Am 13. Oktober trafen sich in ganz Österreich tausende Menschen mit unterschiedlicher Meinung zum politischen Zwiegespräch. So auch in Bludenz, wo sich ein pensionierter Verwaltungsbeamter mit einem Kirchenzeitungs-Journalisten zusammensetzte. Eine persönliche Nachlese.

Von Dietmar Steinmair

Das Dialogformat „My Country talks“ gibt es bereits in mehreren Ländern, darunter Deutschland, Dänemark, Norwegen, Italien und sogar Kanada. Das Prinzip ist einfach: Bei der Anmeldung müssen die Teilnehmer/innen einige Fragen beantworten. Ein Programm paart dann die Personen, die in geographischer Nähe zueinander wohnen, aber möglichst gegensätzliche Antworten auf die Fragen gegeben haben. Dann werden die Gesprächspartner einander mit Vornamen und den unterschiedlich beantworteten Fragen vorgestellt. Stimmen beide zu, erhalten die Interessent/innen die Kontaktdaten des anderen und können einen Treffpunkt für das Gespräch vereinbaren.

Für die Aktion „Österreich spricht“, das hierzulande von der Tageszeitung „Der Standard“ für 13. Oktober organisiert wurde, hatten sich insgesamt 10.000 Menschen angemeldet. Mehr als drei Viertel der Interessenten wurden zu Gegensatzpaaren miteinander gematcht. Am vergangenen Samstag um 15 Uhr war es dann soweit. Ich traf mich mit meinem Gesprächspartner in einem Café in Bludenz. Mein Gegenüber würde - das hatte ich im Zuge der Vorbereitungen erfahren - der langjährige und inzwischen pensionierte Stadtamtsdirektor der Stadt Bludenz sein, Dr. Albert Wittwer.
Bei der Anmeldung hatten wir bei zwei Fragen unterschiedliche Antworten gegeben: „Ist der Islam mit den europäischen Werten vereinbar?“ und „Verlangt unsere Gesellschaft derzeit, dass Mütter ihre Karriere für die Kindererziehung hintanstellen?“ Wie sich im Gespräch bald herausstellte, habe ich mich mit meinem Gesprächspartner, der mir persönlich vorher gänzlich unbekannt war, trotzdem auf Anhieb gut verstanden: Albert Wittwer ist ein Mann mit viel Berufs- und Lebenserfahrung, zudem belesen, vielfach interessiert und aufmerksam im Gespräch. Ein Glücksfall an Dialogpartner. Nach eingehenderen Erörterungen lagen wir in unseren Ansichten bezüglich Islam und Kindererziehung am Ende nicht allzu weit auseinander.

Das ist eine wichtige Lehre aus dem Gesprächsformat: Einfache Fragen provozieren einfache und vielleicht auch verkürzte Antworten. Im Philosophie-Studium habe ich gelernt zu fragen: „Unter welcher Rücksicht meinst du das?“ Bezüglich Islam etwa müssen - um den Dingen gerecht zu werden - unterschiedliche Fragen differenziert beantwortet werden. Was ist „der“ Islam? Geht es um die Rechtsschulen, die sich innerhalb des Islam ebenso heftig bekämpfen wie Sunniten und Schiiten? Geht es um die religiös-mystische Vereinigung der Sufis mit Gott, die im Christentum ebenso - und manchmal mit sehr ähnlichen Worten beschrieben - zu finden ist? Wie steht es um eine verbindlich sprechende Autorität wie dem Papstamt, das es so im Islam nicht gibt? Inwieweit hat sich das Christentum der Prüfung der Aufklärung mehr oder weniger erfolgreich gestellt, was man bei islamischen Glaubensströmungen (teilweise) anders beantworten müsste?
Ein inzwischen schon geäußerter Vorschlag ist, bei einem nächsten Mal noch weitere Medienunternehmen in „Österreich spricht“ mit einzubinden. Das würde die Unterschiedlichkeit der Gesprächspartner vermutlich erhöhen. Was jedenfalls bleibt von der Aktion: Es ist spannend und lohnend, sich mit unbekannten, offenen und dialogbereiten Menschen zu treffen. Es ist ein Gewinn. Bleiben wir also im Gespräch! 

Das sagt mein Gegenüber über das Gespräch

„Das Gespräch war lehrreich und heiter. Eine Bereicherung. Ausgehend vom Islam habe ich über das Christentum Neues gelernt. Auch der Katholizismus hat noch Reformbedarf in Bezug auf die Frauenordination und das Zölibat, ist allerdings trotzdem in seiner Theologie dem Islam in seinen Hauptströmungen überlegen. Ich habe auch erfahren, dass v.a. die traditionelle Rollenverteilung in der Erziehung von Kleinkindern hinterfragungsbedürftig ist und die Väter bereichern könnte, wären sie in der Lage oder bereit, sich dazu mehr einzubringen. Zugleich könnte das die Mütter dieser Kinder in ihren Brotberufen fördern. Die weithin prognostizierte Reduktion der Erwerbsarbeit durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz könnte dafür auch nützlich sein. Meine Erwartungen an den Gesprächspartner sind mehr als erfüllt worden.“
Dr. Albert Wittwer, Nüziders

Eine Nachlese und viele Kommentar-Postings zu „Österreich spricht“ gibt es unter derstandard.at/oesterreichspricht

(aus dem KirchenBlatt Nr. 42 vom 18. Oktober 2018)