Das Ohr geöffnet für die göttliche Botschaft. Wohin führt sie mich angesichts von Gewalt und Leid?

Palmsonntag – Lesejahr C, 10. April 2022

Das Wort zum Sonntag von Annamaria Ferchl-Blum

1. Lesung
Jesaja 50,4–7

Gott, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern, damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, damit ich höre, wie Schüler hören. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet. Ich aber wehrte mich nicht und wich nicht zurück. Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und meine Wange denen, die mir den Bart ausrissen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Und Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate.

Was macht Jesus zum König, vor dem alle ihr Knie beugen? Keine Herrschaft mit überirdischer Macht, sondern radikale Menschwerdung. Sich daran zu orientieren, dazu ermahnt Paulus die Gemeinde.

2. Lesung
Brief an die Philipper 2,6–11

Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ – zur Ehre Gottes, des Vaters.

Der Einzug in Jerusalem beginnt wie ein Spiel, dessen Drehbuch aus dem Buch Sacharja stammt: „Siehe dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.“(Sach 9,9)

Evangelium
Lukas 19,28–40

In jener Zeit ging Jesus nach Jerusalem hinauf. Und es geschah: Er kam in die Nähe von Bétfage und Betánien, an den Berg, der Ölberg heißt, da schickte er zwei seiner Jünger aus und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt! Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr es los?, dann antwortet: Der Herr braucht es.

Die Ausgesandten machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. Als sie das Fohlen losbanden, sagten die Leute, denen es gehörte: Warum bindet ihr das Fohlen los? Sie antworteten: Weil der Herr es braucht. Dann führten sie es zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Fohlen und halfen Jesus hinauf. Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus. Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die Schar der Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten. Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe! Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, weise deine Jünger zurecht! Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.

Wort zum Evangelium

Annamaria Ferchl-Blum
ist Theologin und Religionspädagogin und leitet das Schulamt der
Diözese Feldkirch.

 

Jesus ist vor den Toren Jerusalems angekommen. Hier soll sich erfüllen, was über den Messias, als der er sich immer wieder geoffenbart hat, geschrieben steht. Jesus reitet auf einem jungen Esel, dem Königstier des alten Israel, in Jerusalem ein. Die Machthaber zur Zeit Jesu, seien es die Römer oder die mit ihnen kollaborierenden heimischen Herrscher, kommen längst hoch zu Ross daher. Jesus riskiert also auf dem Höhepunkt seiner Popularität eine Blamage. Ein erwachsener Mann, dessen Beine am Boden streifen, wenn er auf diesem kleinen Tier sitzt. Was für ein Anblick! Seine Anhängerschaft steigt jedoch sofort ein, jubelt und breitet Gewänder auf dem Weg aus, wie es die Sitte beim Einzug von Königen gebietet. Sie lieben ihren Meister, der ihnen so oft die Welt und das Leben gedeutet, so viele geheilt, Sünden vergeben und Streit geschlichtet hat. Sie sind voller Hoffnung auf eine neue Zeit, in der die Unterdrückung durch die Besatzungsmacht ein Ende haben soll. Der Evangelist unterstreicht die Begeisterung der Jünger, indem er, gleichsam als Klammer zu den Anfängen in Bethlehem, den weihnachtlichen Lobpreis der Hirten auf dem Felde aus ihrem Munde erschallen lässt: „Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe“. Wieder soll etwas Heilsames seinen Anfang nehmen. Dieses Mal im politischen und religiösen Zentrum der Macht. Wird Jesus es schaffen? Wird er als Friedensfürst in die Geschichte eingehen? In einer der ältesten Kreuzesdarstellungen überhaupt, einer Wandzeichnung aus dem 3. Jh., wird Christus als Esel am Kreuz dargestellt, um den christlichen Glauben eines Sklaven am römischen Kaiserhof lächerlich zu machen. Christ/innen orientieren sich, damals wie heute, an seiner Botschaft, in der es ohne Leid, Tod und Schmach keinen Aufbruch ins neue Leben gibt. 

Zum Weiterdenken

Ein paar Verse weiter weint Jesus über die Stadt, die nicht erkannt hat, was ihr zum Frieden dient. Die Trauer Jesu klingt hochaktuell in diesen Wochen des Krieges in Europa. Woran halte ich mich fest, wenn eine Situation schier ausweglos erscheint und keine Lösung in Sicht ist?

Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen?
Alle, die mich sehen, verlachen mich,
verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:
„Wälze die Last auf den Herrn!
Er soll ihn befreien,
er reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!“
Denn Hunde haben mich umlagert,
eine Rotte von Bösen hat mich umkreist.
Sie haben mir Hände und Füße durchbohrt.
Ich kann all meine Knochen zählen;
sie gaffen und starren mich an.
Sie verteilen unter sich meine Kleider
und werfen das Los um mein Gewand.
Du aber, Herr, halte dich nicht fern!
Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe!
Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden,
inmitten der Versammlung dich loben.
Die ihr den Herrn fürchtet, lobt ihn;
all ihr Nachkommen Jakobs, rühmt ihn;
erschauert vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!
Antwortpsalm (aus Psalm 22)

(Aus dem KirchenBlatt Nr. 14 vom 7. April 2022)