"... Ich war allein, meine Eltern waren fortgegangen, um Besorgungen für das Fest zu machen. Ich war Volksschüler und machte mir Sorgen, dass das Christkind vergesslich sein könnte ...." -

Bild rechts: Rund um Weihnachten haben das Postamt und die Wallfahrtskirche Christkindl Hochsaison.

Eine Weihnachtsgeschichte

von Stefan Reichhardt.

Still war’s in Neuzeug, damals an jenem Tag vor der Heiligen Nacht. Still war’s, nicht einmal die Ziegen meckerten um das Futter im Stall. Die Maschinen und Hämmer der nahe gelegenen Besteckfabrik Neuzeughammer standen still. Flockig und weich lag der Schnee auf den Häusern und aus den Kaminen tänzelte der Rauch. Eine eigenartige Stimmung überfiel unser Haus.

Ich war allein, meine Eltern waren fortgegangen, um Besorgungen für das Fest zu machen. Ich war Volksschüler und machte mir Sorgen, dass das Christkind vergesslich sein könnte: Denn schon drei Mal waren die gleichen Sachen unter dem Christbaum gelegen: die gleichen Schi, nur einmal mit neuen Schuhen und ein anderes Mal mit einer anderen Farbe. Ein Stück Stahlkante daran aber fehlte jedes Mal. In dem Brief an das Christkind stand in diesem Jahr etwas anderes.

Der Brief, den ich zwischen die Fenster gelegt hatte, wurde verlässlich abgeholt. Trotzdem wurde immer wieder gemunkelt, dass es gar kein Christkind gäbe. Ich dachte, ich könnte es meinen Freunden beweisen. Nur die geheimnisvolle Zustellung der Geschenke am Heiligen Abend ließen doch ab und zu Zweifel in mir aufkommen. Trotzdem erzählte ich allen vom Christkind. Ich wusste, dass es ganz bei uns in der Nähe, in Christkindl bei Steyr, zuhause war. Denn meine Großeltern wohnten in Haidershofen bei Steyr und ein paar Mal im Jahr fuhr ich gemeinsam mit meinen Eltern von Neuzeug mit der Steyrtalbahn zu ihnen. Auf diesem Weg gab es eine Station, die hieß „Unterhimmel“. Oberhalb dieser Haltestelle steht auf einer Anhöhe eine Kirche mit zwei Türmen. Dort sei das Christkind zuhause – das hat mir meine Mutter immer wieder erzählt. Es war ja auch einleuchtend: unten Unterhimmel und oben Christkind! Je mehr ich über das Christkind nachdachte, desto mehr kam der Wunsch in mir auf, das Christkind einmal zu besuchen und es zu uns zu holen. Bis Christkindl waren ja nur zwei Stationen zu gehen. Also hielt mich nichts zurück.

Auf dem Weg nach Christkindl
Die von meiner Großmutter erzeugten Holzpummerln an den Füßen und mit meinem eng anliegenden kratzenden Pullover, einem umgefärbtem Wintermantel mit zu langen Ärmeln und einer umfunktionierten Wehrmachtskappe auf dem Kopf, so verließ ich das Haus. Niemand sah mich, als ich zuerst entlang des Flusses Steyr und dann über die Brücke ging.
Die Steine am Ufer, vom Eis überzogen, glitzerten bläulich. Das Gurgeln des Flusses war verstummt und die Forellen und Äschen waren nicht zu sehen. Vielleicht waren ja auch sie auf dem Weg zum Christkind? So erreichte ich die Gleise der Steyrtalbahn. Vom Kirchturm in Neuzeug ertönte die 12-Uhr-Glocke, und ich machte mich auf den Weg flussabwärts Richtung Christkindl.

Im Dampf der Lokomotive
Plötzlich begegnete mir ein Mann und sagte, es sei doch sehr gefährlich, auf den Gleisen zu gehen. Wenn ein Zug über einen drüberfährt, dann sei man nachher so flach wie ein 10-Groschen-Stück, meinte er. Da nahm er ein solches Geldstück aus seiner Hosentasche und legte es auf die Schienen. Dann legte er sein Ohr auf die Schienen und horchte auf den herankommenden Zug. Der Lokführer gab mit seiner Dampfpfeife ein langes Signal ab. Wir sprangen zur Seite in den Schnee. Der flockige Schnee, vermischt mit dem Dampf der Lokomotive, erfasste uns und wir sahen nichts mehr. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich das 10-Groschen-Stück platt auf den Schienen liegen – unkenntlich als Zahlungsmittel. Der fremde Mann schenkte mir dieses Stück und ging wortlos weiter.

So belehrt, verließ ich tatsächlich die Gleise und setzte meinen Weg durch den Buchenwald fort, immer noch in Richtung Christkind. Als ich dann vor der Kirche stand, klemmte die Tür. Oder war sie gar zugesperrt? Da bemerkte mich eine Frau, die aus der gegenüberliegenden Loreto-Kapelle kam. Sie ging auf mich zu und fragte freundlich, was ich vorhabe. Da erzählte ich ihr vom Christkind, das, wie ich von meiner Mutter wüsste,
hier wohne, und dass ich vorhätte, es zu holen. Sie staunte über mein Ansinnen, lächelte ein wenig, schaute mich von oben bis unten an, entdeckte meine Holzbummerln und sagte: „Gehen wir hinein, drinnen ist es wärmer!“ Mit einem kräftigen Stoß öffnete sie die Eisentür.

ChristkindlEin Kind aus Wachs
Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, um das Christkind zu finden. Ein großes Gitter versperrte den Weg in das Innere der Kirche. Die goldene Farbe des Altares und die Gemälde an den Wänden überraschten mich genauso wie die Höhe des Raumes. Ich fragte die Frau ganz leise, wo denn das Christkind sei. Da zeigte sie mir die Weltkugel am Altar und fragte mich, ob ich dort den dunklen Baumstamm sähe. Darüber wäre das Christkind in einer Nische. Es sei aber nur 10 cm klein, aus Wachs, und vor vielen Hunderten Jahren von einem frommen Mann hierhergebracht worden.

Ich war erstaunt, konnte es nicht glauben: Nur 10 cm hoch und aus Wachs?! Mitten in meiner Enttäuschung sah ich, wie plötzlich auch noch andere Leute da waren, wahrscheinlich auch, um das Christkind zu holen, wie ich dachte. In Wirklichkeit aber falteten sie nur die Hände und versanken im Gebet. Ich wollte weggehen, um den Nachhauseweg anzutreten. Da sprach die Frau zu mir über das Christkind in Christkindl: Dieses hier sei noch zu klein, um die vielen Geschenke zu verteilen. Daher habe es die Eltern ersucht, hier mitzuhelfen, um Freude zu bereiten. Ich fühlte etwas Warmes in meinem Herzen und dachte an meine Eltern und an die Botschaft des Christkindes.

So ging ich also ohne das Christkind wieder nach Hause und ich habe von meinem Abenteuer am Vortag des Heiligen Abends niemandem erzählt. Das Christkind aber kam jedes Jahr pünktlich am 24. Dezember: Wenn es in Wachs auch nur 10 cm groß war, in mein Herz kam es doch immer groß und lebendig.

Stefan Reichhardt wurde 1940 in Neuzeug/OÖ. geboren und lebt in Enns.