Am Landeskrankenhaus Rankweil fand eine Ethiktagung zum Thema „Ghörig angehörig ... vergesst die Angehörigen nicht“ statt. Neben den einschlägigen Fachreferenten sprach Peter Rädler darüber, wie die Lebenskraft der Patient/innen und Angehörigen gestärkt werden kann. Der Krankenhausseelsorger und Priester ist seit 1988 am LKH Rankweil tätig und in den (überkonfessionellen) Fragen der Spiritualität ein gefragter Gesprächspartner.

Wolfgang Ölz

Foto KHBG Mathis

Peter Rädler (Jahrgang 1943) verweist auf eine U.S.-amerikanische Studie aus den Jahren 2005 und 2007  zur Frage der Spiritualität bei schweren Erkrankungen. 400 Patient/innen, auf deren spirituelle Bedürfnisse eingegangen wurde, standen einer nicht spirituell begleiteten  Kontrollgruppe gegenüber. Die spirituell betreuten Patient/innen ließen sich signifikant häufiger auf Hospizbegleitung und Palliativmedizin ein und verzichteten wesentlich öfter auf künstlich lebensverlängernde Intensivmedizin.

Die Spiritualität bewirke, so Peter Rädler, dass bei Krebs im Endstation vermehrt keine Chemotherapie mehr in Anspruch genommen werde, die sehr belastend sei und das Leben in bestimmten Fällen nur um ein paar Wochen verlängern könne. Insgesamt sei die Spiritualität oft sehr versteckt, und die Kunst des Krankenhausseelsorgers sei es, die Angehörigen und die Patienten selbst anzuregen, nach Kraftquellen in ihrem Leben zu suchen und diese auch zu entdecken.

Rituale
Spiritualität muss dabei nicht religiös sein. Spiritualität definiert Peter Rädler als jene „Kraft, die leben, lieben und hoffen lässt.“ Helfende Rituale können entweder aus der Tradition kommen oder auch nicht religionsbezogen sein. Ein indiviuelles Ritual ist es etwa, wenn das Kind dem Großvater über die Stirn streicht. Auch wenn in der Kapelle des LKH Rankweil pro Jahr 10.000 Kerzen entzündet werden, dann ist das jeweils ein kleines Ritual, das Hoffnung ausdrückt und Kraft schenkt.  
Das Verhältnis zwischen Patient/in und Angehörigen sei dann am wenigsten problematisch, wenn der/die Angehörige sich nicht völlig selbst aufopfere. Völlige Selbstaufgabe sei nämlich nie gut, selbst wenn es dem/der Patient/in noch so schlecht gehe.

Die emotionalen Aspekte
Der leitende Oberarzt der Neurologie am LKH Rankweil, Dieter Langenscheidt, stellte in seinem Vortrag problematische Einzelfälle dar, wo ärztliche Verantwortung, das Wohl des Patienten und die Anliegen der Angehörigen kaum in Einklang zu bringen sind. Peter Rädler versuchte die medizinisch-fachliche Sicht des Arztes durch die spirituell-emotionalen Aspekte dieser Grenzerfahrungen zu ergänzen. Dabei setzt Rädler immer wieder auf das Gespräch mit den Angehörigen, wenn etwa der Patient / die Patientin nicht mehr ansprechbar ist. Soll etwa ein 82jähriger Patient reanimiert werden, wenn nach einem starken Hirnschaden für ihn nur noch die Aussicht besteht, als schwerst pflegebedürftiger Mensch in einem Heim zu leben.
Was soll gemacht werden, wenn eine bewusstlose, halbseitig gelähmte Frau eine Patientenverfügung unterschrieben hat, die den konkreten Fall nicht berücksichtigt und die Angehörigen auf lebensverlängernden Maßnahmen bestehen? Wie kann eine juristisch notwendige Obduktion vor der Grablegung den Angehörigen erklärt werden, die deren Sinnhaftigkeit vehement in Zweifel ziehen?

Spiritualität als Ankerpunkt
Peter Rädler sieht es als Aufgabe, das Chaos massiver Emotionen von Verzweiflung bis Zorn auszuhalten. Wie nach einem Erdbeben versucht er, geistige Schutzräume ausfindig zu machen. Auch verwendet er das Bild eines Mobiles: Die Teile können sich nur deswegen frei bewegen, weil das Mobile an einem bestimmten Punkt gehalten wird. Den Emotionen kann nur deswegen standgehalten werden, weil es einen spirituellen Ankerpunkt gibt. Patient/innen, Ärzt/innen und Pflegende seien eine Lebens-, Leidens-, Verletzungs- und Stressgemeinschaft und ihr Zusammenleben irgendwo auch ein Wunder. Die Palliativmedizin erkenne an, wenn Heilung medizinisch nicht mehr möglich sei, aber sie sucht intensiv nach Wegen, wie das verbleibende Leben so menschenwürdig und so erträglich wie möglich gestaltet werden kann. Die Krankenhausseelsorge habe dann Zukunft, so ist Peter Rädler überzeugt, wenn es ihr wirklich gelingt, die spirituellen Bedürfnisse der Patienten und Angehörigen unter der Oberfläche des vordergründig Sichtbaren wahrzunehmen.

(aus dem KirchenBlatt Nr. 18 vom 3. Mai 2018)