Wenn Kirchendelegierte aus 40 Ländern Europas debattieren, prallen Kulturen aufeinander.

Erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche in Europa tagte vom 5. bis 9. Februar in Prag eine Versammlung der Ortskirchen aus allen Ländern des Kontinents. An ihr nahmen 200 Personen vor Ort und 390 Online-Delegierte teil. Diese „Europa-Etappe“ ist Teil eines bis 2024 dauernden weltweiten Beratungsprozesses, den Papst Franziskus angeordnet hat, um die Kirche zu erneuern. Das Synodensekretariat im Vatikan hat den Prozess unter folgendes Bibelzitat gestellt: „Mach den Raum deines Zeltes weit“.

MEINUNGEN GEHEN AUSEINANDER
Auch in anderen Kontinenten finden solche Versammlungen statt, doch nirgends prallen kirchenpolitische und theologische Strömungen so aufeinander wie in Europa. Von Verteidigern der katholischen Identität, die sich von postmoderner Beliebigkeit scharf abgrenzen, bis hin zu Befürwortern einer alle Lebens-, Liebes- und Glaubensvarianten einschließenden offenen Kirche ist hier viel vertreten. Fast alle sorgen sich darum, dass ihnen die Jugend davonläuft. Die meisten wünschen sich unter dem Eindruck des Missbrauchsskandals eine Rückbesinnung auf den Kern der Botschaft Jesu. Und man will Umkehr, Erneuerung und neue Glaubwürdigkeit.
Auf der praktischen Ebene gehen die Meinungen aber weit auseinander. Die einen wollen den Klerikalismus bekämpfen, den sie als Hauptursache des Missbrauchs sehen. Andere wollen den Klerus verteidigen, weil er für sie den Markenkern der katholischen Struktur ausmacht. Manche wollen eine Kirche, die niemanden ausgrenzt, egal wen er oder sie liebt. Andere wollen an der Morallehre festhalten und nichts gutheißen, was laut Bibel Sünde ist. Diese oft widersprüchlichen Länder-Statements wurden angehört, immer wieder unterbrochen von Pausen des Gebets. Debatten oder Abstimmungen gab es nicht.
Noch ist ungewiss, ob die Methode des „Nebeneinanderlegens der unterschiedlichen Lesarten“, wie Beate Gilles, Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz und Präsidiums-Mitglied des deutschen Reformprozesses „Synodaler Weg“, es bezeichnete, ausreicht, um die spürbaren Spannungen und den Drang nach Veränderung zu moderieren, der vor allem von denen kommt, die sich durch die bislang sehr klare Morallehre und Geschlechterordnung der Kirche diskriminiert und abgelehnt fühlen. Diese Frage wurde in Prag immer wieder gestreift, entschieden wird sie frühestens im Oktober in Rom.

ENTWURF FÜR EIN SCHLUSSDOKUMENT
Mit der Verlesung eines Entwurfs für ein Schlussdokument ging die Europa-Etappe dann am Donnerstag vergangener Woche zu Ende. In dem Text wurden sehr unterschiedliche Beiträge aus mehr als 40 Ländern zusammengetragen. Spannungen zwischen „konservativen“ und „progressiven“ Strömungen werden als solche offen benannt, ebenso die Verletzungen als Folge des Missbrauchsskandals. Enthalten sind auch divergierende Standpunkte zu Themen wie der Weihe von Frauen oder zur Inklusion von Varianten von Liebe und Sexualität, die der kirchlichen Morallehre nicht entsprechen. Konkrete Vorschläge zur Überwindung dieser Gegensätze werden in dem Text nicht gemacht. Das Papier stellt jedoch weitgehenden Konsens darüber fest, dass die synodale Form des Beratens und Entscheidens in der Kirche weiterentwickelt werden sollte.

VERPFLICHTUNG ZU SYNODALITÄT  
Im Anschluss an die große Runde trafen sich von 10. bis 12. Februar die 39 Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen Europas. In ihrem eigenen Schlusswort zur „Europa-Etappe“ betonten die Bischöfe, „das gegenseitige Zuhören, der fruchtbare Dialog und der Bericht darüber, wie unsere kirchlichen Gemeinschaften die erste Phase des synodalen Prozesses gelebt und sich auf diesen kontinentalen Termin vorbereitet haben“, seien „klare Zeichen der Zugehörigkeit zu Christus“. Sie verpflichteten sich daher, „den synodalen Prozess in den Strukturen und Erfahrungen unserer Diözesen weiter zu leben und zu fördern“ und „die Hinweise des Heiligen Vaters, des Nachfolgers Petri, für eine synodale Kirche zu unterstützen, die von der Erfahrung der Gemeinschaft, der Teilhabe und der Sendung in Christus genährt wird.“

