Zum Thema „Sucht und Gesellschaft - Wege und Irrwege in der Suchtarbeit. Strategien für die Zukunft“ trafen sich in St. Arbogast Fachleute aus ganz Vorarlberg. Es referierten durch die Bank international renommierte Experten. Veranstaltet wurde das Symposion von der Caritas Vorarlberg und der Stiftung Maria Ebene.

zu: Interview mit Prim. Reinhard Haller

Wolfgang Ölz

Man sah im Publikum Sakko- und Anzugsträger mit Krawatte neben Teilnehmern in Jeans und Kapuzenpullover sitzen. Das Publikum dieser Tagung war ebenso bunt wie die Suchtarbeit im Land vielfältig ist. Bernhard Gut vom Fachbereich Suchtarbeit der Caritas begrüßte zur 6. Fachtagung dieser Art. Caritasseelsorger Elmar Simma wünschte den Teilnehmern in Erwartung des Pfingstfestes einen geistvollen Tag, während der Präsident der Stifung Maria Ebene, Josef Fink, die Anforderungen an die Caritas und das Krankenhaus Maria Ebene - trotz Frieden und Wohlstand - im Wachsen begriffen sah.

Gute Beziehungen zentral
Helmut Zingerle, Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart (Südtirol) referierte zum Glücksbegriff. „Glück ist“, so Zingerle, „in der Geborgenheit einer sinnvollen und verstehbaren Welt zu leben.“ Und dieses Ziel streben alle Menschen, nicht nur die süchtigen an. Die Aufgabe des Therapeuten ist es nun, den Erkrankten wieder zur Wahlfreiheit zurückzuführen. Dabei hat die positive Therapiebeziehung für den Erfolg der Therapie zentralste Bedeutung, denn „Glück oder Unglück von Menschen hängt zuallererst von der Qualität ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen ab.“

Lustbändigung durch Spirituelles
Ambros Uchtenhagen gilt als der „große, alte, weise Mann der Suchtarbeit“, so Moderator Bernhard Gut, und als Pionier der pragmatischen Schweizer Drogenpolitik, die  die gesetzlich verankerte Heroinabgabe herbeiführte. In seinem Vortrag ging der Sozialpsychiater und Psychoanalytiker der Frage nach, wie aus der Vergangenheit der Suchtarbeit und Suchtpolitik gelernt werden kann. Unter dem Stichwort „Lustbegrenzung als gesellschaftliches Anliegen“ subsumiert Uchtenhagen auch die Religion, die Lustbändigung betreibe, indem sinnliche Lust durch spirituellen Gewinn ersetzt werde. Grundsätzlich sieht Uchtenhagen trotz beachtenswerter Erfolge die Bereitschaft zum Suchtmittelkonsum im Zunehmen.   

Kontrollierter Substanzenkonsum
Thilo Beck, Chefarzt für Psychiatrie der Zentren für Suchtmedizin „Arud“ (Zürich) plädiert für eine „bedarfsgerechte Behandlung“. In den vier Ambulatorien der Arud in Zürich werden die Menschen dort „abgeholt wo sie sind“, sprich es geschieht ein „kontrollierter Substanzenkonsum“. Herbert Mayrhofer arbeitet als Vorarlberger Suchtspezialist seit 2004 als Substitutionsarzt. Im Modell „Intensive Care Substitution“ der Caritas lanciert er ein intensives und psychosoziales Betreuungsangebot.   Reinhard Haller betonte in seinem Resümee, dass in der Frage der Substitution nicht das Substitutionsmittel, sondern die Abgabesicherheit von zentraler Bedeutung ist.

Irmgard Vogt, Professorin für Psychologie und Soziologie in Frankfurt, sprach über „Die neuen Mehrheiten: Alter und Sucht“. Sie  stellte klar, dass es noch wenig Studien über Sucht im Alter gibt. Der Konsum von psychoaktiven Substanzen sei nur bis zum Alter von 64 Jahren erfasst. Vermutlich gebe es wenige Alkoholiker in diesem Alterssegment, weil diese bereits vor dem 60. Lebensjahr verstorben sind.

Reaktionen
Petra Grassl-Riederer, Leiterin des Fachbereichs Sucht der Caritas, betrachtet nicht in der Abstinenz, sondern in der Niederschwelligkeit des Angebotes das zentrale Anliegen der Caritas. Auch Katharina Wiesflecker, Landtagsabgeordnete der Grünen, sieht in der totalen Abstinenz nicht das Endziel einer Therapie. Peter Mayerhofer, Geschäftsführer der Kaplan Bonetti Sozialwerke, nimmt wahr, dass die Drogenproblematik komplexer geworden ist, dass sich etwa Medikamenten- und Alkoholsucht überlagern. Willi Hagleitner als Gründungsmitglied des Kuratoriums der Stiftung Maria Ebene findet, dass die Tagung Lichtblicke gezeigt hat, wie heute die therapeutischen und auch die medizinischen Maßnahmen noch verbessert werden können, und vor allem, wie man den süchtigen Menschen noch mehr in den Mittelpunkt rücken kann.

Referenten - Suchtfachtagung 2014
Referenten und Suchtexperten: Prof. DDr. Ambros Uchtenhagen, Petra Grassl-Riederer, Dr. Thilo Beck, Dr. Helmut Zingerle, Dr. Herbert Mayrhofer, Prof. Dr. Irmgard Vogt, Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller, Josef Fink (von links).

INTERVIEW

Haller 2Drei Fragen an Prim. Reinhard Haller

Wie sehen Sie „Sucht und Gesellschaft“ in Zukunft?

Auf der einen Seite können wir feststellen, dass die Menschen immer süchtiger werden. Es sind alle traditionellen Suchtmittel in bester Qualität zu billigen Preisen in unendlicher Vielfalt erhältlich. Es kommen auch ständig neue Drogen dazu, vor allem Designerdrogen. Und es gibt natürlich das große Heer der Verhaltenssüchtigen, das heißt die Menschen werden süchtiger, gleichzeitig hat man den Eindruck, dass sich die Gesellschaft nicht mehr so dafür interessiert. Aus diesem Grund müssen wir umso wachsamer sein, dass die Gesellschaft die notwendigen therapeutischen Mittel zur Verfügung stellt.

Welche gesellschaftspolitischen Forderungen sind in diesem Zusammenhang für Sie wichtig?

Für mich ist die allerwichtigste Forderung, dass Sucht als Krankheit anerkannt wird, wie jede andere Krankheit auch, dass es nichts mit moralischen Mängeln und schwachem Willen zu tun hat, sondern ein Schicksal ist. Dass wir also genauso selbstverständlich sagen können, ich habe ein Suchtproblem, wie man sagen kann, ich habe einen zu hohen Blutdruck.

Welche Position haben Sie in der Frage der Substitution?

Das wirkliche Problem ist die Abgabemodalität. Sie muss auch im Interesse der nicht Süchtigen auf hohem qualitativem Niveau gemacht werden.

nach oben 

(aus KirchenBlatt Nr. 24 vom 12. Juni 2013)