Aus der Reihe "Welt der Religionen" von Aglaia Poscher-Mika.

Sonntag - der Tag der Woche, an welchem wir die Fülle genießen dürfen. Gott selbst ruhte an diesem Tag, so steht es in der biblischen Schöpfungsgeschichte Genesis: „Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte.“ (Gen 2,3)

Und wir Menschen dürfen an diesem geheiligten Tag unseren Schöpfergott nachahmen, indem wir innehalten und uns beschenkt wissen. Nach altem Brauch wird am Vorabend des Sabbat in jüdischen Familien ein Glas bis zum Überfließen mit Rotwein befüllt, als Zeichen der überfließenden Güte Gottes.

Die Gelehrte und Naturmystikerin Hildegard von Bingen sah in der Fülle der warmen Jahreszeit ein klares Zeichen von Gottes Gnade: denn ganz egal auf welchen krummen oder geraden Pfaden sich der Mensch befindet, Gott schenkt ihm Jahr für Jahr den neuen Reichtum, die Nahrung und die Sinnlichkeit der Natur. Schon damals schien sich der Mensch ausbeutend der Natur und den Tieren gegenüber zu verhalten. „Die Kreatur schreit gegen den Menschen auf“, formulierte Hildegard von Bingen. So stimmte es diese weise Frau, welche in ihren Visionen der Zeit des Mittelalters weit voraus war, besonders verwunderlich und zugleich dankbar, dass Gott all seine Geschöpfe Jahr für Jahr wieder so reich beschenkte.

Diese Großzügigkeit ist für uns Menschen durchaus nachahmenswert. Und sie kann sich in Vergebung äußern, wenn wir selbst mit unserer Güte, unserem Wohlwollen freigiebig werden. Denn das Christentum ist eine Religion der Erlösung, sobald wir den Mut haben, uns selbst und unsere Mitmenschen gut sein zu lassen.

Die Energie der Vergebung kann uns Menschen beflügeln und uns neue Räume in unserem Leben erschließen lassen. Wir dürfen, ja wir müssen selbst entscheiden ob wir den alten Groll weiterhin als Last mittragen oder ob wir uns selbst und unseren Mitmenschen mit Mut und Liebe immer wieder neu begegnen. Vielleicht können wir über unseren eigenen Schatten springen und unsere emotionale Intelligenz neu erblühen lassen. Sicherlich werden wir damit Stärke beweisen, und damit auch anderen Mut zusprechen.

Aglaia Mika, SopranAglaia Poscher-Mika, MMA
Beauftragte der KatholischenKirche Vorarlberg
für den Interreligiösen Dialog;
Musiktherapeutin, Sängerin, Stimmbildnerin.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 28 vom 12. Juli 2018)