Hand aufs Herz: Wie oft wurden Sie von Ihren Eltern oder Großeltern mit dem Spruch „Bis zur Hochzeit ist alles wieder gut“ über einen Schmerz hinweggetröstet? Das mag bei manchen Wunden vielleicht stimmen, doch es gibt auch welche, die bleiben. Und die waren Thema des Vorarlberger Hospiz- und Palliativtages letzte Woche in Dornbirn.

Wunden und Narben sind Teil jeden Lebens. „Leider“, werden einige hinzufügen. Dennoch sind sie bedeutsam. „Keine Wunde ist in mir so vernarbt, dass ich sie ganz vergessen könnte“, erklärte einst der italienische Dichter und Geschichtsschreiber Francesco Petrarca. Und vergessen fällt oftmals nicht nur bei körperlichen, sondern vor allem bei seelischen Narben schwer.

Wunden
Selbstverständlich ging es bei der elften Hospiz- und Palliativtagung um körperliche Wunden, deren Behandlung und Versorgung, aber auch die seelischen, die meist weit weniger offensichtlich sind, waren Thema. Und damit auch die Fragen wie man mit der körperlichen Versehrtheit umgehen kann und welche Kommunikation es dafür braucht.

Spiritual Care
Spiritual Care, zu Deutsch Spirituelle Begleitung, ist mehr als nur ein Modewort, hielt der Jesuit, katholische Priester und Mediziner Dr. Eckhard Frick in seinem Vortrag fest. Es ist die „Sorge der Gesundheitsberufe und der ehrenamtlich Helfenden für die spirituellen Wünsche, Krisen, Bedürfnisse und Sehnsüchte kranker Mitmenschen“. Und wurde von der Weltgesundheitsorganisation damit klar als eine Säule der Palliativen Betreuung definiert.

Gläubig?
Denn auch wenn nicht jeder Mensch klar einer Religionsgemeinschaft angehört oder angehören will, ist jeder auf seine Art auf einer „spirituellen Suche“ - insbesondere am Lebensende. Diese manifestiert sich zunehmend in einer Art „Fleckerlteppich-Spiritualität“, in der zusammengesucht wird, was gefällt. Dass Spiritualität auch im Hospiz- und Palliativbereich wichtig ist und kein „Luxus“, belegen Studien, so Frick. Wenn der Arzt seine/n Patienten/in nicht spirituell unterstützt, würde das Geld hingegen aus dem Fenster geworfen.

Verdrängungskünstler
Um Narben ging es auch beim Vortrag des Psychotherapeuten Koen Behets, der aus persönlicher Erfahrung spricht, wenn er erklärt, dass alte (seelische) Narben plötzlich wieder schmerzen können. Fakt ist nämlich, dass der Mensch als Verdrängungskünstler „genial aufs Überleben eingerichtet“ ist. Das Gehirn sortiert Überflüssiges und Unangenehmes aus und kehrt es mithilfe des Unterbewusstseins unter den Teppich. Dort schlummert es vor sich hin, bis Träume, Hypnose oder neue (traumatische) Ereignisse alles wieder an die Oberfläche befördern. Und das müssen keine großen sein.

Geteiltes Leid
Um mit den schmerzenden Narben umgehen zu können, greifen Menschen dann gerne auf vertraute Verhaltensmuster zurück. Bewältigen, indem man alles unter Kontrolle zu halten versucht, lautet das Zauberwort. Und dazu müssen wir verstehen, wie es funktioniert und ein harmonisch ausgeglichenes Verhältnis mit der Welt erreichen. Professionelle Begleitung kann dabei sehr hilfreich sein, denn bekanntlich ist „geteiltes Leid halbes Leid“. Und dessen größte Aktivität besteht im Zuhören und der bedingungslosen Akzeptanz des Gegenübers.

Kommunikation
Neben dem Zuhören ist aber auch die richtige Kommunikation wichtig - oder in unserem Fall: heilsame Methoden der Kommunikation. Und wie der Soziologe Paul Watzlawick schon wusste, kann man nicht nicht kommunizieren. Sprich: Auch Verhalten ist Kommunikation. Oder wie es der Kommunikationstrainer Ronny Hollenstein in seinem Vortrag formuliert: „Nicht nur was ich sage ist wichtig, sondern auch wie und mit welcher Einstellung.“

Würde in Gefahr
Keine Technik der Welt wird schlimme Nachrichten zu freudigen Ereignissen machen, nimmt Hollenstein gleich vorweg. Deshalb muss man dem Empfänger dieser Nachrichten zugestehen, dass er verletzt sein darf und auch daran festhalten, wenn dieser destruktiv reagiert. Schließlich resultiert dieses Verhalten nur aus der Tatsache, dass die Würde eines Menschen in Gefahr oder bereits verletzt ist. Und die möchte jeder verteidigen. „Offene Gespräche können also nur dann geführt werden, wenn die Würde der Gesprächspartner nicht gefährdet ist“, resümiert Hollenstein. Und um diese zu führen bedarf es dreier „Grundinvestitionen“ in Beziehungen.

Trias
Aufmerksamkeit, Respekt und Vertrauen lautet diese Trias. „Aufmerksamkeit bedeutet zuzuhören“, schließt Hollenstein an Behets an. Und zwar ohne nur das zu hören was wir verstehen oder akzeptieren wollen. Respekt bedeute dem Anderen auf Augenhöhe zuzugestehen, dass er anders ist und sich auch anders verhalten wird. Unterschiede wertzuschätzen und zu akzeptieren. Vertrauen kann immer nur investiert werden und so müsse man dem anderen eine „grundsätzlich gute Absicht und für sein Verhalten gute Gründe unterstellen“.

Kunst und Kultur
Mehr „kulturell“, aber nicht weniger kommunikativ wurde es schließlich beim Vortrag des Literaturwissenschaftlers Dr. Martin Sexl - schließlich können wir mit Literatur und Bildern vieles ausdrücken, das nicht ausgesprochen werden kann oder will - wie das Sterben und der Tod. Diese sind in der Kunst- und Kulturgeschichte sehr präsent und können somit vermitteln, wie in früheren Kulturen mit diesen Themen umgegangen wurde, wagt Sexl einen eindrucksvollen Blick in die Vergangenheit.

Fremd
Während der Tod eines Mitmenschen früher auch den Tod einer Arbeitskraft oder eines zusätzlichen Essers bedeutete, hat das Sterben heutzutage meist „nur“ noch eine emotionale Komponente. Das Sterben hat sich unserer Sinneserfahrung entzogen und ist uns „fremd“ geworden. Ohne die Möglichkeit, Erfahrungen darüber auszutauschen, macht es uns Angst. „Die Literatur ist fähig uns davon zu erzählen, was wir nicht erfahren können“, so Sexl. Sie erleichtert das Sterben nicht, macht es aber „annehmbar“. Die Sprache regt die Vorstellung an, gibt uns Bilder um es zu verstehen und wir bekommen eine Sprache dafür, was uns berührt. Oder: „Literatur heilt offene Wunden nicht, aber sie führt zu mehr Verständnis.“