In der großen Flut der Schreckensmeldungen aus dem Nahen Osten ist die Nachricht von einer geglückten Herbergsuche wie Balsam auf der Seele. In Hörbranz haben drei Häuser ihre Türen geöffnet und noch mehr Menschen ihre Herzen, damit Familien aus Syrien dort eine Bleibe finden.

Patricia Begle

Gastfreundschaft ist im Hörbranzer Pfarrhaus selbstverständlich. Pfarrer Roland Trentinaglia führt mich zum Gespräch nicht ins Büro, sondern ins Esszimmer. Kekse und Adventgesteck am Tisch, Kaffeeduft in der Luft. Nach einiger Zeit setzt sich Daniela Prilmüller zu uns. Sie bekleidet hier im Haus viele Rollen: Sekretärin, Grafikerin, Haushälterin, Gärtnerin. Seit drei Monaten ist die Vielbegabte auch Flüchtlingsbetreuerin.

Gemeinsam
Die Lage im Sommer war in Hörbranz eine besondere. Sowohl Gemeinde als auch Pfarrgemeinde besaßen ein Haus, das gerade leer stand. Außerdem gab es das „Caritas-Haus“, das im Jahr zuvor der Caritas  testamentarisch vermacht worden war. Pfarrer Trentinaglia brachte die Idee für Flüchtlingsunterkünfte ins Spiel. „Für mich war dabei immer klar, dass das nur geht, wenn die Pfarre und alle politischen Fraktionen dahinterstehen“, erzählt er heute. In der Gemeinderatssitzung Mitte August fiel dann die Entscheidung. Einstimmig. Keine Einwände.

Einrichten
Seither liegt die Trägerschaft für das Projekt in den Händen von Pfarre und Gemeinde. Ein Arbeitskreis, in dem beide Seiten sowie die Direktorin der Volksschule und der Direktor der Mittelschule vertreten sind, koordiniert die Arbeit. In kürzester Zeit wurden die Häuser entsprechend ausgestattet und mit dem eingerichtet, was es für das tägliche Leben eben so braucht.

Spenden
Das Einrichten der Haushalte war für Daniela Prilmüller eine neue Erfahrung. Unterschiedliche Fragen entstanden und mussten geklärt werden: Was wird neu gekauft, worum wird in der Öffentlichkeit gebeten, was tun mit dem, was zu viel ist oder mit jenem, das nicht mehr in Ordnung ist. „Die Sache mit den Spenden hat mich zum Nachdenken gebracht. Spende ich  zum Beispiel nur das, was ich selbst nicht mehr brauche, oder spende ich auch Dinge, von denen ich mich schwer trenne. Schon hier konnte ich sehr viel persönlich lernen“, erzählt sie. „Außerdem habe ich begonnen, mich selbst zu hinterfragen. Brauch ich das wirklich?“

Begegnen
Im September war es dann so weit. Fünf syrische Familien zogen in die drei Häuser ein. Im Rahmen eines Begegnungsabends stellten sie sich der Gemeinde vor und wurden wohlwollend aufgenommen. 23 Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder sind seitdem in Hörbranz zu sehen, in Schule und Kindergarten, im Geschäft oder beim Arzt. Sie sind anerkannte Flüchtlinge, das heißt, dass sie nicht in das Flüchtlings-Betreuungsprogramm der Caritas hineinfallen. Sie stehen sozusagen auf eigenen Beinen, bekommen Mindestsicherung, die Miete wird so lange von der BH bezahlt, bis sie eine Arbeit haben.

Finanzieren
„Das Wichtigste ist jetzt, dass alle Deutsch lernen“, erklärt Pfarrer Trentinaglia. Für die Frauen engagieren sich zwei Lehrerinnen. An zwei Nachmittagen treffen sie sich, für die Kleinen sorgt in dieser Zeit Daniela. Die Männer besuchen einen Deutschkurs an der VHS Götzis. Bezahlt wird er zu zwei Drittel von Geldern der Pfarrcaritas Hörbranz.
Damit die Gelder der Pfarrcaritas nicht ausgehen, hatte „Trenti“, wie viele ihn hier nennen, die Idee für einen besonderen Adventkalender. Unter dem Motto „Geben statt nehmen“ werden täglich 50 Cent in ein Säckchen gefüllt - und zu Weihnachten in der Kirche abgegeben. Auch seitens der Bevölkerung kommt immer wieder die Frage: „Kann ich helfen?“ Die Formen der Unterstützung reichen von Patenschaften bis zu Weihnachtsgeschenk-Kartons für die Kinder. „Das verselbständigt sich, hier entstehen Freundschaften und die Unterstützung wächst ganz natürlich, ganz unaufgesetzt“, beschreibt Daniela. „Überhaupt läuft die Sache in Hörbranz gut und rund, alle arbeiten Hand in Hand. Und die Menschen aus Syrien sind eine echte Bereicherung.“

