„Jene, die in ihrem Leben dem Pfad des Bösen in solch einer Form folgen wie es die Mafiosi tun, leben nicht in Verbundenheit mit Gott. Sie sind exkommuniziert.“ Erst im Juni hat Papst Franziskus mit diesen Worten die Mafia scharf angegriffen. Doch seither gab es schon zwei Prozessionen, bei denen mit Madonnen-Statuen Mafia-Bossen die Ehre erwiesen wurde. So logisch und klar die Worte des Papstes sind: In Süditalien stellt die Mafia die Kirche vor enorme Herausforderungen.

von Heinz Niederleitner

zum Interview mit Mafia-Forscherin Alessandra Dino

Auf das kleine Marienbild tropft das Blut aus dem Finger des neuen Mafioso. Er zündet das Bild an mit den Worten: „Ich verbrenne Dich als Papier, ich verehre Dich als Heilige. Wie dieses Papier brennt, so brenne mein Fleisch, wenn ich die Cosa Nostra verrate.“ So schildert die Kriminologin Letizia Paoli im Buch „Mafia Brotherhoods“ die Aufnahme in eine sizilianische Mafia-Familie. Religiöse Symbole sollen dem Ritual sakralen Wert verleihen. Die Mafiosi nennen es sogar „Taufe“.

Die Welt der italienischen Mafia ist voller Bezüge zum Katholizismus. Selbst Mordaufträge können religiöse Anrufungen beinhalten. Viele Mafiosi erscheinen als aktive Gläubige, nehmen an Prozessionen teil, besuchen die Messe, spenden großzügig. Der süditalienische Marienwallfahrtsort Polsi ist jährlich Schauplatz eines Treffens der ’Ndrangheta, wie die kalabrische Mafia heißt. 2010 klagte der Ortsbischof offen darüber, dass Polsi „von einem Ort des Glaubens in einen Ort der Illegalität verwandelt“ werde.

Prozessionen
Auch „Ehrerbietungen“ an Mafiosi bei Prozessionen, wie sie aktuell diskutiert werden, sind kein neues Phänomen: Religiöse Umzüge seien für die Mafiosi eine Möglichkeit, die Macht des Clans („Familie“) zu zeigen, analysiert die Soziologin Alessandra Dino in ihrem Buch „La mafia devota“. „Prozessionen waren immer mehr als reine Frömmigkeit“, sagt auch Pater Bernd Hagenkord, Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan. Es sei aber unbedingt notwendig, die Kriminalität hinauszubekommen: „Wenn wir etwas Religiöses tun, darf das mit Kriminalität nichts zu tun haben.“

Kirche und Mafia – da geht es nicht nur um einstige Skandale rund um die Vatikanbank, sondern auch um das Leben in süditalienischen Pfarren. Die Mafiosi, schreibt Mafia-Experte Isaia Sales in „I preti e i mafiosi“, seien religiöse Menschen. Der Inhalt ihrer „Religion“ steht freilich in ganz scharfem Widerspruch zum christlichen Evangelium.

Werte
Berührungspunkte zwischen dem süditalienischen Katholizismus und dem Wertegebäude der Mafia gibt es dennoch: Beide haben sehr konservative Ansichten in den Themenbereichen „Ehre“, Familie oder Sexualität. Ähnlich sieht es politisch aus: Sowohl Mafia als auch Kirche hatten großes Interesse, die einstige christdemokratischen Partei (Democrazia Cristiana), die nicht zuletzt wegen ihrer Mafia-Skandale unterging, zu fördern – und so den Kommunismus zu bekämpfen.

Der Kirche steht in Süditalien die Mafia seit fast zwei Jahrhunderten als gesellschaftliche Realität gegenüber: Mafiöse Strukturen entstehen, wo der Staat schwach ist. In einer Situation, wo Armut und das Recht des Stärkeren vorherrschen, sind Menschen geneigt, sich jenen zu unterwerfen, die Ordnung herstellen – auch, wenn es eine kriminelle Ordnung ist. Angesichts extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit in Süditalien ist die Verlockung groß, für die kriminellen Geschäfte der Mafia-familien zu arbeiten.

