Warum es die religionsfreie Schule nicht gibt und es sich lohnt, Religionslehrer:in zu werden. Im Gespräch mit Schulamtsleiterin Annamaria Ferchl-Blum.

von Veronika Fehle

Die Gesellschaft ist in Bewegung. Welche Stimme kann hier der Religionsunterricht übernehmen?
Annamaria Ferchl-Blum: Die weltanschauliche Vielfalt in unseren Schulen ist eine Tatsache. Es ist für mich oft erstaunlich, wie selbstverständlich diese anspruchsvolle Situation in den Schulen gemeistert wird. Pluralität wird an vielen Standorten bewusst sichtbar gemacht. Wenn in diesem Bemühen um ein gutes Miteinander das Fach Religion im Stundenplan steht, werden die Schüler:innen nach ihren religiösen Bekenntnissen getrennt oder gehen in den Ethikunterricht. Natürlich gibt es da auch kritische Stimmen, denn es ist ja tatsächlich so, dass die klare Konfessionalität des Religionsunterrichts aus einer Zeit stammt, in der die Klassen beinahe geschlossen katholisch waren. Ich meine, wir müssen heute beides sehen: Die Vorteile und die Bewährtheit dieses konfessionellen Modells, aber auch die Situationen an Schulen, wo dieses Modell nicht mehr passt und nur schwer organisierbar ist.

Es gibt Überliefertes und es gibt Entwicklung. Dabei kann Vertrautes plötzlich nicht mehr „vernünftig“ wirken. Ist die Religion an so einem Punkt oder ist es das Wesen von Religion nicht „vernünftig“ sein zu müssen?
Ferchl-Blum: Religion ist für mich nicht per se vernünftig, sondern sie muss in jeder Zeit neu aufweisen, wie ihre Inhalte dem guten Leben der Menschen und der Gesellschaft als Ganzes dienen. Sie muss „vernünftig“ begründbar sein. Selbiges gilt auch für den Religionsunterricht. Er muss sich der Frage stellen, was sein Beitrag zu einer gesamtmenschlichen Bildung der Schüler:innen ist und welche Inhalte dafür nötig sind. An Plausibilität mangelt es derzeit vor allem der Organisationsform des Religionsunterrichts, da wir immer mehr Schüler:innen haben, die zwar einer Religion angehören, aber dennoch nicht religiös sozialisiert sind oder diese praktizieren. Wir merken es daran, wie oft wir den Religionsunterricht „erklären“ müssen, ohne wirklich verstanden zu werden.

Gibt es da neue Ansätze, neue Ideen?
Ferchl-Blum: Wir haben uns entschieden, an einzelnen Schulen neue Wege zu gehen und zumindest einen Eckpunkt des konfessionellen Konzeptes – die nach Religionen getrennten Unterrichtsgruppen – aufzugeben. In den Klassen wo nun „konfessionell-kooperativ“ unterrichtet wird, steigt das Interesse an Religion nachweislich. Im Teamteaching mit Lehrpersonen aus anderen Religionen geschieht bereicherndes Lernen auf verschiedenen Ebenen – bei den Schüler:innen, aber auch bei den Lehrer:innen.

Veränderungen brauchen einen „sicheren Ort“, von dem sie ausgehen können. Kann Religion so ein „sicherer Ort“ sein?
Ferchl-Blum: Für viele Schüler:innen ist der Religionsunterricht ein sicherer Ort, weil Religionslehrer:innen den Kindern Halt geben und sie ernst nehmen – übrigens eine Voraussetzung für gelingende Lernprozesse. Ältere Schüler:innen melden zurück, dass das Fach Religion ein sicherer Ort zur Meinungsbildung sei, in dem kritische Auseinandersetzung über Gott und die Welt möglich ist, weniger Leistungsdruck herrscht und Freiheit groß geschrieben wird. Die existentielle Bedeutsamkeit, die Religion im Leben der Menschen haben kann, ist dieser „sichere Ort“, der auch in der Schule nicht verloren gehen soll. Deshalb lohnt es sich, das Fach weiterzuentwickeln.

Ist Religion also ein Fach mit „Lebensbezug“?
Ferchl-Blum: Hier lohnt sich ein Blick in unsere Lehrpläne. Die großen Überschriften sind: Beziehung zu sich selbst, zu anderen, zur Schöpfung, die eigene Religion kennen und deuten können, kirchliche Grundvollzüge kennen und religiös ausdrucksfähig werden, die religiöse Vielfalt in Gesellschaft und Kultur beurteilen und gestalten können. Wenn Schüler:innen über Jahre mit diesem Programm unterwegs sind, gewinnen sie eine zentrale Kompetenz für ihr Leben und für die Mitgestaltung der Gesellschaft. Oft melden uns Schulleiter:innen zurück, dass der Religionsunterricht der Schulkultur gut tut, weil Schüler:innen eben wertvolle Haltungen erlernen, die es für ein gutes Miteinander – in der Schule, aber auch in der Gesellschaft – braucht.

