Ein Nachruf würdigt einen Menschen, er fällt kein Urteil.

Joseph Aloisius Ratzinger, am Karsamstag 1927 in Marktl/Inn geboren, wurde mit dem frischen Wasser der Osternacht getauft. Seine Schulzeit fiel in die NS-Zeit, dessen Totalitarismus sich die Familie durch einen Rückzug nach innen, in den bergenden katholischen Glauben, zu entziehen suchte. Diese Einkehr in sich selbst wird er mit seinem Kirchenvater, dem Heiligen Augustinus, über den er 1953 promoviert, vertiefen und immer wieder neu ausgestalten. Die Kirche müsse deshalb immer zuerst eine innere Reinigung wagen, bevor sie glaubhaft zu verkünden vermag. Mir scheint, dass er an der Erfahrung einer mangelnden kirchlichen Selbstreinigung schließlich als Papst gescheitert ist.

Flakhelfer, Konzilstheologe, Papst

Als Flakhelfer musste Josef Ratzinger nach München. Am Ende des Krieges in die Wehrmacht eingezogen, geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Mit seinem Bruder Georg, dem späteren Leiter der Regensburger Domspatzen, bereitete er sich in Freising auf den priesterlichen Dienst vor. Die Brüder empfingen durch Kardinal Faulhaber am 29. Juni 1951 die priesterliche Ordination. Trotz oder gerade wegen der ersten Zurückweisung seiner Habilitation über Bonaventura (1957) gehörte er bald mit Hans Küng und anderen zu jener jungen Theologengeneration, die vor, während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) den Weg der Kirche prägte – in aller Spannung und Gegensätzlichkeit. Bonn (1958), Münster (1963), Tübingen (1966) und Regensburg (1969) waren seine akademischen Stationen, bevor er 1977 Erzbischof von München wurde. Johannes Paul II. drängte ihn, 1982 die Aufgabe als Präfekt der Glaubenskongregation zu übernehmen. In diesem Amt prägte er wesentlich den Kirchenkurs mit, bevor er selbst (2005) als Benedikt XVI. das Amt des Bischofs von Rom antreten musste. Mit seinem freien Rücktritt (2013) setzte er ein epochales Zeichen dafür, dass auch dieses Amt als Dienst in der Kirche gedacht ist und daher aufzugeben ist, wenn die Kräfte versagen sollten. Seit 2013 lebte er zurückgezogen im Vatikan, in einer kleinen, klosterähnlichen Gemeinschaft. Georg Gänswein, den er kurz vor seinem Rücktritt noch zum Erzbischof weihte, leitet die familienähnliche Gruppe. Auf mehr oder weniger glückliche Interventionen wollte er aber seitdem nicht verzichten.

Reformer

Dass er als Papst eine dreibändige Suche nach dem Antlitz Jesu Christi veröffentlichte, war ihm ein Herzensanliegen und für mich eine „gefährliche“ Erinnerung an die gesamte Kirche, Christus in die Mitte zu stellen. In der Verantwortung für die Gesamtkirche als Bischof, Präfekt der Glaubenskongregation und als Papst war und blieb er ein Reformer, aber in Kontinuität mit dem Glauben der Kirche aller Zeiten. Nach dem Konzil konnte er den Reformeifer vor allem in der Liturgie nur als Verlust ansehen. Papst Benedikt suchte die Versöhnung mit Erzbischof Marcel Lefebvre. Das gelang nicht, erhöhte nur die Spannungen innerhalb der Kirche. Eine ähnliche Weite war gegenüber anderen Richtungen nicht zu finden: die liberale Richtung katholischer Theologie (Hans Küng), die befreiungstheologische (Leonardo Boff und Jon Sobrino) und die religionstheologische (Jacques Dupuy) wurden verurteilt oder abgemahnt.

Verneigung

Überschattet blieb seine Zeit als Bischof und Papst vor allem durch die Missbrauchskrise. Auch wenn er erste entscheidende Schritte im Missbrauchsskandal setzte, blieben seine Maßnahmen wohl nicht entschieden genug. Der Umgang mit dem Münchener Gutachten von 2022 muss als unglücklich angesehen werden. In einer Würdigung müssen kritische Punkte deshalb zur Sprache kommen, weil wir uns nur so vor ihm verneigen können, ohne uns krümmen zu müssen: Requiescat in pace!

Roman SiebenrockRoman A. Siebenrock
Professor i. R. der Systematischen Theologie

Uni Innsbruck