Beim Diözesanforum in Dornbirn geht es an diesem Wochenende um die Zukunft der Pfarren. Der Wiener Pastoraltheologe Johann Pock spricht im KirchenBlatt-Interview über gesellschaftliche Trends, Werte und die Kirche als „global player“.
In allen Entwicklungsprozessen - Stichwort „Change Management“ - geht es um die Zukunft. Das betrifft den Staat genauso wie die Wirtschaft, aber auch die Kirchen. Wie können große Institutionen zukunftsfit werden?
Johann Pock: Alle Institutionen, so auch die Kirchen, versuchen mit aktuellen Veränderungen Schritt zu halten. Dazu gehört, die eigenen Ressourcen und Potentiale gut zu kennen. Diese bestehen in den Personen, die dazugehören, aber auch in den materiellen und immateriellen Ressourcen wie Fähigkeiten, Patente, Vermögen, usw.
Genauso wichtig ist aber, sich der eigenen Vision zu vergewissern und daraus immer wieder neu die „Mission“, den „Sendungsauftrag“ zu formulieren. Schließlich gehört zu einer Zukunftsentwicklung eine gute Analyse der gegenwärtigen Situation - und der Vergangenheit, die zu dieser Situation geführt hat.
Kommen wir auf die gesellschaftliche und auf die individuelle Ebene: Mit welchen Gefühlen und Erwartungen blicken die Österreicherinnen und Österreicher in die Zukunft?
Pock: In der jüngsten Wertestudie (veröffentlicht von Christian Friesl und seinem Team - „Quo vadis Österreich“) wird deutlich, dass die Österreicher/innen grundsätzlich sehr zufrieden sind mit ihrem Leben. Die Grenzen von Arbeit, Freizeit und Familienzeit verschwimmen - und die Arbeit verliert an Bedeutung. Freunde und Freizeit hingegen gewinnen an Bedeutung. Die Menschen leben in einer immer stärker ausdifferenzierten Gesellschaft - und leben hier auch „in vielen Welten ihr spezifisches Leben“. Religion nimmt hingegen in der Bedeutung ab - hier erwarten sich immer weniger Menschen einen entscheidenden Beitrag für ihr Leben.
Was sind momentan überhaupt die gesellschaftlich großen Trends?
Pock: Seit mehreren Jahren gehören die Globalisierung und die Individualisierung zu den Megatrends. Auf der negativen Seite merken wir dies z. B. am Klimawandel oder auch in den großen wirtschaftlichen Zusammenhängen. Auf der positiven Seite nützen viele mittlerweile die weltweite Vernetzung über das Internet oder durch den fast grenzenlosen Warenhandel. Die Individualisierung als ein zentrales Kennzeichen westlicher Gesellschaft - mit dem Motto der „Freiheit der Wahl“ - breitet sich mittlerweile auch weltweit aus.
Ein weiterer Trend ist die Urbanisierung. Immer mehr Menschen leben in den Städten, und die Art des städtischen Lebens - mit starker Vereinzelung bei gleichzeitiger Nähe - verändert auch die Menschen selbst und die Werthaltungen.
Schließlich zählen Trendforscher auch die „Vernetzung“ zu den großen Trends: Digitale Kommunikationstechnologien verändern das Leben. Man muss nur schauen, wie sich bis in die privatesten Bereiche hinein das Smartphone eingenistet hat und Tagesabläufe und Rituale verändert.
Was davon ist schon in der Kirche, den kirchlichen Gemeinschaften oder den Pfarren angekommen?
Pock: Die kirchlichen Gemeinschaften sind selbstverständlich Teil dieser Trends. Gerade im Bereich der neuen Kommunikationsmittel hinkt die Kirche jedoch ein wenig hinterher. Dabei ist die katholische Kirche ja einer der ersten „global player“ und hat hier eine jahrhundertelange Erfahrung in weltweiter Vernetzung. Dies zeigt sich z.B. konkret in Pfarrpartnerschaften, in Aktionen im Weltkirche-Monat usw. Gerade die Individualisierung macht der Kirche jedoch zu schaffen, da sich immer mehr Menschen auch in der Gestaltung ihres Glaubenslebens bzw. ihrer Spiritualität sehr individuell verhalten und sich nicht mehr so leicht an eine Glaubensgemeinschaft binden möchten.
Schließlich verändert die Urbanisierung kirchliches Leben - aber auch hier zeigt ein Blick in die Geschichte, dass gerade die Anfänge des Christentums in den Städten gelegen haben: Das Christentum hat sich entlang der großen Städte des römischen Reiches ausgebreitet. Und schließlich ist das Motiv der „Stadt Jerusalem“ als Bild für das endzeitliche Heil ein zentrales Bild im Neuen Testament.
Alle reden über Ökologie und Klimawandel, Wirtschaftsstandort und Zuwanderung, sozialen Zusammenhalt und Wohlfahrtstaat. Was sind die wichtigsten Zukunftsthemen, die - auf sachlicher Ebene - auf uns zukommen?
Pock: Für Österreich gehört zu den wichtigsten Zukunftsthemen neben dem Genannten auch die Frage des Generationenvertrags - also des Verhältnisses von Verdienenden und Pensionisten. Dazu kommt das Thema der Pflege: Aufgrund der verbesserten medizinischen Möglichkeiten ist die Lebenserwartung stetig angestiegen, zugleich bedeutet dies aber auch, dass immer mehr Menschen im hohen Alter nicht mehr autonom leben können. Um den Lebensstandard aufrecht zu erhalten, müssen aber bei den meisten Familien beide Partner einem Beruf nachgehen - wodurch eine Pflege zu Hause nicht mehr möglich sein wird.
Aus religiöser Sicht wird aber auch die Frage nach dem Verhältnis von Religionen und Öffentlichkeit nicht unwesentlich sein, da das Zusammenleben nicht zuletzt durch religiöse Selbstverständnisse geprägt wird.
Wenn es über die Welt hinaus nichts gibt, dann ist sozusagen das „Leben die letzte Gelegenheit“. Blicken religiöse Menschen gelassener in die Zukunft als Agnostiker oder Atheisten?
Pock: Ob nun religiöse Menschen einen gelasseneren Blick in die Zukunft haben als nichtreligiöse Menschen, lässt sich nicht nachprüfen. Ich misstraue Religionen, die nicht die Gegenwart gut gestalten möchten, sondern auf eine mögliche gute Zukunft vertrösten. Hier gibt es sehr gute christliche Vorbilder, die darauf hinweisen, dass entscheidend eine gute Gestaltung der Beziehungen - zum Nächsten und zu Gott - ist. Hier treffen sich dann Humanisten und religiöse Menschen. Ich sehe den Unterschied darin, dass man mit Leid und mit Ungerechtigkeiten in diesem Leben leichter umgehen kann, wenn es auch „danach“ noch etwas gibt.
Vielen Dank für das Gespräch. «
Zur Person
Mag. Dr. Johann Pock ist Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 41 vom 10. Oktober 2019)