Am 27. April wird der "Konzilspapst" Johannes XXIII. heiliggesprochen. „Er ist der Papst meines Lebens“, sagt der katholische Publizist Hubert Gaisbauer über Johannes XXIII.

Bild rechts: Papst Johannes XXIII. (1881–1963) – Er war der „Papa buono“, der Freund der Menschen und des Lebens.  

Prof. Hubert GaisbauerProf. Hubert Gaisbauer
zählte zu den profiliertesten Radiopublizisten Österreichs
(Lebensbilder u. v. a.) und ist jetzt als
Autor und Vortragender tätig.

„Als er gewählt wurde, war ich in der Maturaklasse im Petrinum (Linz). Auf den strengen Pius war das wie eine Revolution, dieser freundliche Mann, der aussah wie unser Lateinprofessor.“ Was dieser „als Papst verkleidete Mensch“ (Marie Luise Kaschnitz) bewegte und wie er es bewegte, fasziniert Gaisbauer mit vielen anderen bis heute.

Interview: Hans Baumgartner

Für die einen ist Johannes XXIII. der Papst, der die Türen und Fenster der Kirche geöffnet und vom notwendigen „Aggiornamento“ (Verheutigung) gesprochen hat; andere sagen, er war ein sturer Konservativer. Was war er nun wirklich?
Gaisbauer: In seinen jungen Jahren, so gibt Roncalli selber zu, gab es bei ihm, dem rasch aufgestiegenen Bauernbuben, schon Züge einer besserwisserischen Sturheit, verbunden mit der Neigung, über andere zu urteilen. Besonders habe darunter seine Familie gelitten, bedauert er später. Von dieser Haltung hat er sich im Laufe der Jahre immer mehr gelöst und mit großer Disziplin das entwickelt, was ich die Roncallischen Tugenden nenne – seine Geduld, seine Güte und Menschenfreundlichkeit und sein tiefes Gottvertrauen. Dazu gehört auch, dass er im Gegensatz zur puristischen Praxis der damaligen Kirche meinte, man sollte weniger mit Strafen herumfuchteln – auch gegenüber „modernistischen“ Theologen –, sondern mehr auf das Heilmittel der Barmherzigkeit setzen.

Und wie sehen Sie das mit dem „Fenster- und Türen-Öffner“, der wollte, dass frischer Wind durch die alten Kirchenmauern weht?
Die Geschichte, dass er auf die Frage eines Kardinals, was er denn mit dem Konzil wolle, ein Fenster geöffnet hat, damit es durchzieht, ist wohl eher eine nette Legende. Denn, so sein langjähriger Sekretär Capovilla, er hasste Zugluft. Das Bild könnte auch für seine persönlichen Reformvorstellungen stehen: Frischluft ja, aber kein heftiger Zug. Richtig ist allerdings, dass er auf vielen Stationen seines Lebens Türen geöffnet hat, die vorher fest verschlossen schienen – durch seine Konzilianz, die lieber Brücken suchte und baute, anstatt sie abzubrechen, durch seine herzliche Menschlichkeit, durch sein großes Vertrauen darauf, dass der Hl. Geist ihm schon zur rechten Zeit eingeben werde, was zu tun ist.

Kardinal Oddi soll ihn einmal als den „stursten Konservativen auf Gottes Erden“ bezeichnet haben. Was steckt da dahinter?
Vielleicht wollte er damit jene beruhigen, die Angst davor hatten, das angekündigte Konzil könnte zu viel in Bewegung bringen. Und es gab ja auch Befürchtungen von reformerischen Kreisen, dass unter dem konservativen Johannes-Papst nichts weitergehe. Sie hatten die 1960 abgehaltene Römische Diözesansynode vor Augen, die in der Tat kein Signal des Aufbruchs war; im Gegenteil, viele sahen darin eine Art Vorwarnung, wie das Konzil laufen könnte: eine weitere Festschreibung des Althergebrachten. Wenn auf der Synode etwa die Kleidungsvorschriften und Verhaltensregeln für Priester weiter verschärft wurden, war das wohl kaum ein Aufbruchssignal. Für Johannes war das wohl auch eine Erfahrung, aus der er für das Konzil gelernt hat.

