Zum 15. Mal begehen heuer die christlichen Kirchen in Österreich am 17. Jänner den „Tag des Judentums“. Er dient der zweifachen Erinnerung – an die jüdischen Wurzeln des Christentums und an die Mitschuld der Christen und Kirchen am Antisemitismus; er ist aber auch ein Ansporn, die Begegnung und Zusammenarbeit zwischen Juden und Christen zu vertiefen.

StolpersteineBilder: Während Kirchen und Politik der Novemberpogrome von 1938 gedachten, beschmierten „amtsbekannte“ Neonazis das Schoa-Denkmal auf dem Wiener Judenplatz und an NS-Opfer erinnernde „Stolpersteine“ in Salzburg.

Im November vor 75 Jahren brannten auch in Österreich die Synagogen, jüdische Mitbürger wurden aus ihren Wohnungen und Häusern gezerrt und erniedrigt, ihre Geschäfte wurden zerstört, die ersten Morde geschahen. Es war der Beginn einer beispiellosen Verfolgungsgeschichte: 65.000 österreichische Jüdinnen und Juden wurden ermordet, an die 13.000 mussten oder konnten (noch) fliehen.

Zu wenige
„Wir erkennen heute beschämt, dass mit der Zerstörung der Synagogen der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele unserer Vorfahren im Glauben das gespürt hätten“, heißt es in einer Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen. Und weiter: „Die politische Naivität, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und die mangelnde Liebe haben viele Christen – auch Verantwortungsträger der Kirchen – damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen angetan wurden.“

Ähnlich selbstkritisch äußerte sich auch die Österreichische Bischofskonferenz anlässlich 75 Jahre Novemberpogrom: „Die Kirche hat in ihrer damaligen Theologie versagt, weil sie kein eindeutiges Zeugnis für den ungekündigten Bund des Ewigen mit seinem Volk gegeben hat. Und sie hat in der Liebe versagt.“ Einzelne hätten zwar die Not der Opfer des Antisemitismus gesehen und auch geholfen. „Aber es waren viel zu wenige“. Die Bischöfe zitieren ein Dokument der Päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum, in dem die Frage aufgeworfen wird: „Welche Beziehung besteht zwischen der Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten und der Haltung der Christen gegenüber den Juden in all den Jahrhunderten“. 

Die Wurzel
Der Ökumenische Rat und die Bischöfe schließen ihre Erklärungen damit, dass sie dafür dankbar seien, den jüdischen Gemeinden heute freundschaftlich verbunden sein zu dürfen. Das greift auch Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, zum diesjährigen Tag des Judentums auf: Die Schoa sei zwar der drängende Anlass gewesen, nach dem Krieg die christlich-jüdischen Beziehungen radikal zu überdenken und neu zu leben; heute gehe es den Kirchen aber vor allem um die Anerkennung und Wertschätzung des Judentums als Teil der christlichen Identität.

„Ohne Judentum kann man nicht Christ sein.“ Dabei gelte es, das Judentum in seiner eigenständigen Heilsgeschichte und Andersheit zu respektieren. So etwa betont Papst Franziskus: „Gott ist dem Bund Israels immer treu geblieben und die Juden haben trotz aller furchtbaren Geschehnisse ihren Glauben an Gott bewahrt. Dafür werden wir ihnen als Kirche, aber auch als Menschheit, niemals genug danken können.“

Zur Sache

von Lothar Pröll

Aus dem Gedenken wächst Orientierung

Die christlichen Kirchen wollen sich weiter dafür einsetzen, dass auch in Österreich der 27. Jänner als offizieller Gedenktag für die Opfer des Holocaust anerkannt wird. Das betonte der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen, Lothar Pöll. Sowohl die Vereinten Nationen als auch gut ein Dutzend europäischer Länder haben den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum Holocaust-Gedenktag erklärt.

Österreich gedenke zwar jährlich am 5. Mai der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen, würdigt der Ökumenische Rat die damit verbundene Bewusstseinsbildung für Menschenwürde und Demokratie. Dennoch wäre es notwendig, so der ÖRK, „auch in unserem Land den 27. Jänner als einen Tag der Buße und des Gedenkens zu begehen – im Hinblick darauf, dass der Name Auschwitz unauslöschlich mit den jüdischen Menschen, der größten Opfergruppe des menschenverachtenden NS-Regimes, verbunden ist.“

Ein solcher Tag des Nachdenkens, so Lothar Pöll, habe eine wichtige Bedeutung für die Gegenwart, da aus dem Eingedenken Orientierung wachse; etwa im Blick auf die Menschenwürde, die Menschenrechte, die Rechte von Minderheiten, den Rechtsstaat oder die Demokratie. Der Ökumenische Rat sieht hier auch einen besonderen Auftrag an die Kirchen, jeglicher Politik von Abwertung, Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenhass entgegenzutreten.

(aus KirchenBlatt Nr. 3 vom 16. Jänner 2014)