Seelsorge im Mafia-Gebiet
Und wie ging die Kirche mit dieser gesellschaftlichen Realität um? Auf der Ebene der Pfarren finden sich erklärte Anti-Mafia-Priester und zurückhaltendere Pfarrer, es gab aber auch hässliche Grenzüberschreitungen. Bekannt ist etwa der Priester Agostino Coppola, der im Untergrund die Heirat des gesuchten Mafia-Bosses Totò Riina möglich machte; oder Pater Mario Frittitta, der einem anderen gesuchten Mafia-Boss in seinem Versteck seelsorglichen Beistand leistete. Er musste dafür vor Gericht, wurde aber in dritter Instanz freigesprochen, weil er angab, er habe den Mafioso zum Besseren bekehren wollen.

Im Gegensatz zu den Extremfällen Coppola und Frittitta stehen die Anti-Mafia-Priester, die vor allem mit Jugendprojekten gegen die Arbeitslosigkeit der Mafia die Rekrutierung schwer machen wollen. Einer von ihnen, Giuseppe Puglisi, wurde im Vorjahr selig gesprochen. Zwei Mafiabosse hatten ihn 1993 in Palermo erschießen lassen. Ein anderer Priester, Luigi Ciotti, ist Gründer der Anti-Mafia-Bewegung „Libera“.

Und auf höherer kirchlicher Ebene? Zwar hat die Kirche schon in den 1940er Jahren das organisierte Verbrechen verurteilt. Aber noch in den 60er Jahren spielte Kardinal Ernesto Ruffini, Erzbischof von Palermo, das Mafia-Problem herunter. Beobachter wie Isaia Sales stellen dann einen Wandel fest: Die Mauer des Schweigens durchbrach Kardinal Salvatore Pappalardo. Als Höhepunkt gilt dessen scharfe Verurteilung der Mafia beim Begräbnis des ermordeten Polizeigenerals Carlo Alberto dalla Chiesa 1982. Pappalardo warf wiederholt der Politik in Rom vor, den Süden mit dem Mafiaproblem alleine zu lassen. Er fand in Papst Johannes Paul II. einen Gleichgesinnten: „Im Namen Gottes: Kehrt um!“, rief der Papst die Mafiosi 1993 auf Sizilien auf. Er erinnerte sie, dass sie sich vor dem Gericht Gottes für ihre Taten verantworten müssen.

„Mess-Streik“
Gehört haben die Mafiosi Johannes Paul II., aber haben sie ihn auch verstanden? Die Beschädigung der Lateranbasilika in Rom, der Bischofskirche des Papstes, durch eine Bombe noch im selben Jahr gilt als ihre Antwort. Und die heurige Feststellung von Papst Franziskus, dass die Mafiosi exkommuniziert seien, hat jedenfalls zu einem „Streik“ von rund 200 Mafiosi im Hochsicherheitsgefängnis von Larino geführt: Sie besuchen die Messe nicht mehr. Ob sie das aus Protest oder aus Einsicht tun? Und ob ihnen klar ist, dass man den „Pfad des Bösen“, wie es Papst Franziskus genannt hat, auch verlassen kann?

