5-teilige Serie: "Die Freude des Evangeliums" - Papst Franziskus: Zentrale Botschaften seines Schreibens "Evangelii gaudium".

Bild rechts: Gastfreundliche Kirche.  Zu Weihnachten verwandelt die Gemeinschaft Sant‘Egidio das Münster von Mönchengladbach zu einem Festsaal für Bedürftige und Obdachlose.

Teil 2 von 5

Halbmayr Aloisvon Dr. Alois Halbmayr
lehrt Dogmatik
an der Uni Salzburg

 

„Mir ist eine ,verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist.“     Papst Franziskus in „Evangelii gaudium“ 49


Um wahrhaft eine missionarische Kirche sein zu können, braucht es nicht nur engagierte, überzeugend lebende Christinnen und Christen, da braucht es auch entsprechende Strukturen. Sie sind so etwas wie die „Körpersprache“ der Kirche.

Papst Franziskus weiß, dass der Inhalt der Botschaft nicht von der Form (der Kirche) zu trennen ist. Wie sollte man glaubwürdig die „unfassbare Freiheit“ (EG 22) des Wortes Gottes verkündigen, wenn in der Kirche Angst und Unfreiheit herrschen? Der Papst ermutigt daher zu mehr Offenheit und Selbstbewusstsein, zu mehr Risiko und Engagement. Nur so könne man eine lebendige Kirche bauen, eine Kirche, die aufbricht und den Mut hat, die eigene Bequemlichkeit zu verlassen, die etwas riskiert, die an die Randgebiete unserer Gesellschaften geht, die mit den Verdrängten, Ausgeschlossenen und Hoffnungslosen dieser Welt solidarisch ist (vgl. EG 20).

Kirche der Armen
Natürlich richtet sich die missionarische Dynamik der Kirche an ausnahmslos alle Menschen. Aber dabei gibt es „eine ganz klare Ausrichtung“ (EG 48): Die Armen und an den Rand Gedrängten, sie sind die ersten Adressat/innen des Evangeliums – und damit der ganzen Kirche. Franziskus erinnert an das untrennbare Band zwischen unserem Glauben und den Armen und schreibt der Kirche ins Stammbuch: „Lassen wir die Armen nie allein!“ (EG 48) In diesem Kontext findet sich dann jene viel zitierte Passage, die geeignet ist, ein Klassiker zu werden und die vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck bringt, worum es ihm in seinem Dienst als Papst geht: „Mir ist eine »verbeulte« Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, … lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit … krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein …“ (siehe Zitat; EG 49) Eine verbeulte Kirche, eine Kirche, die etwas riskiert und nicht krankhaft auf ihr Ansehen fixiert ist – deutlicher kann man sich nicht vom alten Bild einer triumphalistischen, vollkommenen Kirche, vom Haus voll Glorie verabschieden, das seit dem Konzil von Trient (1545–63) bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–65) das Selbstverständnis der katholischen Kirche wesentlich mitbestimmt hat.

Rolle des Papstes
Es ist kein Zufall, dass Franziskus mit seiner ganzen Person für diese Neuausrichtung einsteht: Er spricht hier nicht in der dritten Person („Der Papst wünscht sich …“), auch greift er nicht auf den seltsamen Plural der Herrscher und Könige zurück („Wir, von Gottes Gnaden …“); ganz im Gegenteil, er wählt die unvertretbare Perspektive der 1. Person („mir“, „ich“). Er weiß, dass diese Neuorientierung nur gelingt und überzeugend umgesetzt werden kann, wenn er selbst vorangeht: „Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von den anderen verlange, muss ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken.“ (EG 32) Hier sei man, wie im Text eingeräumt wird, noch kaum vorangekommen. Und es wäre nicht Franziskus, würde er nicht gleich einen Vorschlag unterbreiten, für den bereits sein Vorgänger Benedikt XVI. die Weichen gestellt hat. Benedikt hatte nämlich auf den Ehrentitel eines Patriarchen des Abendlandes oder des Westens verzichtet– weit mehr als eine symbolische Geste.

Frühling in Rom?

Franziskus, der sich in erster Linie als Bischof von Rom versteht, spricht sich, im Geiste des Zweiten Vatikanums, für eine Aufwertung der Patriarchatskirchen, d. h. der Bischofskonferenzen und Teilkirchen aus.
Auch sie besitzen konkrete Kompetenzen, was eine gewisse authentische Lehrautorität einschließt: „Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.“ (EG 32) Man reibt sich fast ein wenig die Augen: Spätestens seit der Mitte des 19. Jh.s hat Rom immer mehr Kompetenzen und Verantwortlichkeiten an sich gezogen. Wie viele Reformbemühungen wurden mit Hinweis auf die gefährdete Einheit zunichte gemacht. Und jetzt die Aufforderung, „wagemutig und kreativ“ neue Wege zu suchen? Frühling in Rom? Kommt das Konzil endlich an?