Am 24. Oktober 2013 stellte der emeritierte Politikwissenschaftsprofessor Dr. Emmerich Tálos in der Bregenzer Landesbibliothek sein Opus Magnum „Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933-1938“ vor. Es ist die erste umfassende Monografie zu dieser Zeit, ein „Missing link“ zu den Fragen, warum der Anschluss zu Hitlerdeutschland ein fließender war und warum auch die Kirche dem wenig entgegenzusetzen hatte.

Karin Bitschnau

Emmerich Tálos, ganz Politikwissenschaftler - obwohl auch Theologe -, begründet seine Buchbetitelung mit „Austrofaschismus“ vom Politikstil und vom Inhalt des Regimes her. Nach dem Vorbild des italienischen Faschismus ideologisch aufgebaut, ist es ein autoritäres Regime, das auf dem Führerprinzip und der Aufhebung der Gewaltenteilung beruht. Willkür und gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen linke und nationalsozialistische Regimegegner, Errichtung des Anhaltelagers Wöllersdorf, die Wiedereinführung der Todesstrafe sowie das Verbot aller Parteien außer der Einheitsorganisation der „Vaterländischen Front“ machten das System antidemokratisch. Eine desaströse Sozial- und Arbeitspolitik schnitt gegen Ende der Herrschaft die Hälfte der Arbeitslosen des „sozialsten Staates Europas“ vom Arbeitslosengeld ab.

Tálos lehnt die Bezeichnung „Ständestaat“ ab, da er rein der Selbstlegitimation und der Abgrenzung vom nationalsozialistischen Faschismus diente. Eine berufsständische Ordnung, wie sie die Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1931 vorsah, wurde von den beiden Kanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg ins Gegenteil verkehrt. Nicht subsidiär, sondern autoritär sollten Berufsstände eingerichtet werden, in denen sowohl Arbeitgeber wie Arbeitnehmer vertreten sind. Realisiert wurden solche Berufsstände ob der generellen Schwäche des Systems nicht.

In einem Herrschaftssystem „in christlich-deutschem Geist“ (Dollfuß), das noch dazu das „katholische Gewissen diktiert“ (Weihnachtshirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreichs 1933) ist das Verhältnis zwischen Regime und Katholischer Kirche besonders interessant. Als ein System von „Geben und Nehmen“ charakterisiert Tálos dieses Verhältnis. Von einem Interessens- und Ideologiekonsens ausgehend, geht er in einem kürzeren Abschnitt seines Buches auf diese Beziehung bis zum Abschluss des Konkordats 1933/34 ein. Er betrachtet dabei die Ebenen des österreichischen Episkopats und des Vatikans. Ein kurzer Exkurs behandelt die Evangelische Kirche.

Diese wenigen Seiten sind jedoch überaus interessant und werfen anhand von Originalzitaten ein heute sehr befremdliches Bild auf eine Kirche, die nach dem Ende der Monarchie um ein neues Sebstverständnis und ihren Platz in einer weltanschaulich gespaltenen Gesellschaft ringt.
Tálos beschreibt die Synergie beider Akteure: In ihren Einflussmöglichkeiten begrenzt und im Parlament mit dem „Feindbild“ Sozialdemokratie und einer antihierarchischen demokratischen Gesinnung konfrontiert, befindet sich die Kirche in Existenzangst und ist deshalb bereit, sich dem neuen Herrschaftssystem anzupassen.
Beinahe uneingeschränkt bietet die Kirche nicht bloß Legitimationshilfe über Hirtenbriefe, Interventionen beim Papst und im Vatikan, sondern konkrete politische Aktionen. Katholische Verbände im Rahmen der Katholischen Aktion werden Teilorganisationen der Systempartei „Vaterländische Front“ einverleibt, öffentliche Massenveranstaltungen mit kirchlichen Ritualen verknüpft.

Inwiefern es auch innerkirchlichen demokratisch begründeten Widerstand gegen die regimestützende Funktion der österreichischen Bischöfe gab, auch wie und ob sich die Katholische Kirche nach Abschluss des Konkordats auf rein pastorale Aufgaben konzentrierte und aus dieser Haltung heraus auch den Nationalsozialismus feierlich begrüßte, ist nicht Inhalt dieses vieles erschließenden und wissenschaftlich fundierten Standardwerks. Hier weiterzuforschen ist Angelegenheit der Diözesanarchive, für die über diese Zeit jedoch noch die Archivsperre hängt.

Buchcover - Talos BUCHTIPP

Emmerich Tálos: Das autrofaschistische Herrschaftssystem.
Österreich 1933-1938.
Lit Verlag Wien 2013.

632 Seiten, broschürt.
ISBN 3-643-50494-4, € 34,90.

Termin-Tipp

Fr 8. November, 19.30 Uhr, Theater Kosmos, Mariahilfstraße 29, Bregenz.

„Dass wir in Bregenz waren, darüber haben wir geschwiegen“ - Zwangsarbeiter/innen 1939 – 1945 im Raum Bregenz. Seit den 1990-er Jahren beschäftigen sich Margarethe Ruff und Werner Bundschuh mit dem Thema „Zwangsarbeit in Vorarlberg“, das die beiden Historiker bis in die Ukraine führte.

Eintritt: € 7,-, erm. € 4,-.

Veranstalter: Gedenkgruppe Bregenz, Theater Kosmos, Renner-Institut, Grüne Bildungswerkstatt, Carl-Lampert-Forum, Ökumenisches Bildungswerk Bregenz, erinnern.at, Malin-Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialdemokratie und Pax Christi Vorarlberg.