Die Bettlerin am Straßenrand, der Erlagschein im Postfach, der Spendenaufruf im Fernsehen - helfen ist etwas Alltägliches. Wird das Thema in den Kontext des utopischen Denkens gesetzt, tut sich Neues auf: Ziele und Formen, AkteurInnen und Strategien. Thomas Gebauer ging diesen Perspektiven bei den Tagen der Utopie nach.

Patricia Begle

Hilfsbereitschaft und Empathie gehören zum Zusammenleben. „In jeder Hilfe steckt das Versprechen von einer anderen Welt“, erklärt Gebauer. Und gerade in Zeiten von zunehmender Ent-Solidarisierung müsse Hilfsbereitschaft verteidigt werden. Gleichzeitig stellt der Sprecher der Stiftung „medico international“ fest, dass „Hilfe vieles kann, aber nicht die Antwort auf alles ist“. Denn die Welt leide nicht an zu wenig Hilfe, sondern an Verhältnissen, die immer mehr Hilfe nötig machten.

Kritisieren

Insofern müssen Hilfsprojekte kritisch betrachtet werden. Denn auch sie können beitragen, die Verhältnisse, die Not und die Unmündigkeit zu stabilisieren, anstatt die Ursachen zu verändern. Als Experte für Frieden und Sicherheit nimmt Gebauer in seinen Ausführungen unterschiedliche Formen der Hilfsleistung in den Blick. So verweist er auf die Nachteile von privaten Initiativen. Sie bieten - anders als öffentliche Institutionen - keinen Rechtsanspruch und machen den Hilfsbedürftigen zum Bittsteller und abhängig vom Gebenden.

Nachhaltige Zielsetzungen

Eine zweite Entwicklung, die dem Experten Sorgen bereitet, ist jene, die aus Hilfsprojekten lukrative Geschäfte macht. Denn wenn Rendite und Wachstum im Fokus stehen, werden die Ziele kurzfristig und messbar. Dann geht es plötzlich nicht mehr darum, wie Demokratie- oder Gesundheitsbewusstsein gestärkt oder wie soziale Ungleichheit bekämpft werden kann. Das Ziel heißt dann vielleicht nur noch: Verteilung von Moskitonetzen.

Solidarität neu verstehen

„Das Verständnis von Hilfe und Solidarität muss sich ändern“, ist Gebauer überzeugt. Er verweist auf die Grundwerte der französischen Revolution, die den Begriff „Solidarität“ mitgeprägt haben. „Brüderlichkeit“ wird er dort genannt und meint weit mehr als ein Gefühl des Verbunden-Seins, er geht über das Teilen hinaus. Das Wort „Solidarität“ stammt ursprünglich aus dem römischen Recht und bezeichnet dort eine besondere Form der Haftung - in dem Sinne, dass jeder für das Ganze, für die Gesamtsumme haftet. Es geht also um eine schuldhafte Verpflichtung, die von allen zu tragen ist. „Das muss aus Überzeugung geschehen und mit Leidenschaft verbunden sein“, ergänzt Gebauer. „Und es erfordert Vertrauen.“

Rechtliche Absicherung

Doch wie entstehen solidarisch verfasste Gesellschaften? Durch Menschen, die dafür kämpfen, so die Antwort. Geglückte Beispiele von selbstorganisiertem, solidarischem Engagement gibt es auf allen Kontinenten. Für den Experten ist es wichtig, dass solche Initiativen verrechtlicht werden, nicht im Privaten bleiben. Eine Möglichkeit dafür ist die Kooperation von privaten Betreibern mit öffentlichen Organisationen - wie zum Beispiel der Caritas. Dadurch können neue Formen des Helfens entwickelt werden.

Auf globaler Ebene

In einer globalisierten Welt müssen auch Hilfsorganisationen global organisiert sein - das steht für Gebauer fest. Er nennt die Idee eines „Internationalen Fonds für globale Gesundheit“, eine völkerrechtliche Vereinbarung, die über einen Ausgleichsfinanzierungsmechanismus verfügt. Das heißt, dass wohlhabendere Länder mehr Mittel geben als weniger wohlhabende. Sie arbeiten nach einem klaren Prinzip: Das Zusammentragen der Mittel findet zentral statt, die Vergabe lokal. Das fordert vor Ort eine demokratische Auseinandersetzung über die Verteilung der Mittel und unterstützt damit die Demokratisierung.

Zum Nachhören finden Sie den Vortrag unter www.tagederutopie.org

Aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 20 vom 16. Mai 2019