Initialzündung
„Es geht ja weniger darum, Urteile zu fällen, sondern darum, Menschen zu helfen, aus den Mafia-Verstrickungen herauszukommen“, sagt Pater Bernd Hagenkord. Der Debatte um die Mafia-Referenzen bei den Prozessionen kann Hagenkord etwas Positives abgewinnen, auch wenn die Kirche mitunter Kritik einstecken muss: „Es wird klar, wer gegen die Mafia arbeitet. Und es ist eine weitere Initialzündung, um deutlich zu machen: Mit der Mafia will die Kirche nichts zu tun haben.“

 

„Ende der Zweideutigkeit“

Interview: Heinz Niederleitner

Alessandra DinoWelche Folgen haben die Anti-Mafia-Aussagen des Papstes? Darüber sprachen wir mit der Mafia-Expertin und Soziologin Alessandra Dino aus Palermo:

Papst Franziskus hat mehrmals gezeigt, wie wichtig ihm das Mafia-Problem ist. Wird das dem Anti-Mafia-Kampf in Pfarren und Diözesen neuen Schwung bringen?
Prof. Dino: Es ist wichtig, was Papst Franziskus zu dem Thema gesagt hat. Sein Engagement allein wird aber nicht reichen. Es ist eine Sache, was der Papst bei öffentlichen Anlässen sagt, und eine andere Sache, was vor Ort passiert. Ich hoffe, dass die Priester in den Pfarren der Mafia-Gebiete die Wichtigkeit des Kampfes gegen die Mafia erfassen. Viele von ihnen waren – auch wenn sie die Verbrechen verurteilten – mit den Mafiosi eher gnädig. Ich hoffe, diese Zweideutigkeit wird jetzt ein Ende haben.

Sind die Vorfälle bei Prozessionen eine Antwort der Mafia an den Papst? Oder erfahren sie jetzt lediglich mehr Aufmerksamkeit?
Sie könnten Reaktionen auf die Aussagen des Papstes sein. Denn für die Mafia sind Kirche und Religion sehr wichtig – symbolisch und konkret. Wenn der Papst stark gegen die Mafia Position bezieht, droht den Mafiosi der Verlust von Einfluss und Symbolen. Sie instrumentalisieren Religion ja auch, um sich als „gute Menschen“ darzustellen. Allerdings sollten wir in der Bewertung der Vorgänge vorsichtig sein: Medien können Dinge auch übertreiben.

Kritiker sagen, die Kirche habe zu lange zum Mafia-Problem geschwiegen. Wann begann das Anti-Mafia-Engagement?
Die Kirche begann sich der Mafiagefahr Anfang der 1980er Jahre wirklich bewusst zu werden. Es stimmt aber auch, dass das Wort „Mafia“ schon 1963 in einem Kirchendokument auftaucht: Nach einem blutigen Mafia Anschlag („Massaker von Ciaculli“) erkundigte sich Papst Paul VI. beim damaligen Erzbischof von Palermo, Kardinal Ruffini, ob es eine Verbindung zwischen Religion und Mafia gebe. Ruffini behauptete, es gebe keinerlei Beziehung. Es folgte eine Reihe weiterer Dokumente. Ich denke, die Kirchenleute verstanden zunächst das Problem nicht und waren zu sehr mit dem Kampf gegen die Kommunisten beschäftigt. Im Übrigen haben sich die Mafiosi als religiöse Menschen präsentiert und der Kirche Geld gespendet. Da war es für die Kirche schwer, eine klare Position zu beziehen.

Kann es sein, dass sich Mafiosi aus der Religion zurückziehen, da sich der Papst so klar gegen sie wendet?
Eine Antwort darauf ist schwierig, weil sich die Mafia gerade verändert. Für sie war es zumindest bisher immer wichtig, Religion zu instrumentalisieren. Allerdings gibt es das Beispiel von Matteo Messina Denaro. Dieser Mafia-Boss hat klar ausgesprochen, dass er seinen Glauben verloren hat. Ich denke, er wollte sich als eine Art „modernen“ Chef einer kriminellen Organisation darstellen.

Wie verändert sich die Mafia?
In Sizilien sieht es zum Beispiel danach aus, als hätte die Mafia erkannt, dass Gewaltanwendung für sie heutzutage nicht nützlich ist. Sie bewegt sich zusehends eher in Richtung Korruption. Die Reform der Vatikanbank ist in dieser Hinsicht sehr wichtig – wie auch die mehrfache Kritik der Korruption durch den Papst.