Gerhard Häfele ist Seelsorger. Er arbeitet dort, wo ihn die Menschen brauchen. Das war das Altenwohnheim, das ist das Krankenhaus. Einsamkeit ist dabei auch ein Thema. Nicht nur zu Weihnachten.
Laut einer Studie gaben während der letzten Corona-Jahre zumindest phasenweise 43% der Befragten in Österreich an, dass sie sich einsam fühlen. Dabei zeigte sich, dass Einsamkeit keine Frage des Alters ist. Im Gegenteil, die Einsamkeit hat auch die Generationen der Mittdreißiger und nicht zuletzt auch die Jugendlichen erreicht. Wohlgemerkt die Einsamkeit, nicht das Alleine-Sein grundsätzlich. Hier sieht es nämlich durchaus anders aus. Wer alleine lebt, ist nicht zwangsläufig einsam. Wer alleine lebt, kann sozial gut vernetzt, beruflich aktiv und eingebunden in einen Familienverband sein.Zwischendurch kann das Allein-Sein auch genossen werden. Und darin liegt ein großer Unterschied zwischen dem Allein-Sein und der Einsamkeit: nämlich in der Freiwiligkeit des Zustands. Für das Alleine-Sein entscheidet man sich. Einsam aber wird man.
Zwischen diesen emotionalen Polen pendelt Gerhard Häfele. Als Krankenhausseelsorger steht er oft an existentiellen Wende- oder auch Endpunkten. Nicht selten geht es auch um Einsamkeit – auch zu Weihnachten. „Meine Erfahrung ist, dass Weihnachten in unserer Kultur über die Konfessionsgrenzen hinweg als ein Fest der Familie wahrgenommen und gefeiert wird – es wird vermittelt, wir gehören zusammen und du gehörst dazu. Natürlich hängt es bei manchen auch davon ab, wie sie als Kind Weihnachten erlebt haben. War es ein schönes Erlebnis oder eine Katastrophe, weil Alkohol oder Gewalt alles kaputt gemacht haben? Auch geschichtlich gesehen war Weihnachten die Zeit, in der man sich beispielsweise beim ,Gesinde‘ bedankte. Es geht also, noch vor jeder religiösen Dimension, um ein Angesehen und Wahrgenommen-Werden, sprich: Es ist gut, dass es dich gibt – du gehörst dazu.“
„Das macht schon einsam“
Gibt dieses Netz des Wahrnehmens nach, dringt das direkt zum eigenen Selbstwert und dem Gefühl des Dazugehörens vor. Das schmerze, erzählt Gerhard Häfele. Zu Weihnachten spüre man das in gewisser Weise „doppelt“, zumindest aber stärker, sowohl im Krankenhaus als auch im Altenheim. Gerhard Häfele erinnert sich in diesem Zusammenhang an eine alte Dame, die ihm bei seinen Besuchen im Heim einmal erzählt hat: „Alle meine Freunde und Bekannten sind längst verstorben. Ich habe niemanden mehr.“ Das macht schon auch einsam.
Die Herz-Wunde
Als er, Gerhard Häfele, im Altenheim gearbeitet habe, habe er sich oft gewundert, dass an den Tagen um Weihnachten manche auch ganz vehement auf Besuch verzichtet hätten. Über die Jahre hat er für sich dann eine mögliche Erklärung gefunden: „In einem Gespräch habe ich einmal erfahren, dass es für manche schmerzend ist, wenn sie ,fremden‘ Besuch bekommen – es sticht in die Herz-Wunde, sonst niemanden zu haben, der ihnen nahesteht; das tut dann manchmal mehr weh, als allein zu bleiben. Andere haben sich mit dieser Tatsache ausgesöhnt und können sich auch über ,fremden‘ Besuch freuen.“ Wenn Familienangehörige auf Besuch kommen oder ein Besuch am Weihnachtsabend zu Hause möglich ist, steht das natürlich immer ganz hoch im Kurs. Das wissen auch die Pflegekräfte und Betreuer:innen und so sei in den Pflegeeinrichtungen, in denen Gerhard Häfele gearbeitet hat und auch noch arbeitet, immer alles Mögliche getan worden, „dass die Pflegebedürftigen zumindest für ein paar Stunden oder Tage zu ihren Lieben nach Hause können“. Im Krankenhaus zeige sich ein ähnliches Bild. Da leeren sich am 24. Dezember die Stationen – jede und jeder, der irgendwie möchte und kann, wird nach Hause geschickt – oder für ein paar Stunden „beurlaubt“. „Daneben gibt es aber auch immer wieder Menschen, die gerade am 24. Dezember eingeliefert werden. Die Einsamkeit zu Hause kann das eine oder andere körperliche Gebrechen, gerade zu dieser Zeit, noch vehementer auftreten lassen…“ Die Seelsorge übernimmt dann eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. „Auf der menschlichen Ebene drückt sie aus, du gehörst dazu, du bist wichtig, schön, dass es dich gibt. Die Rolle der Seelsorger:innen signalisiert aber auch, selbst wenn alle dich vergessen, Gott vergisst dich nicht; für ihn gehörst du immer noch dazu.“
Mein Ruinenkrippenstall
Das ist die eine Seite der Einsamkeit. Wie aber sieht es auf der anderen aus, auf der der Seelsorger:innen? „Man kann die Lebensgeschichten und Krankheitswege vieler Menschen nicht mehr verändern. Und nichts ist schlimmer als zusehen zu müssen, wie Unheil sich entwickelt.“ Warum sollte es Seelsorger:innen da auch anders gehen? Man fühle sich ohnmächtig, verlassen, auch einsam. In diesen Augenblicken helfe es ihm, sich an seine ganz persönliche Krippe zu Hause zu erinnern. „Meine Frau und ich haben einen ,Ruinenkrippenstall‘. Der Blick auf diesen Stall hilft mir dann oft, meine eigenen, inneren Ruinen besser zu verstehen. Mir hilft es, das Bibliodrama von Bethlehem als mein eigenes Psychodrama vor Gott zu bringen – wie die Hirten auf freiem Feld, manchmal ohnmächtig, ausgesetzt den Launen ihrer Welt. Und wie auch ich manchmal, fürchteten sie sich sehr. Dann stärkt es mich, dass in diese furchtbesetzte Dunkelheit und den Stallgeruch hinein dieses Gotteskind kommt. Ihnen wie auch mir wird der Alltag nicht abgenommen. Auch ihnen fällt das Kind nicht in den Schoß, im Gegenteil: Sie wie auch ich müssen uns immer wieder selbst auf den Weg zur Krippe machen.“
Vielleicht eine Hausaufgabe
Und noch etwas: Einsamkeit ist, ist Gerhard Häfele überzeugt, weniger die Frage unter wie vielen Menschen ich bin, sondern die Frage, wer diese Menschen füreinander sind.Vielleicht wäre das ja auch einmal eine schöne „Hausaufgabe“ für Weihnachten: Menschen, für die wir jemand sind oder die für uns jemand sind, das auch spüren zu lassen – mit einem Anruf, einer Karte, einem Brief oder einem kleinen „Danke, dass du da bist!“.