertig und werden in der Werkstatt klanglich vorbereitet. Intonation meint ja nicht nur die Endintonation, sondern sie beginnt eigentlich mit der gedanklichen Arbeit und dem Festlegen der Größe der Pfeifen. Denn die bestimmt letztlich die ganze Physik, bestimmt, wie der Klang angelegt ist. Was landläufig als Intonation verstanden wird, meint die Arbeit vor Ort. Das ist aber nur der allerletzte Teil, wo noch mal feinjustiert wird, feinabgestimmt auf die Akustik des Raumes.

Vor allem die scheint in Wien ja nicht gerade einfach zu sein...
Eberle: Das stimmt. Wenn man jetzt in den Stephansdom schaut, sieht man, dass direkt hinter der einstigen Fassade der Orgel ein Riesen-Steinbogen von einem Pfeiler zum nächsten geht, der vorher nicht zu erahnen war. Dieser Bogen ist ca. 1,3 Meter dick und über drei Meter hoch. Eigentlich ist das der buchstäbliche „Stein des Anstoßes“ - denn dieses Bauelement blockiert den Klang nach vorne, weil ein Großteil der Orgel dahinter steht. Das ist so, als würde ein Orchester hinter einer Wand spielen - das klänge im Zuschauerraum auch nicht wie es soll. Dieser Steinbogen bleibt natürlich da, wo er ist, denn er ist für die Statik entscheidend. Es war aber sicher die größte Herausforderung, ein Konzept zu entwickeln, welches unter genau den gleichen Rahmenbedingungen ein überzeugenderes Instrument erwarten lässt.

Spielt die vergrößerte Anzahl Register dabei eine Rolle?
Eberle: Es werden geringfügig mehr - von einst 125 auf nun 130. Die Register in sich sind vor allem aber größer, also die Anzahl der Pfeifen und ihr Durchmesser, die so genannte Mensur. Sie müssen sich vorstellen: Eine zu dünne Pfeife im Stephansdom klingt mickrig. Damit dort ein guter, großer Klang entsteht, braucht man große Mensuren. Wie bei einem Sänger: Wenn jemand eine Fistelstimme hat, ist das in einem kleinen Raum vielleicht kein Problem, aber in einem sehr großen Raum kann er keine Opernarie singen. So ist es bei der Orgel auch: Wir müssen die Dimensionierungen der Pfeifen der Raumgröße anpassen. Das war eines der Probleme der alten Orgel: Die Verhältnisse waren nicht optimal gewählt. Jetzt haben wir zwar zum Teil die gleichen Register vorgesehen, aber die Mensuren der einzelnen Pfeifen sind andere, damit wir mehr Klangfülle erreichen.

Insgesamt ist etwas wie die Riesenorgel vermutlich ein einzigartiges Projekt im Leben eines Orgelbauers?
Eberle: Ja. Nicht nur für die Firma, auch für mich ist dieses Projekt die größte Orgel, die ich bisher habe bauen dürfen. Es ist ein unglaubliches Privileg, in solchen großen Kathedralräumen zu arbeiten, auch nachts da zu sein, wenn alle anderen längst draußen sind. Da erlebt man ganz besondere Momente, die man nicht mehr vergisst. «

Mehr zum Projekt: www.domorgel.wien

Die Riesenorgel im Stephansdom

Ostern 2020, exakt 75 Jahre nach dem verheerenden Dombrand und der Zerstörung der Vorvorgängerorgel kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wird im Wiener Stephansdom wieder eine Riesenorgel zu hören sein.
Der Neubau der Vorarlberger Orgelbaufirma Rieger sieht hinter der historischen Fassade einige Änderungen vor, darunter einen mobilen Orgelspieltisch, der frei im Kirchenraum bewegt werden kann, und die Möglichkeit, die dann größte sinfonische Orgel Österreichs und die kleinere Chororgel gemeinsam anzusteuern, also insgesamt über 185 Register zu verfügen. Ziel ist ein deutlich verbesserter Raumklang.
Die Projektkosten in Höhe von drei Millionen Euro teilen sich Bund, Länder und private Spender/innen, die den Bau seit neuestem auch direkt an einem Terminal im Dom unterstützen können.

Daten & Fakten. Die längste Pfeife in der neuen alten Orgel misst elfeinhalb Meter, die größte wiegt 599 Kilo. Die kleinste ist gerade einmal acht Millimeter lang und drei Millimeter dick. Insgesamt wird die Orgel rund 40 Tonnen wiegen und das Raumvolumen eines sehr großen Einfamilienhauses einnehmen. 15 Bälge versorgen das Instrument pro Minute mit rund 100 Kubikmetern Luft - lautlos.
Für die Firma Rieger mit Sitz in Schwarzach ist es bereits das dritte Orgelbauprojekt im Stephansdom: Aus ihrem Hause stammen auch die Chor- bzw. Domorgel (1991) und die Haydn-Orgel (2009).

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 21 vom 23. Mai 2019)