Persönlich war Roncalli sicherlich von der traditionellen Frömmigkeit und Theologie seiner Zeit geprägt; aber er war auch einer, der im Laufe seines Lebens immer bereit war, dazuzulernen und kirchliche Positionen auch unter dem Gesichtspunkt ihrer historischen Bedingtheit zu sehen und nach ihrem Kern für heute zu befragen.

Konzil - Papst Johannes XXIII.Am 11. Oktober 1962
eröffnete Papst Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil.
Dieser Tag ist auch sein
„Gedenktag“ als Heiliger.

Als „Vater des Konzils“ ist Johannes XXIII. für viele der große „Reformer“, für andere der „Zerstörer“ der Kirche. Was wollte er wirklich?
Als er am 25. Jänner 1959 in der Basilika St. Paul vor den Mauern seine Absicht kundtat, ein Konzil einzuberufen, gab es unter den anwesenden 17 Kardinälen ein „eindrucksvolles Schweigen“, wie er selbst sagte. Warum ein Konzil, wenn doch seit dem Ersten Vatikanum der Papst alle Macht hat, zu entscheiden, fragten viele. Ihm ging es aber nicht darum, irgendwelche Lehrsätze zu verkünden, sondern darum, die „Bunkerhaltung“ der Kirche gegenüber der modernen Welt zu überwinden und die Botschaft des Evangeliums so zu verkünden, dass sie von den Menschen der Zeit auch verstanden werden kann. Und weil es sich hier um ein „pastorales Projekt“ handelte, wollte er das nicht mit einigen wenigen am „grünen Tisch“ entwickeln, sondern gemeinsam mit den Bischöfen aus aller Welt. Deshalb hat er zu Beginn des Konzils dann auch zugunsten jener Bischöfe (Frings, Líenart, König, Döpfner u. a.) interveniert, die eine neue Zusammensetzung der Kommissionen forderten und nicht bereit waren, alles abzunicken, was von der römischen Zentrale vorbereitet worden war. Das war eine der entscheidenden Weichenstellungen für das Gelingen des Konzils.

Hatte Papst Johannes eine konkrete Vorstellung, wie das Konzil verlaufen wird?
Ich denke, er hatte zunächst einmal, wie er selber sagt, eine „Eingebung“, der er als Zeichen des Hl. Geistes vertraut hat. Dann hat er sehr darauf gedrängt, dass die Vorbereitung ins Laufen kommt. Andare avanti, lasst uns vorwärtsgehen, lasst uns machen – war ein geflügeltes Wort von ihm. Aber, so wie viele andere auch, hat er wohl nicht damit gerechnet, wie lange dieses Konzil dauert und wie viele Themen es aufgreifen wird. Er ist für mich wie Mose: er hat die Tür geöffnet und die Kirche an die Schwelle geführt, er hat das „gelobte Land“ aber nur von ferne gesehen.

Er hat aber nicht nur ins „gelobte Land“ geblickt, er hat dem Konzil auch einige zentrale Themen mitgegeben wie das Verhältnis der Kirche zum Judentum, zur Religionsfreiheit und den Menschenrechten. Warum gerade diese?
Ich denke, das hat viel mit seinem Leben zu tun: Als Päpstlicher Gesandter in Bulgarien und der Türkei und Griechenland hatte er gute persönliche Kontakte zu Orthodoxen, Juden oder Muslimen. Vom Vatikan aus wurde das missbilligend betrachtet, er aber war überzeugt, Brücken des Vertrauens sind tragfähiger als jede „Diplomatie“. Diese Brücken konnte er dann nutzen, als es darum ging, Juden aus Ungarn, Bulgarien und Griechenland zu retten und ihnen die Ausreise über Istanbul zu ermöglichen. Nach jüdischen Angaben waren es 24.000, die mit seiner Hilfe überlebt haben. Ab diesem Zeitpunkt hat sich auch sein theologisches Denken über Juden verändert, von jenen, die für den „Gottesmord verantwortlich“ sind, zu den „älteren Geschwistern im Glauben“.
Bei seinen Auslandseinsätzen lernte er auch die Religionsfreiheit als ein zentrales Menschenrecht achten. Und noch am Sterbebett sagte er: Die katholische Kirche muss für alle Menschen dasein, nicht um sie zu bekehren, sondern um für ihre Rechte einzutreten. Da hat er wirklich eine Tür aufgestoßen.