BILANZEN AUS ÖSTERREICH
In Prag vertreten war auch Österreich – durch den Vorsitzenden der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, die Innsbrucker Hochschul-Rektorin und Theologin Petra Steinmair-Pösel und den Salzburger Theologen Markus Welte. Erzbischof Franz Lackner sehe die weitere Entwicklung der katholischen Kirche „mit einer ganz großen Offenheit, nach wie vor“, sagte er nach der Prager Versammlung im ORF-Religionsmagazin „Orientierung“ (12. 2.). Ihm sei dabei bewusst: „Die Kirche von nachher wird nicht mehr die von vorher sein können.“ Wie sich das konkretisieren wird, müsse man im Einvernehmen mit dem höchstrangigen in der katholischen Hierarchie, dem Papst, überlassen, betonte Lackner.
Regina Polak, ebenfalls Studio-Gast der ORF-Sendung, formulierte als eine entscheidende Grundfrage des Synodalen Prozesses: „Wenn alle mehr Teilhabe von sogenannten marginalisierten Gruppen (z. B. „Queer“-Personen oder wiederverheiratet Geschiedene, Anm.) wollen, bedeutet das, dass wir auch Lehre und Kirchenrecht verändern müssen, um der Glaubwürdigkeit willen, oder wird dadurch (...) die katholische Kirche in ihrer Identität gefährdet?“ Virulent sei dies etwa bei den Fragen Frau in der Kirche oder Segnung homosexueller Paare geworden, berichtete die Theologin von den Debatten in Prag. Die Konfliktlinien verliefen diesbezüglich oft zwischen West- und Osteuropa, die sich politisch und kulturell unterschiedlich entwickelten; aber auch in Österreich gebe es dazu mehr als nur eine Position. Inhaltlich sei laut Polak der Synodale Prozess „ergebnisoffen“. Es werde in mutiger Weise versucht, einen „Raum der Diskussion und Diversität“ sichtbar zu machen. Spannungen gelte es dabei „auszuhalten“, und die Vielfalt in der katholischen Kirche sehe sie durchaus als eine Bereicherung, versicherte Polak.

AUFRUF ZU VERSÖHNTEM MITEINANDER
Zu einem positiven und mutigen Umgang mit Spannungen und Konflikten in der Kirche zwischen jenen, die fürchten, dass der synodale Prozess zur Zerstörung der Kirche führen könnte, und jenen, die sich vom synodalen Prozess Heilung und Erneuerung erhoffen, hat die Österreich-Delegierte Petra Steinmair-Pösel in Prag aufgerufen. „Die einzig synodale, katholische und nachhaltig friedensstiftende Umgangsweise ist die, dass wir tatsächlich mehr miteinander als übereinander zu reden beginnen, dass wir die jeweils andere Seite nicht abwerten, sondern die berechtigten Anliegen der anderen Person suchen und zu einem versöhnten Miteinander auf einer anderen Ebene kommen“, ist die Innsbrucker Hochschul-Rektorin und Theologin überzeugt. Ergebnis könnte in Folge u. a. ein tatsächlicher Konsens sein oder aber auch die Eröffnung von „Probier-Räumen“, bevor es zu einer definitiven Entscheidung kommt, so die Theologin. Ihr Fazit: „Wenn uns das gelingt, kann die Kirche tatsächlich zu einer neuen Avantgarde im Umgang mit Spannungen und Konflikten werden.“

HOHES MAß AN WERTSCHÄTZUNG
Insgesamt sei durch die intensive Arbeitsweise in Prag ein „beeindruckendes, aber auch heterogenes und widersprüchliches Bild an unterschiedlichen Vorstellungen zutage getreten“, brachte es der Salzburger Theologe Markus Welte auf den Punkt. Viele Teilnehmende habe das überrascht, mitunter auch ratlos gemacht. Es sei offensichtlich, „dass die Positionen etwa im Bereich des Umgangs mit LGBTIQ-Menschen (Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle, Queer, Anm.) unvereinbar miteinander sind“. Daraus habe sich ein hoher Gesprächsbedarf in den Delegationen ergeben, der phasenweise auch in Sprachlosigkeit mündete. Die Hauptaufgabe in Prag lag wohl darin, so Welte, „diese Spannungen offen zu benennen und gemeinsam auszuhalten“. Grundsätzlich habe er den Eindruck, „dass einander alle Delegationen dabei mit einem hohen Maß an Wertschätzung begegneten, auch wenn die vertretenen Positionen sehr konträr waren“.  
LUDWIG RING-EIFEL, kathpress