Manfred Lütz hat den Klassiker „Einführung in das Christentum“ von Papst Benedikt XVI. (+31.12.2022) neu aufbereitet. Ein Interview.

Wolfgang Ölz

Warum ist ihre Neufassung der „Einführung ins Christentum“ das Buch der Stunde?
DDr. Manfred Lütz: Weil die vor allem in Deutschland sichtbare Krise der katholischen Kirche das Christentum selber mit in den Abgrund zu reißen droht. Wir müssen über das Christentum wieder ganz neu aufklären und die „Einführung in das Christentum“ von Joseph Ratzinger war das glänzend geschriebene Buch eines jungen Theologen, das ein Weltbestseller wurde, weil es den christlichen Glauben für moderne Menschen verständlich machte. So ein Buch brauchen wir gerade jetzt für Christen, die nicht mehr wissen, was sie eigentlich glauben, und für Atheisten, damit sie die christlichen Grundlagen unserer Gesellschaft verstehen.

Warum braucht es heute eine Rückbesinnung auf das Wesentliche des christlichen Glaubens wie es in ihrer noch von Josef Ratzinger freigegebenen Aktualisierung des Klassikers „Einführung in das Christentum von 1968“ geschieht, einem der einflussreichsten Texte der jüngsten Theologiegeschichte?
Lütz: Das Buch war 1968 aus einer Vorlesungsreihe entstanden, also für ein akademisches Publikum geschrieben. Ich habe Papst Benedikt ein Jahr vor seinem Tod vorgeschlagen, seine „Einführung“ für ein breiteres Publikum zu überarbeiten und war ehrlich gesagt ganz überrascht, dass er dem sofort ohne Umschweife zugestimmt hat. Ich habe also die Anmerkungen und den wissenschaftlichen Apparat weggelassen, die theologischen Sackgassen, denen er widerspricht, gestrichen, Fremdworte übersetzt, aber alles, was er positiv über das Christentum schreibt, so stehen gelassen, so dass die gesamte Substanz des Buches auf 250 Seiten erhalten ist. Damit es allgemeinverständlich ist, habe ich es kritisch von meinem Friseur lesen lassen. Papst Benedikt hat das Ergebnis sozusagen noch persönlich approbiert. Das Besondere dieses Buches ist, dass da nicht irgendein Theologe seine höchstpersönlichen Auffassungen vom Christentum zum Besten gibt, sondern dass da ein junger moderner Theologe Menschen von heute den Glauben der Kirche verständlich macht. Joseph Ratzinger ist in Kenntnis dieses Buches von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising ernannt worden, von Papst Johannes Paul II. zum Präfekten der Glaubenskongregation und viele der Kardinäle, die ihn 2005 zum Papst wählten, kannten dieses Buch sehr gut, das in alle Weltsprachen übersetzt worden war. Wer diese 250 Seiten gelesen hat, weiß also, was die katholische Kirche glaubt.

Warum wird inzwischen auch „gescheiten Atheisten“ angst und bange, dass das Christentum, das immer noch Werte-Grundlage unserer westlichen Gesellschaftsordnung ist, endgültig verdunsten könnte?
Lütz: Der Philosoph Jürgen Habermas plädiert für „rettende Übersetzungen“ der jüdisch-christlichen Begrifflichkeit von der „Gottebenbildlichkeit“ des Menschen, um den Menschenwürdebegriff zu fundieren. Viele wissen nicht mehr, dass die Vorstellung von der gleichen Würde jedes Menschen erst durch das Christentum die Welt erobert hat, auch Mitleid ist eine christliche „Erfindung“, die Griechen und Römer kannten kein Mitleid mit den Schwachen, sondern nur Verachtung für Leute, denen die Götter kein Glück zugedacht hatten.

Ist Peter Seewalds „Benedikt XVI. Ein Leben auf 1147 Seiten“ die beste Einführung in den Werdegang des verstorbenen Papstes?
Lütz: Ja, da haben Sie völlig recht. Auch in Seewalds Gesprächsbüchern erlebt man Benedikt so wie er war: bescheiden, humorvoll, geistreich und rückhaltlos offen.

