Edith Stein, oder Teresia Benedicta a Cruce, wie sie mit Ordensnamen hieß, war vieles: Jüdin, Atheistin, Christin, Philosophin, Karmelitin und Märtyrerin. Am 1. Mai 1987 wurde sie selig und am 11. Oktober 1998 heilig gesprochen. Sie hinterließ ein einzigartiges Lebens- und Glaubenszeugnis, welches von der Regisseurin Márta Mészáros in 97 Minuten auf Film gebannt wurde. Der Titel: „Die siebte Kammer / Die Jüdin - Edith Stein“.

Ursula Rapp

Edith Stein wurde 1998 heilig gesprochen. Sie, die Jüdin, Atheistin, Katholikin, Karmelitin und Märtyrerin. Sie war Philosophin, Lehrerin, politisch Engagierte und Hellsehende, Wissenschaftlerin und Mystikerin. Kein Wunder, dass so viele über sie ins Schwärmen kommen - was zugegebenermaßen den Zugang zu ihrer Person nicht immer erleichtert. Dass sie als von Nazis ermordete Jüdin heilig gesprochen wurde, mag als katholische Vereinnahmung des jüdischen Leidens erscheinen. Deshalb ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass sie sich bis zu ihrem Tod als Jüdin verstand und in dieser und ihrer christlichen Identität bewusst in diesen Tod ging. Vielleicht ist die Heiligsprechung auch eine Anerkennung dieses Weges, der nicht im Entweder-Oder liegt, sondern in einer tief und authentisch gelebten Suche, die eben einen einzigartigen Weg ergibt.

Sie gewöhnt sich das Beten ab

Prägend für Edith Stein ist die so ehrliche Suche nach Wahrheit: Als Kind ist sie unheimlich sensibel, reagiert auf Dinge, die sie erschrecken mit Fieberanfällen und findet für ihre Erschütterungen – z. B. über Todesfälle – keine Antwort. Mit 14 Jahren beschließt sie, Atheistin zu werden und gewöhnt sich das Beten ab. Sie studiert Philosophie, Psychologie, Germanistik und Geschichte, immer auf der Suche nach Wahrheit, nach Unverfälschtem, und findet eine geistige Heimat in der Phänomenologie. Sie promoviert 1916, schreibt, ist intensiv politisch engagiert, verlässt die Uni, um in einem Lazarett zu helfen. Sie erkennt die Verantwortung der Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft und die Sorge der Gemeinschaft  für das Wohl aller als politische Basis und vertritt einen radikalen Gleichheitsgedanken, der sie letztlich ganz stark für Frauen(wahl)rechte eintreten lässt.

Unsachliche Verblendung

Eines ihrer berühmtesten Zitate stammt aus einem späteren Vortrag in Salzburg (1930): „Daß Frauen imstande sind, andere Berufe als den der Gattin und Mutter auszuüben, das hat wohl auch nur unsachliche Verblendung bestreiten können … Es gibt keinen Beruf, der nicht von einer Frau ausgeübt werden könnte … Keine Frau ist ja nur eine ‚Frau‘; jede hat ihre individuelle Eigenart und Anlage so gut wie der Mann und in dieser Anlage die Befähigung zu dieser oder jener Berufstätigkeit, künstlerischer, wissenschaftlicher, technischer Art usw.“ (ESGA 13, S. 22)

Das ist die Wahrheit

Etwa im Alter von 20 Jahren lernt Edith Stein gläubige Menschen kennen, die Philosophie mit existenziellen, persönlichen Fragen verknüpfen. Sie erlebt, wie Menschen aus dem Glauben an die Auferstehung Jesu gerade auch im Wahnsinn des Ersten Weltkrieges Kraft und Lebensmut schöpfen. Sie macht erstmals die Erfahrung, nicht selbst die bestaunte und verehrte Denkerin zu sein, sondern bewundert ihrerseits die Tiefe, aus der religiöse Menschen leben. Im Sommer 1921, sie ist nun fast 30 Jahre alt, liest sie in einer einzigen Nacht die Autobiografie der hl. Teresia von Avila und schließt das Buch mit dem Satz: „Das ist die Wahrheit“. Somit hat ihre Wahrheitssuche eine Richtung gefunden, der sie konsequent folgt. Sie lässt sich am 1.1. 1922 taufen und beginnt am 14.10. 1933 das Noviziat des Kölner Karmels, wo sie im April 1938 die ewigen Gelübde ablegt.

Komm, wir gehen für unser Volk

Ist sie nun Jüdin oder Christin oder Atheistin oder alles drei?  Als Jüdin ist sie geboren und das blieb sie, wie sie nicht aufhörte zu betonen, Atheistin ist sie gegenüber einem oberflächlichen gleichgültigen Gewohnheitsglauben und Christin wurde sie, weil sie hier auf letzte Fragen Antwort fand. Sie sah alles menschliche, individuelle und kollektive Leid geborgen in der Hingabe Gottes am Kreuz. Nur im Kreuz kann das Leid, so groß es auch ist, verwandelt und geheilt werden und so auch selbst erlösen. Das kann sie natürlich nur als Opfer sagen. Aus dem Mund der (Mit)Schuldigen ist so etwas zynisch. Und nur so ist zu verstehen, was sie zu ihrer Schwester sagte, als die beiden von der SS abgeholt wurden: „Komm, wir gehen für unser Volk.“