Teil 4 der 5teiligen Serie "Himmelsträume" der Theologin und Psychotherapeutin Dr. Maria Riebl

„Sagen Sie mir doch, was ich tun soll?!“ – So wird oft gefragt. Und eben so oft kann man darauf keine redliche Antwort geben. Auch Träume werden immer wieder für Zukunfts-Rezepte strapaziert.

Es scheint ein Bedürfnis vieler Menschen zu sein, eine Orientierungshilfe, ja fast so etwas wie ein Rezept zu bekommen. Dieser Wunsch meldet sich vor allem dann, wenn es eng im Leben wird, wenn sich Menschen persönlich verunsichert oder desorientiert erleben oder sich Sorgen um andere machen. Manche Menschen erwarten sich auch von ihren Träumen eine solche Antwort – oder sie meinen, eine entsprechende Weisung in ihren Träumen zu finden. Diese Haltung scheint tief verankert zu sein im menschlichen Erleben; Zeugnisse dafür finden wir seit der Antike. So wird vom Josef des Neuen Testaments erzählt:
„Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten ... Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten.“ (aus Mt 2,13–14. Vergleichen Sie auch Mt 1,20–24; Mt 2,1–12.19–21)

Leben und Botschaft
Scheinbar ist alles ganz klar und eindeutig. Dem Josef wird im Traum gezeigt, was er zu tun hat und er tut es. Aber ist das wirklich so einfach? Wenn Sie vielleicht auch die anderen Traumszenen aus dem Kindheitsevangelium des Matthäus nachlesen, dann können Sie die Wort- und Gedankenwiederholungen erkennen. Immer wieder heißt es: Im Traum ergeht die Weisung – und die Menschen wissen sofort, was sie zu tun haben. So „immer gleich“ läuft das Leben aber nicht ab. Und doch haben diese Aussagen einen tiefen Sinn: Dass Menschen in kritischen Situationen von Gott, der im Traum spricht, Orientierung erfahren und daher entsprechend handeln können. Josef reagiert, er steht auf, so heißt es wiederholt. Mit dem symbolträchtigen griechischen Wort für „Auferstehung“ wird gesagt: Der Impuls des Traums führt ihn weiter auf seinem Lebensweg, bringt ein Auferstehen in eine neue Zukunft. Und dieses Aufwachen und Aufstehen betrifft nicht nur Josef allein, sondern seine Familie, die er mit sich nimmt.

Welt der Nacht
Was ein Mensch wie der biblische Josef in seinen Träumen erlebt hat, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, in welchem Zusammenhang die nächtlichen Erfahrungen mit Überlegungen, Ahnungen oder Sorgen am Tag gestanden sind. Jedenfalls liegt diesen Texten die Überzeugung zugrunde, dass die nächtlichen Träume Menschen auf ihrem Lebensweg weiterführen können, wenn sie darauf reagieren und entsprechend handeln.

Tatsächlich gibt es die Erfahrung besonderer Klarheit in der Nacht. Viele kennen das: In der Nacht sieht so manches anders aus als am Tag. Die Nacht, die Zeit der Ängste, aber auch die Zeit der Mystik, der Erleuchtung und tieferen Einsicht. In der Nacht wird manches bewusst, im Abstand vom Tag: Argwohn wird bestätigt oder entlastet, Bedrohung meldet sich, Nebel lichten sich. Ob im Halbschlaf oder an der Grenze zwischen Wachen und Schlafen, ob im Traum: Da kann auf einmal etwas da sein, das mich meine Situation oder mein Leben anders sehen lässt. 

Sehr praktisch-konkret können nächtliche Eingebungen auch sein. Da ist kein Engel des Herrn im Traum, sondern eine Einsicht, aus der Distanz vom Tageserleben heraus, wie ein Ein-fall, etwas, was mir zu-fällt. Solche Einsichten können sehr hilfreich sein. Und sie können sich auf verschiedene Bereiche des Lebens beziehen.

Bitte beachten Sie: Ob im Halbschlaf, ob im Traum: Wenn nächtliche Eingebungen für Sie praktische Folgen haben, empfiehlt es sich dringend, auch den kritischen Verstand einzuschalten. Träume können also Wege weisen, wenn wir auf die inneren Impulse, die sie uns geben, horchen und sie zugleich an der Realität überprüfen. 

Der Buchtipp:

Maria Riebl, Symbolkraft der Träume. Ihre Botschaft verstehen und nützen.
Tyrolia, 2010, € 14,95.
Eine Art Kurzkompendium der Traumsprache mit vielen praktischen Beispielen.  Kinderträume und religiöse Träume werden besonders eingehend behandelt.