Er ist eingegangen in die Geschichte als der Prototyp eines Verräters. Sein Kuss bringt Jesus ans Kreuz - und schafft damit die Voraussetzung für die heilsgeschichtliche Erlösertat Christi. Was hätte er selbst dazu gesagt? Ist es vielleicht Zeit für eine Rehabilitation? Das Vorarlberger Landestheater verleiht Judas in der Harder Pfarrkirche im gleichnamigen Stück erstmals eine eigene Stimme.

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Simone Rinner

Ist hier jemand, der mich nicht kennt? Nein? Ja? Naja, ist ja auch egal. Alles wird von selbst klar werden, hoffe ich. Ich fange gleich an“, eröffnet Judas, gespielt von Toomas Täht seinen Monolog neben der Orgel. Alle Augen der Besucher/innen sind auf die Empore gerichtet. Dass sie sich die Köpfe dabei nicht verdrehen müssen, ist der Tatsache geschuldet, dass die Sichtweise eine für die Kirche Unübliche ist. Im doppelten Sinne des Wortes. Zum einen sitzen die Besucher/innen mit dem Rücken zum Altarraum und damit in Richtung Haupttüre. Zum anderen erörtert Judas hier höchstpersönlich seine Sicht der damaligen Dinge - die bekannte Geschichte kenne man bereits. Er wolle die Unbekannte erzählen.

„Über Ehrlichkeit will ich gar nicht erst reden“, lautet der Untertitel des Stücks, das bereits vor knapp zehn Jahren von der niederländischen Autorin Lot Vekemans verfasst wurde und nun auch in Vorarlberg aufgeführt wird. In einer „selbst inszenierten Show begeht Judas einen letzten Versuch, seine Tat wieder auf ein menschliches Maß zurückzubringen und sein Publikum dahin zu führen, wo es lieber nicht sein möchte: zu dem Judas in sich selbst“, erklärt Vekemans. Requisiten benötigt er dabei nur wenige. Schauplatz ist die Kirche St. Sebastian in Hard, die in dezentes, warmes Licht gehüllt ist. Und Judas nimmt sich den Platz, den er braucht - er bespielt Empore, den Raum unter dem Kreuzgewölbe, Altarraum und macht auch vor Plätzen im Publikum nicht halt. Ohne großes Pathos, mit einfachen und dennoch eindringlichen Worten schildert er seinen Werdegang bis zur historischen Tat. Und bis zu seinem Tod.

Wer war Judas?
Er sei ein Raufbold gewesen, ein lockerer Typ, beschreibt er seine familiäre Herkunft und sein Leben bis zu dem Zeitpunkt, der sein Leben verändert: Als er mit 25 Jahren Jesus folgt. Berichtet von zahlreichen gemeinsamen Begegnungen mit „dem Meister“, wie er ihn nennt, für die es keine Zeugen gebe. Judas bezieht das Publikum ein, stellt Fragen, auf die er doch keine Antwort erwartet. „Angenommen Sie hätten damals gelebt - hätten Sie Hosianna gerufen?“, will er wissen. „Wo hätten Sie gestanden? Am Wegesrand oder hinter den Fenstern?“ Die Frage wo und wie man zu jemandem steht, beschäftigt ihn. Und auch Ehrlichkeit ist für ihn ein großes Thema. „Jemand hat noch nicht bezahlt“, appelliert Judas an das Publikum, das Richtige zu tun. Denn „wenn man nichts tut, kann man nichts falsch machen und nichts richtig“. Judas Monolog ist ein Blick in eine Geschichte, die wir nur aus Erzählungen kennen und die immer wieder in die Gegenwart führt.

Die idiotische Idee, dass er in Jerusalem sterben werde, habe Jesus nicht losgelassen, zeigt sich Judas wütend. Aber woher hätte der zukünftige Verräter auch wissen sollen, dass da so viel Hass ist? „Dass Jesus nur einen Haufen Angsthasen um sich versammelt hat?“ Laut klingen die Wutschreie Judas nach, hallen von Kirchenwand zu Kirchenwand. Verklingen, während sich auch seine Mimik und Gestik langsam wieder beruhigt. „Ich habe zugelassen, dass Schuld an mir kleben geblieben ist. Tausende von Jahre habe ich es zugelassen, aber jetzt reicht es“, bekräftigt er. Mit klarer Stimme erzählt er von seinen letzten Stunden, die auch die letzten Jesus waren - „... ich hoffte ihn noch sehen zu können“. „Ich habe mich selbst erhängt. Er hat mich nicht davor behütet das zu tun. Ich war ein Werkzeug“, lässt Judas entmutigt die Schultern hängen.

Eine Stunde verfolgt das Publikum bei der Premiere wie gebannt das ausdrucksstarke Spiel des estnischen Schauspielers Toomas Täht. Ein Wechsel aus Licht und Schatten geben ein stimmiges Gesamtkunstwerk, schaffen Atmosphäre. Die Akustik verleiht den Worten Judas Nachhall. Und dieser will am Ende nur eines wissen: „Hat er mir vergeben?“ Eine Frage, die unbeantwortet bleibt und den Wunsch nach einem Namen, den man mit Stolz tragen kann, verstärkt. Hätte es ohne ihn ein letztes Abendmahl gegeben? Einen Kuss? Ein Kreuz? „Ich bin stolz auf den Namen und ich spreche ihn gerne laut aus. Judas. Mein Name ist Judas“, schließt er seinen Monolog. Und mehr gibt es auch nicht mehr zu sagen.

Facts:

"Über Ehrlichkeit will ich gar nicht erst reden"

„Auswärts“, nämlich in der Pfarrkirche in Hard, realisiert das Vorarlberger Landestheater im März die Geschichte „des Verräters“ schlechthin: Judas, geschrieben von der niederländischen Autorin Lot Vekemans. Ins Deutsche übersetzt von Christine Bais und Eva Pieper. Der estnische Schauspieler Toomas Täht studierte zunächst an Universitäten in Tallinn und München Bauingenieurswesen sowie Politikwissenschaft, bevor er am Mozarteum in Salzburg seine Schauspielausbildung absolvierte.

Mitwirkende:
Toomas Täht (Judas), Markus Trabusch (Regie), Davy van ­Gerven (Ausstattung), Dirk Olaf Hanke und Ludwig zur Hörst (Dramaturgie).

Karten:
T 05574 42870 600, E
www.landestheater.org
Eintritt: € 19,-, zahlreiche Ermäßigungen, freie Platzwahl.
Aufführungsdauer: Ca. eine Stunde ohne Pause.

Termine:
Fr 4.,
Mo 21., Di 22. März, 19.30 Uhr, KircheSt. Sebastian, Hard.

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