Ist Religionsunterricht Bildung und wenn ja, für wen?
Ferchl-Blum: Religionsunterricht ist Bildung in einem sehr breiten und auf lebenslanges Lernen ausgerichteten Sinn. Das Kennenlernen, Erforschen und Praktizieren von Religion sollte ja nie aufhören und stets zu einer gesamtmenschlichen Entwicklung beitragen. Wenn dieser Bildungsprozess – vielleicht ausgehend vom Religionsunterricht – in Gang kommt, wirkt er bestenfalls weit über die Schulzeit hinaus. Im Übrigen fällt mir dazu noch ein Zitat des heiligen Ignatius ein, der meinte: „Die Kirche lernt selbst am besten, wenn sie lehrt“. Deshalb sollte bewusst mehr auf die Religionslehrer:innen gehört werden – hier liegt ein Potential für die Kirche.

Religion ist Privatsache, heißt es oft. Wie stellt sich der Religionsunterricht der Diskussion?
Ferchl-Blum: Sobald in einer Schule Schüler:innen und Lehrer:innen mit unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten und Weltanschauungen zusammenkommen, ist Religion nicht mehr Privatsache.  Die vom Staat an die Kirchen und Religionsgemeinschaften übertragene Aufgabe der religiös-ethischen schulischen Bildung trifft auf eine sich immer säkularer und individualistischer verstehende Gesellschaft.  Manche sehen den Religionsunterricht daher als Kirchenprivileg, manche meinen, er verhindere die Religionsfreiheit im Sinne einer religionsfreien Schule (die es ja de facto nicht gibt). Andere argumentieren, dass durch den Religionsunterricht am öffentlichen Ort Schule, die Religionen selbst ein Korrektiv erhalten und nicht ins rein Private verschwinden. Dieser Diskurs ist da und fordert alle, die mit dem Religionsunterricht zu tun haben.

Was heißt Religionsfreiheit für Sie?
Ferchl-Blum: Religionsfreiheit heißt für mich, dass in einer Gesellschaft gute Rahmenbedingungen für eine freie Religionsausübung gegeben sein sollen. Ist es in diesem Sinne vertretbar, wenn das religiöse Symbol des Kreuzes gesetzlich abgesichert im Klassenraum hängen darf und Symbole anderer Religionen nicht vorkommen? Diesen Fragen muss man sich stellen. Die Frage, was mit der immer größeren Gruppe der Konfessionslosen in der schulischen Bildung geschieht, ist ebenfalls ein Thema.

Soll Unterricht stattfinden, muss es auch Menschen geben, die ihn halten. Stichwort Mangel an Lehrenden. Welche Akzente werden hier gesetzt?
Ferchl-Blum: Der Lehrer:innenmangel beschäftigt uns über Fächergrenzen hinweg. Der Slogan der Kirchlichen Pädagogischen Hochschucle, „Gute Lehrer:innen braucht das Land“, ist brisant, denn derzeit entscheiden sich zu wenig junge Menschen für diesen Beruf. Im Fach Religion kann man sicher an der Tatsache der schlecht besuchten Studiengänge für Religionspädagogik an unseren Fakultäten und Hochschulen auch eine generelle Distanz zu Religion und Kirche bei jungen Menschen ablesen. Unsere Kirche verstößt in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und im Festhalten an tradierten autoritären Strukturen gegen normative Grundlagen in unserer Gesellschaft. Das irritiert junge Menschen zunehmend mehr und hält sie von der Kirche fern. Da kann dann auch nicht erwartet werden, dass es viele sind, die ein Berufsbild mit klarer Kirchenbindung wählen.
In den Schulämtern bringt uns das natürlich in eine schwierige Situation. Als eine der Maßnahmen gegen den Personalmangel hat die KPH einen Hochschullehrgang für eine Basisqualifikation im Pflichtschulbereich eingerichtet. Wir freuen uns über 17 Personen, die diesen Lehrgang ab diesem Schuljahr besuchen und gleichzeitig schon im Dienst als Religionslehrer:innen sein werden.

Einmal die Werbetrommel rühren. Warum sollte man sich heute dazu entscheiden, Religionslehrer:in zu werden?
Ferchl-Blum: Ich bin überzeugt, dass der Lehrberuf einer der hervorragendsten Professionen ist, wenn man unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten will. Deshalb werde ich nicht aufhören für diesen Beruf zu werben. In meiner Zukunftsvision begeistern sich wieder mehr junge Menschen für den Lehrberuf, weil es ein Beruf mit Sinn ist. In diesem besonderen Fach bieten sie den Schüler:innen einen „sicheren Ort“ für die großen Fragen des Lebens. Für diese anspruchsvolle Aufgabe werden sie schulisch und auch kirchlich geschätzt und als unentbehrliche Glieder des Ganzen gesehen. 

 

Das Schulamt der Diözese

Das Schulamt der Diözese Feldkirch ist für alle Fragen des römisch-katholischen Religionsunterrichts und der katholischen Privatschulen im Bereich der
Diözese Feldkirch zuständig.
Das Schulamt hat für die Bestellung der Religionslehrer:innen zu sorgen.
Die Betreuung der Religionslehrer:innen erfolgt durch die Fachinspektor:innen Roswitha Schwaninger und Ruth Berger-Holzknecht. Annamaria Ferchl-Blum, die neben ihren Leitungsaufgaben auch Referentin für die katholischen Privatschulen ist, führt das Schulamt der Diözese Feldkirch seit März 2020.

Mehr dazu: www.kath-kirche-vorarlberg.at/schulamt