Das war es ja wohl nicht, warum ihn der deutsche Kanzler Adenauer als „dumm“ und „naiv“ bezeichnet hat. Was war es dann?
Das hat damit zu tun, dass dieser Papst versucht hat, den damals im Westen wie im Vatikan dominierenden strammen Antikommunismus – auch durch seine keineswegs blauäugigen, sondern guten Netzwerke – etwas durchlässiger zu machen. Der sowjetische Partei- und Regierungschef Chruschtschow verstand die Signale – und gratulierte dem Papst zu dessen 80. Geburtstag. Und Johannes bedankte sich dafür. Zu den entsetzten Kardinälen meinte er: Eine freundliche Antwort ist besser als eine Ohrfeige. Während der Kubakrise 1962 konnte der Papst diese Fäden aufgreifen und wertvolle Vermittlungsdienste leisten.
Dass die Welt damals am Abgrund stand, war wohl auch Anstoß für seine Friedensenzyklika „Pacem in terris“, die er, schon sehr krank, im Jahr seines Todes veröffentlicht hat. Dieser aufrüttelnde Appell zur atomaren Abrüstung ist für mich einer der wichtigsten Texte des 20. Jahrhunderts.

Heilig wird man ja nicht, weil man Papst ist oder ein Konzil einberuft. Was war es bei ihm?
Von „außen“ betrachtet gehört zur Heiligkeit die Verehrung durch die Gläubigen. Und verehrt wurde Johannes XXIII. vom Tag seiner Wahl an, weil hier ein Mensch von außerordentlicher Liebenswürdigkeit und Wärme
zu spüren war. „Papa buono“ nannten ihn die Römer, weil sie ihn bei seinen vielen Pfarrbesuchen wirklich als „guten Vater“ erleben konnten. Er strahlte das aus, was F. Nietzsche einmal forderte: Erlöster müssten sie aussehen, die Christen.

Von innen betrachtet würde ich sagen: Heilig-Werden lernt man nur – so wie auch das Glauben –, indem man sich ein Leben lang jeden Tag neu den Herausforderungen stellt – mit dem Blick auf das Evangelium. Bei ihm ist das nicht spektakulär; es ist seine tiefe, durchaus traditionelle Frömmigkeit, die auffällt, seine Liebe zu den Menschen, besonders zu denen „neben dem Weg“, seine Demut, auch da zu dienen, wo es schwerfällt – er wollte immer Pfarrer sein und nicht Bürokrat oder Diplomat – und seine Konsequenz in allem. Ich würde sagen, er war im alttestamentlichen Sinne ein „Gerechter“.

BUCHTIPP

Buchtitel Ein Heiliger kann jeder werdenHubert Gaisbauer, Ein Heiliger kann jeder werden.
Lebendig glauben mit Johannes XXIII.,
Verlag Tyrolia 2014, 271 Seiten, 19,95 € 

Als Sechsjähriger wollte Angelo Giuseppe Roncalli nach dem Vorbild seines Dorfpfarrers ein Heiliger werden. Hubert Gaisbauer zeichnet diesen Weg nach, nennt Vorbilder, Lebensbegleiter und prägende Stationen. Ein Buch zum Glaubenlernen.