Muss jede/r Georg Gänsweins „Nichts als die Wahrheit“ kennen?
Lütz: Jeder ist ja anders, für manche Menschen sind sicher diese persönlichen Berichte ein möglicher Zugang, zumal das Buch auch viele Texte Benedikts enthält.

Was sind die edlen Aspekte des christlichen Glaubens?
Lütz: Das kann ich in einem Interview nicht alles benennen, das muss man am besten in der „Kurzen Einführung...“ lesen.

Schon in der „Einführung in das Christentum“ ist der Glaube an ein konkretes Du: Jesus Christus, zentral. Ist hier schon das späte Hauptwerk zu Jesus von Nazareth angekündigt?
Lütz:  Da haben Sie sicher recht. Die Christen glauben ja nicht an irgendeine diffuse Energie, sondern an einen persönlichen Gott, Christentum ist Nachfolge Jesu.

Warum sind viele Menschen durch die „Einführung ins Christentum“ zum Glauben gekommen?
Lütz: Weil das nicht irgendein Sachbuch ist, sondern weil man da miterleben kann, wie ein gescheiter junger Mensch um den Glauben ringt und ihn dann in oft geradezu poetischer Sprache zum Ausdruck bringt.

Wie können wir in das Experiment, das der Glaube ist, nach Ratzinger einsteigen?
Lütz:  Indem wir bereit sind umzukehren, unser bisheriges Leben in Frage zu stellen und uns zu öffnen.

Was sagt uns Platons Ahnung des Kreuzestodes Christi 400 Jahre vor der Hinrichtung des Gottessohnes?
Lütz:  Dass die Ahnung Gottes da war seit es Menschen gibt und mit der Zeit immer mehr auf Christus hindeutete. Die Kirchenväter nannten das die Pädagogik Gottes.

Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, nicht der der Philosophen. Was ist damit von Blaise Pascal nach Ratzinger gemeint?
Lütz:  Gott ist nicht ein philosophisches Prinzip, sondern ein lebendiger, personaler Gott, zu dem man Du sagen kann. Blaise Pascal hat Atheisten, die zum Glauben kommen wollten, geraten, einfach zu beten, dann könne es geschehen, dass sich plötzlich eine Beziehung zu diesem Du einstellt.

Der Text ist, wie sie schon gesagt haben, eine Vorlesung aus dem Jahr 1968 in Tübingen.
Wo hat sich die Geschichte bestätigt?
Wo hat Josef Ratzinger im Rückblick geirrt? Was ist zeitbedingt, wie etwa die Kritik am damaligen unkritischen Fortschrittsglauben?
Lütz:  Natürlich atmet dieses Buch noch den Optimismus eines jungen Theologen kurz nach dem II. Vatikanischen Konzil, aber seine Prognosen sind nüchtern und lesen sich heute manchmal atemberaubend aktuell. Wenn mich morgen ein Atheist fragen würde, was er lesen solle, um zu erfahren, was der christliche Glaube ist, würde ich ihm ohne Zögern diese „Kurze Einführung in das Christentum für alle“ empfehlen.

 

Das Christentum und die Kirche verständlich erklärt
Die Einführung in das Christentum von Prof. Joseph Ratzinger


Der Psychiater, Kabarettist und Autor Manfred Lütz hat die „Einführung in das Christentum“ für alle Interessierten – Christen wie Atheisten – neu herausgebracht. Der Text wurde auf die Kernaussagen gestrafft, die Diskussion theologischer Irrwege wurde weggelassen, Fachbegriffe übersetzt. Papst Benedikt persönlich hat den Text ausdrücklich gutgeheißen. Lütz gilt seit seinem Bestseller „Der blockierte Riese“ als brillanter Diagnostiker der kath. Kirche.

Manfred Lütz: Joseph Ratzinger. Kurze Einführung in das Christentum. Kösel Verlag 2023, S. 256, € 22,62