Willy Weisz lebt in Wien und ist um das gute Miteinander von Jüd:innen und Christ:innen bemüht. Dabei hat sich der jüdische Physiker und Mathematiker auf den Bereich der Bioethik aus jüdischer Sicht spezialisiert.

Hans Rapp

Sie haben gemeinsam mit Ihrer Frau die jüdische Patientenbetreuung im AKH aufgebaut. Wie kam es dazu?
Willy Weisz: Meine Frau hat nach einer Ausbildung zur biomedizinischen Analytikerin im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien zu arbeiten begonnen. Sie ist immer wieder an der kleinen Synagoge des Spitals vorbeigegangen, deren Schaufenster immer staubiger wurden, weil sich niemand darum gekümmert hat. Das hat sie geärgert. Sie beschwerte sich bei Rabbiner Eisenberg darüber. Seine Reaktion war: „Dann mach du es“. So ist meine Frau offiziell von der Kultusgemeinde als „jüdische Seelsorgerin“ angemeldet worden. Wir haben uns dann am aufkommenden interreligiösen Dialog im AKH beteiligt. Wir teilen uns bis heute die Arbeit. Meine Frau hat die Empathie und ich bin der Theoretiker.

Wie sind Sie zu ihrem Thema der Bio- und Medizinethik gekommen?
Weisz: Ich hatte immer wieder für Rabbiner Eisenberg Vorträge zu jüdischen Themen gehalten. Eines Tages erhielt ich eine Anfrage des Instituts für Recht und Ethik in der Medizin. Ihnen war für eine Tagung über Stammzellenforschung kurzfristig der jüdische Referent ausgefallen und sie baten mich, das Referat zu übernehmen. Ich konnte mich mit der Position des geplanten Referenten identifizieren und habe das Referat übernommen. Seither habe ich in diesem Bereich an weiteren Tagungen referiert und auch dazu geschrieben.

Wie würden Sie die jüdische Haltung in diesem Bereich zusammenfassen?
Weisz: Sie ist im Buch Levitikus 18,5 zusammengefasst: Der Mensch soll alle Gesetze und Vorschriften Gottes befolgen, damit er durch sie lebt. Alle Aussagen der Tora (fünf Bücher Mose) stellen das menschliche Leben in den Mittelpunkt. Das heißt: alle Vorschriften dienen dazu, das Leben und die Gesundheit zu erhalten. Wenn ein biblisches Gesetz lebensfeindlich aussieht, dann haben wir es falsch verstanden und müssen darüber diskutieren.

Was heißt das für die Bioethik?

Weisz: Es darf keine künstliche Verkürzung des Lebens geben. Das bedeutet unter anderem, dass man weder Nahrung noch Flüssigkeitszufluss noch Sauerstoff abtrennen darf. Es gibt einen Magenkrebs, der bei Nahrungszufuhr für den Patienten bzw. die Patientin sehr schmerzhaft ist. Da darf man die künstliche Ernährung durch eine Magensonde abbrechen, weil der Schmerz selbst nach jüdischer Vorstellung tötet. Deshalb ist es auch wichtig, Schmerzen zu vermindern, auch wenn die Schmerzmittel möglicherweise lebensverkürzend sind.

Wie steht es mit dem Lebensbeginn?
Weisz: Das Leben steht für uns im Mittelpunkt. Es gibt für das Judentum darum auch ein Recht auf Kinder. Das bedeutet, dass die In-Vitro-Fertilisation aus jüdischer Sicht vollständig unterstützt wird. Auch Präimplantations- und Pränataldiagnostik sind aus jüdischer Sicht bei bestimmten Erbkrankheiten in der Familie erlaubt, um dem Risiko der Geburt eines nicht lebensfähigen Kindes zu begegnen. Hier vertreten wir andere Vorstellungen als die katholische Kirche. Bestehendes Leben hat Vorrang vor dem ungeborenen. Wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, sind Abtreibungen nach jüdischem Verständnis erlaubt. Ein ganz wichtiger Aspekt der jüdischen Ethik ist daneben die Unterstützung von Armen und Leidenden. Dazu gehören auch Fremde. Ein Ortsfremder wird prinzipiell als arm angesehen, auch wenn er es nicht ist.