KirchenBlatt-Serie "Welt der Religionen" von Aglaia Mika

Mit dem Monat März beginnt dieses Jahr für christlich Gläubige die vorösterliche Fastenzeit. Während in früheren Epochen strikte Askese die Norm war, ist der tatsächliche Verzicht auf Nahrung heute nicht mehr oder nur zeitweise üblich, etwa als spirituell begleitetes Heilfasten. Auto-, Handy- und Internetfasten sowie der Verzicht auf Alkohol, Fleisch oder Süßigkeiten zur Buße und Umkehr erfreuen sich dagegen weitläufiger Beliebtheit. Manche wollen sich auch negativer Gewohnheiten enthalten, wie etwa Schwarzmalerei, übertriebener Selbstkritik und Vorurteilen gegen andere.
Wie kommt es wohl, dass das Fasten als Fixpunkt unserer Religion derzeit so abstrahiert wird? Sind Konsumdenken und Säkularisierung treffende Gründe?

Sehr klare, heute noch gelebte Formen des Fastens finden wir auch in anderen Religionen.

Sowohl Muslime als auch Bahà‘í fasten von Tagesanbruch bis zur Dunkelheit, indem sie keine Nahrung zu sich nehmen - nicht einmal Wasser. Während sich der islamische Monat Ramadan aufgrund des Mondkalenders jährlich um elf Tage verschiebt, endet im  Bahà‘ítum die 19-tägige Fastenzeit immer am 21. März, der Tag- und Nachtgleiche, auch Novruz-Fest genannt. Besondere Bedeutung erlangt dieses Fest übrigens auch im Alevismus, als Geburtstag des Propheten Ali, welcher für Gleichstellung (u.a. von Mann und Frau) und Gerechtigkeit steht.
Vielleicht unterstützen klare Vorgaben sowie eine Glaubensgemeinschaft, den leiblichen Hunger auszuhalten. Alina, eine junge  Bahà‘í, sagte mir einmal, dass es nicht schwer für sie sei, sogar während der Schulzeit das Fasten einzuhalten: „Man merkt dann erst, wie wenig wir eigentlich brauchen“, meinte sie.

Womit wir beim eigentlichen Sinn des Fastens wären, denn Nahrungsvorschriften sowie die Ermutigung zur Askese finden sich in den allermeisten
Religionen. Der körperliche Verzicht schafft Raum, öffnet mit etwas Mut neue Fenster der Seele. Das „Weniger“ an fester Nahrung lädt ein „Mehr“ an Durchlässigkeit, Sensibilität und feinstofflicher Lebensenergie ein. Und das wiederum könnte uns zum Wesentlichen führen, zur Quelle, an die wir uns viel zu selten erinnern ...

Aglaia MikaAglaia Mika
Beauftragte der Katholischen
Kirche Vorarlberg für den Inter-
religiösen Dialog; Musiktherapeutin, Sängerin, Stimmbildnerin.