Stephanie Gräve leitet ab August 2018 das Vorarlberger Landestheater. Sie ist bereits durch interessante Vergleiche von Theater und Kirche aufgefallen. Anlässlich der Spielplanpräsentation 2018/2019 stellte das KirchenBlatt Stephanie Gräve die Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion?“

Wolfgang Ölz

Gretchen erkundigt sich an zentraler Stelle in Goethes „Faust“ nach der Religiosität des Titelhelden. Stephanie Gräve antwortet auf diese Gretchenfrage: „Oh, Gott. Ich bin tatsächlich konfessionslos und mit 18 Jahren aus der Kirche ausgetreten. Ich bin katholisch aufgewachsen, hatte dann eine Phase, in der ich nicht geglaubt habe, mittlerweile fühle ich mich wieder als Christin und Katholikin, bin aber nicht wieder eingetreten, weil ich mit Joseph Ratzinger als Papst große Mühe hatte.“

Bereits 1975 Ministrantin
Trotzdem ist Stephanie Gräve von ihren christlichen Wurzeln geprägt und betreibt auch das Theater aus diesem Geist. Sie nennt etwa die katholische Soziallehre als wichtigen Bezugspunkt für ihr Handeln. Sie glaube an einen „katholischen“ Gott im weitesten Sinne. Schon 1975 war Gräve - aufgewachsen im Herzen des Ruhrgebiets - Messdienerin (Ministrantin). Am Theater, so Gräve, kursieren oft Witze darüber, wie viele Schauspieler als Messdiener durch das katholische Zeremoniell und die kirchlichen Rituale für das weltliche Theater prädestiniert wurden.

Schule des Mitleidens
Das Theater sollte über reine Unterhaltung hinaus wirksam sein. Das „Heilige“ am Theater sieht Stephanie Gräve im Moment der Gemeinschaft auf der Bühne und darin, dass die Zuschauer/innen etwas erleben können, das größer ist als die Summe dessen, was geschieht. In einer Zeit, in der eine grassierende Digitalisierung den Verlust an realen Erfahrungen bedeutet, sollte man das Gemeinschaftsgefühl auf der Bühne heilig halten. Wenn jemand auf der Bühne so tut, als ob er eine andere Person sei, dann ist das eine großartige Schule in Empathie, im Einfühlungsvermögen, in der Fähigkeit, den anderen Menschen in seinem Leid und seiner Verletzlichkeit wahrzunehmen. Das Theater soll Menschen berühren, sie ein bisschen besser, empathischer und achtsamer machen. Es geht - ganz im Sinne des antiken Theaters - um das Mitleiden. Das „Als-ob“ wirkt gegen eine Verrohrung der heutigen Gesellschaft, wie es auch ein christliches Weltbild lehrt.

Kirche und Theater
Überhaupt haben Kirche und Theater nach Stephanie Gräve viele Gemeinsamkeiten: die Lust an der Inszenierung, die Bildlichkeit, die Auseinandersetzung mit Texten, die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Allerdings gebe es auch Parallelen im negativen Sinne, wie etwa eine strikte Hierarchie und die Überalterung. Nicht ohne Grund sprechen die Schauspieler/innen humorvoll vom Blick auf den Silbersee, wenn sie von der Bühne ins Publikum schauen.

Projekte mit Kirchengemeinden
In ihrem Engagement für Geflüchtete sind die katholischen und reformierten Geistlichen an ihrem früheren Wirkungsort in der Schweiz Gräves natürliche Gesprächspartner gewesen. Am Ende ihrer Zeit als Leiterin des Berner Stadttheaters hat sie mit 16 Kirchengemeinden kooperiert.
Die Pfarren konnten Theaterstücke aus dem Spielplan aussuchen, in den Gemeindezentren lesen, als Gruppen ermäßigt ins Theater kommen und an exklusiven Publikumsdiskussionen mit den Schauspieler/innen teilnehmen.

Monologe in Kirchen aufführen
Eine Version des „Werther“ von Goethe, die am neuen Spielplan des Vorarlberger Landestheaters steht, möchte die neue Intendantin sehr gerne den Pfarren in der Diözese Feldkirch als Monolog für ihre Kirchenräume anbieten. Gräve will so auch die Schwellenangst vor dem Theater überwinden. Auf dem Spielplan 2018/2019 stehen übrigens einige Theaterstücke mit christlichen Pointen. In „Miss Sara Sampson“ von Lessing geht es um eine junge Frau zwischen den religiösen Normen ihres Vaters und dem freizügigen Geliebten. In „König Ottokars Glück und Ende“ von Franz Grillparzer wird die Frage verhandelt, wer denn nun der von Gott gewollte Kaiser ist. In Fritz Hochwälders Drama „Der Flüchtling“ wird die christlich-humanitäre Verantwortung für Menschen, die an unsere Tür klopfen, virulent. 

Gespräch beim Fest am See

Sprechen Sie mit Stephanie Gräve bei einer W‘ortwechsel-Gesprächsrunde beim Fest am See:
Sa 26. Mai, 16 Uhr, Festspielhaus, Bregenz.