Flucht
Davon kann ich mich kurze Zeit später selbst überzeugen. Beim Besuch der beiden jungen Familien im Haus der Gemeinde treffe ich auf herzliche Gastfreundschaft. Tee wird serviert, Kekse und Selbstgebackenes stehen bereit. Alle sind in der Stube versammelt, die beiden Männer, Nuri Haji und Ali Jafo, beginnen zu erzählen. Seit dem 11. Juni 2013 sind sie in Österreich. Ihre zweimonatige Reise hierher war mehr als abenteuerlich, sie war lebensgefährlich: endlose Fahrten im LKW, über‘s Meer mit Schiff und Schlauchboot, acht Tage Gefängnis in Griechenland. Nach einer Woche in Traiskirchen landeten sie in Schruns. Nuris Frau Brevian und seine Tochter durften nach einem halben Jahr nachkommen. Ali musste über ein Jahr auf seine Frau Shiraz und seine beiden Söhne warten.

Chaos
Eine sichere Zukunft für ihre Kinder, das war einer der Beweggründe für die Flucht. In Aleppo waren die Familien nicht nur den ständigen Bombardements, sondern auch dem Chaos und der Willkür der sich bekämpfenden Gruppierungen ausgesetzt. „Wir wussten nicht mehr, welche Gruppe richtig und welche falsch war“, erzählt Ali. „Und immer wieder kamen neue Gruppen dazu.“ Durch seine Arbeit als Vermessungstechniker bei der Regierung fiel er automatisch in die Kategorie „pro Regierung“ - das konnte zum Vor- oder Nachteil werden.
Nuri erlebte die Willkür am eigenen Leib. 39 Tage war er eingesperrt - aus Versehen. Der Raum umfasste vier Mal vier Meter, er teilte ihn mit 50 anderen Menschen und einer Toilette, das Essen reichte gerade aus, um nicht zu verhungern.

Zuversicht
Trotz allem lachen die beiden heute. Sie sind glücklich, mit ihren Familien nun in Sicherheit zu sein. Nuri hat schon mit der Jobsuche begonnen. Der Experte für Auto-Elektrik träumt sogar davon, irgendwann wieder eine eigene Autowerkstätte zu betreiben - so wie in seiner Heimat.

KOMMENTAR

von Patricia Begle

Wundversorgung

Es ist schon erstaunlich. Seit Monaten - oder Jahren? - wird die Verantwortung für Flüchtlings-Unterkünfte hin- und hergeschoben, Bedenken und Einwände verhindern das Zur-Verfügung-Stellen von leerstehenden Wohnungen, Menschen sitzen wartend in fragwürdigen Behausungen. Und dann fällt in einer kleinen Gemeinde mitten in den Sommerferien die Entscheidung zum „Ja“ - und schon wird scheinbar Unmögliches möglich.
 
Hörbranz ist nicht die einzige Pfarre, die sich engagiert. Sechs Wohnungen in pfarrlichen Gebäuden wurden in den vergangenen Monaten für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt, drei sind in der Umsetzungsphase, zehn werden derzeit überprüft. Die Bereitschaft in der Bevölkerung scheint zu wachsen. Und die Entwicklung in Hörbranz zeigt, dass die Menschen aus der Ferne zu Freundinnen und Freunden und für das Dorf zur Bereicherung werden können: ihr Lachen, ihr respektvoller Umgang miteinander, ihre Offenheit und große Lernbereitschaft. Neues und Ungekanntes bricht immer auch Routine auf, stellt Denkmuster in Frage und bringt damit uns selbst weiter.

Die Menschen aus Syrien bringen zudem das Schicksal von Millionen Flüchtlingen in unsere direkte Nachbarschaft. Wer sich darauf einlässt, wird zutiefst erschüttert. Gleichzeitig hat das Aufnehmen der Familien etwas Heilsames, so als ob die große Wunde des Nahen Ostens hier auf ein wenig Wundversorgung stoßen würde. Und das ist es, was wir tun können. Damit wir nicht in der Ohnmacht verloren gehen und damit sie nicht in der Verzweiflung ertrinken.