Die Biennale von Venedig ist die weltweit größte Schau von Gegenwartskunst. Sie ist gleichermaßen Repräsentantin für Kunst und Zeitgeist. Darum kann man auch von einer schwächeren Biennale wie der heurigen einiges lernen. Auch für uns als Kirche.

Markus Hofer

Das Motto diesmal, „All the World’s Futures”, ist schwer zu übersetzen, da die Zukunft in der Mehrzahl steht: „Alle Zukünfte der Welt“. Der Gedanke ist kreativ. Vermutlich gibt es doch nicht plakativ „eine Zukunft“ dieser Welt. Die zentralen Ausstellungen wurden von Okwui Enwezor zusammengestellt, dem aus Nigeria stammenden Leiter des Hauses der Kunst in München. Es sollte eine politische Biennale werden, die aus vielen Kunstwinkeln der Welt Beiträge zum Thema präsentiert.

Politisch wurden die zentralen Ausstellungen, aber visionär ist diese Biennale deshalb nicht wirklich. Im Grunde ging es dem Kurator nicht um Zukunft, sondern um Erinnerung. Teile der Ausstellung wurden fast schon zu Rumpelkammern der politischen Geschichte. So berechtigt im Einzelnen die Themen sind, macht das allein noch keine Kunst daraus. Nicht selten kam man sich eher vor wie beim Schulfernsehen. Einmal mehr stellt sich die Frage, ob allein aus einer Kultur des Erinnerns schon die visionäre Kraft zur Gestaltung der Zukunft entsteht. Nach dieser Biennale darf man weiter daran zweifeln.

Die Moschee in der Kirche.
Der heimliche Hit der ersten Biennale-Wochen war Islands Länderbeitrag. Der Schweizer Konzept-Künstler Christoph Büchel verwandelte für die Zeit der Biennale das Innere der längst aufgelassenen Kirche Santa Maria della Misericordia in eine Moschee. Das war provokant, der Leitung der Biennale aber zu provokant. Die muslimische Gemeinschaft Venedigs besitzt bis heute keine eigene Moschee, obwohl Venedig in seiner Geschichte eng mit dem Orient verbunden war. Also nutzten Moslems ihre erste Moschee zum Gebet. Gleichzeitig war sie Teil der Biennale und offen für alle Kunstinteressierten. Es muss eine interessante Erfahrung gewesen sein. Sie ist aber Vergangenheit. Die Leitung der Biennale schloss nach einigen Wochen die Kirche mit dem Argument, dass das ein Ort des Gebets sei und nicht mehr Kunst.
Die sonst so liberale Kunstszene zog klare Grenzen. Nicht weit entfernt kann man die nachgestellten Taten eines Perversen auf riesigen Leinwänden in HD-Qualität detailliert verfolgen. Da gibt es offensichtlich keine Einwände. Doch mit der liberalen Toleranz scheint schnell Schluss zu sein, wenn es um Religion geht. Gebetet werden darf auf keinen Fall; das scheint nicht zumutbar zu sein. Warum auch immer.

Der Vatikan: Im Anfang …
Beindruckend war der Beitrag des Vatikan, der erst zum zweiten Mal dabei war. Mario Macilau (Mozambik) präsentierte in einem dunklen Raum große Schwarzweißbilder zum Thema Straßenkinder. Es waren flüchtige Ausschnitte aus dem Leben dieser Kinder, ein schmutziges T-Shirt, ein kleines Stück Matratze, eine Stiege, die nirgends hinführt, unaufdringlich, nicht belehrend, aber dafür umso tiefer berührend. Es war die ausdrucksstärkste Präsentation sozialer Fotografie auf dieser Biennale. Im Mittelteil gab es eine riesige Installation von Elpida Hadzi-Valieva (Mazedonien), die einen eigenwilligen, aber faszinierenden Raum schuf. Unter das alte Industriegemäuer wölbt sich wie aus filigranem, durscheinendem Pergament eine Haut, aus der Schnüre wachsen, die sich in der Mitte ineinander verknoten und eine Art Lebensbaum ergeben, eine sinnliche Erdung von oben. Man kann viele Bezüge darin sehen, muss es aber nicht. Es ist ein Raum, der umfängt und aufnimmt und in dem es gut tut, sich zu bewegen.

Verweilen und entschleunigen.
Der österreichische Pavillon war diesmal einer der essentiellsten Beiträge zu „All the World’s Futures“. Dabei tat der Künstler mit dem Pavillon fast nichts. Der Bau von 1934 wirkt außen modern, innen eher altmodisch hoheitsvoll. Heimo Zobernig hat einen schwarzen Kubus unter die Decke eingeschoben und den Boden mit einer ebenso schwarzen Konstruktion auf eine Ebene gebracht. Weiß blieben die Wände und die Säulen. Die totale Reduktion, die radikale Beschränkung auf das Wesentliche.

Ins Gästebuch schrieb jemand das Goethezitat: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein!“ und hat damit den Punkt getroffen. Es war vermutlich der einzige Ausstellungsraum, in dem niemand ein Selfie schoss. Dafür gab er nichts her. Diese alles Spektakel verweigernde Konzentration war nicht für alle auszuhalten. Sie wirft einen auf sich selbst zurück. Doch die Beschränkung auf das Wesentliche ermöglicht viel eher eine Neubesinnung als alle belehrenden Zeigefinger. Hier darf etwas entstehen, das heilsam sein kann und rettend. In diesem Sinne war dieser Kunstraum bereits ein sakraler.


Die 56. Biennale von Venedig


Die Biennale in Venedig findet alle zwei Jahre statt. Neben dem Zentralpavillon werden die historischen Werfthallen des Arsenale von einem bestimmten Kurator bespielt, der auch das Motto kreiert. Okwui Enwezor präsentiert heuer 136 Künstler aus 53 Ländern. Dazu gibt es die nationalen Pavillons, deren Künstler vom jeweiligen Staat bestellt werden. 29 Länder verfügen über einen fixen Pavillon in den Gardini (Gärten), dem Zentrum der Biennale. Weitere 59 Länder haben sich im Arsenale eingemietet oder in den vielen Palazzi und Kirchen im Stadtraum. Letztlich erstreckt sich die Biennale über die ganze Stadt Venedig. So kann man auch in Gebäude kommen, die sonst für Besucher geschlossen sind.

Markus Hofer

 Reduktion total.
Der österreichische Pavillon.

 


Die Biennale ist eine eindrückliche Möglichkeit, sich mit Wegen und Entwicklungen moderner Kunst zu konfrontieren, die manchmal auch ein Seismograf für gesellschaftliche Entwicklungen ist. Die Biennale dauert normalerweise von Anfang Juni bis Mitte November.

www.labiennale.org

(aus dem KirchenBlatt Nr. 37 vom 10. September 2015)