Gedanken von Prof. Peter Eicher über die Erneuerung der Erde durch den Geist und den Garten als "Ort der Religion".

Pfingsten - Gottes Geist erneuert das Antlitz der Erde

Die Jünger versammelten sich hinter verschlossenen Türen. Doch der Geist Gottes macht ihnen Mut und sie treten ins Freie hinaus. Wer mit seinem Glauben nach außen geht, mag als betrunken gelten. Und dennoch - diesem Ruf zu folgen, ist immer noch besser als “zubetoniert zu werden”.

„Ich möchte wieder in den Garten“, sagte sie leise und deutete an, dass sie lieber draußen auf dem Friedhof ruhen würde als hier weiter - wie sie sagte - „zubetoniert zu werden”. Dort hätten die Blumen Zeit, um in Stille zu wachsen. „Der Beton“, sagte sie, „belastet meine Seele“. Die abgedichteten Fenster, die neuerdings den Lärm der Straße fernhielten, ließen sie kaum mehr atmen. Sie sei gar nicht mehr so fröhlich, seitdem alles zugebaut sei. Wenn sie wenigstens einen Balkon hätte und ein paar Pflanzen, dann „wäre ich nicht so allein“.

Der Trost der Natur
Es mögen sich in diesem depressiven Gefühl auch persönliche Kränkungen spiegeln. Dennoch erinnert die Trauer dieser sensiblen Frau über ihren verlorenen Garten an eine elementare Notwendigkeit des menschlichen Lebensraumes. Die wachsenden Ängste vor dem Verlust der Schönheiten dieser Erde verweisen auf die Erfahrung, wonach der Mensch ohne Wiesen und ohne Blumen in den Staub zurückfiele. „Ob sie denn nicht im nahen Park spazieren gehen könne?”, wandte ich ein.
Sie lachte, weil sie glaubte, dass sie am Vormittag im menschenleeren Park wie eine Arbeitslose aussehen würde und am Nachmittag mit den schreienden Kindern verwechselt werden könnte, die den Sand von einer Stelle zur andern schaufeln, um ihn gleich wieder an die alte Stelle zu bringen. „Zuhause gab unser Garten sehr viel zu tun, teilweise lebten wir von ihm und Jahr für Jahr staunten wir über seine Blumenpracht.“ Wenn sie im Park den Rasen betrete, werde sie wohl für eine Alkoholikerin gehalten. „Haben Sie denn im Park schon einmal Blumen gepflückt?“

Der Garten - ein Vorschein des erlösten Lebens
Es ist wahr, dass der Traum vom eigenen Garten durch keinen Ersatz zu stillen ist. Zwar vermögen sich die großen und kleinen Hyde Parks, die echten und falschen Prater, die versteckten und die touristisch schamlos angepriesenen Parks gerade noch der Allgewalt der Kosten-Nutzen-Rechnung zu entziehen. Wo Kinder herumrennen und Alte verweilen, wo Genesende aufatmen, Liebende sich verstecken und Außenseiter sich doch noch ein bisschen zugehörig fühlen, da kommt so etwas wie ein menschlicher Lebensraum, ein vom Zwang erlöstes Leben zum Vorschein. Der Garten ist der Traum der verkörperten Seele.

Es ist ein alter Traum: 
Als die Völker vor sechstausend Jahren in den heißen Gebieten des heutigen Iran und Irak die ersten Städte bauten, da fehlten den Einwohnern die Blumenfelder der Berge, die Quellen der Hänge und die Seen des Tals, es fehlten ihnen die Früchte und der Schatten der Bäume. Deshalb ließen die Herrschenden über  Kilometer hinweg ausgeklügelte Wasserleitungen bauen, um mitten in der Stadt den Reichtum der verlorenen Natur bei sich zu haben. Mitten im Handelsgetriebe leuchteten nun die tiefroten und blauen Anemonen und Ranunkeln, die weißen und die roten Tulpen erhoben sich stolz neben den Iris in ihren mit spitzem Gelb versetzten Blautönen. Teppiche von  Traubenhyazinthen und später von kecken Stiefmütterchen breiteten sich aus und über den Levkojen strahlten die hohen Sonnenblumen ins Blau, während der Mohn in all seinen üppigen Formen die Leichtigkeit des Seins demonstrierte. Was da nicht alles Schatten spendete zwischen den staubigen Mauern der Stadt: die Mandelbäume mit ungeahnter Frühlingsblütenpracht, die Granatapfel-, Aprikosen- und Pflaumenbäume in der Fülle ihrer Süße und die wilde Sauerkirsche dazu. Und hoch rankte sich über alles hin die Pflanze der Lebenslust und des fruchtbaren Sterbens: die Weinrebe.

Der Garten ist ein Ort der Religion
So haben die Alten des Mittleren Orients den Ort entwickelt, den sie „Pairidaeza”, das „Paradies” nannten. Im alten China und später in Indien und Japan wurden auf ganz ähnliche Weise die Wasser in die Paläste der Vornehmen gezogen, um das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde, zwischen den Gebirgen und den Flusslandschaften in Miniaturform herzustellen. Der fernöstliche Garten ist in der Tat der Ort der Religion, der Ort, an dem die Harmonien aufgebaut werden zwischen Hart und Weich, zwischen dem Stein und dem Wasser, Fels und Teich und auch zwischen männlichen und weiblichen Anteilen. Oben und Unten - in ständig neuer Integration. Recht besehen gibt es nach allen Religionen nichts Schöneres, als im Garten zu leben. Auch Jahwe, der „Ich bin da, wo ich bin“, erging sich höchstpersönlich während des Abendwinds im Garten. Als er Mann und Frau in ihrer Einheit geschaffen hatte, da schien ihm jedenfalls diese seine Schöpfung nicht zur öden Natur zu passen. Ausdrücklich heißt es, dass er in Eden eigens einen Garten anlegte, um den Menschen da hineinzusetzen (Gen 2,8). „Schön anzuschauen“ und „gut zu essen“ war, was in diesem Garten wuchs.

Der Garten Gottes ist ein Garten für alle:
Wer einen Garten hat, weiß, dass der Garten viel Arbeit gibt: säen, gießen, schneiden, ernten und: schauen. So hüten und bewahren die Gärtner/innen den vom Schöpfer des Himmels und der Erde angelegten Garten. Deshalb gehört seit alters zu den Klöstern als ihr Herzstück der Garten, der schöne Äußere und der mystische Innere. Auch heute pflegen viele Weise ihr Alltagsparadies zumindest in einer Blumenschale oder im Topf auf dem Balkon.
Und weil die Erde als Gottes Garten zu bebauen ist, deshalb haben Israels Propheten mit unerhörter Wucht daran erinnert, dass es unerträglich bleibt, wenn Dürstende, Hungernde und Gefangene nicht im Garten leben können. Nicht weniger aber priesen Israels Sänger/innen im Hohen Lied der Liebe den geliebten Menschen als den Garten des Liebenden. Liebe ist so stark wie Tod. Wer seinen Garten kennt, der weiß, dass alles, was darin wächst, auch wieder verblüht und stirbt. Der Garten wird so zum realen Symbol des ganzen Lebens: In seiner Not hat sich der Sohn des Höchsten im Garten zur Erde hingeworfen. Und wie die Blumen des Frühlings ist er im Garten auch auferstanden.
Peter Eicher