Teil 3 der Serie: Mit Matthäus im Neuen Kirchenjahr

Bild rechts: Tamar verführte durch eine List ihren Schwiegervater Juda und sicherte so dem Stamm das Weiterbestehen. Tamar und Juda. Lithografie von Marc Chagall.

Ingrid Pennervon Ingrid Penner
Mitarbeiterin im
Bibelwerk Linz


Matthäus beginnt sein Evangelium mit einem Stammbaum. Nun sind Stammbäume nicht gerade das, was wir heute gerne lesen. Wenn Matthäus sein Werk damit beginnt, wollte er wohl seine Adressaten nicht vom Lesen abhalten, sondern ihre Aufmerksamkeit auf etwas Wichtiges lenken.

Die Person, auf die sich dieser „theologische“ Stammbaum bezieht, ist Jesus – und er wird sofort mit zwei herausragenden biblischen Urvätern verbunden: mit König David, der wichtig für das jüdische Volk ist, und mit Abraham – er gilt als Stammvater aller Völker! Mit dieser Ouvertüre verweist Matthäus darauf, dass Jesus nicht nur der erwartete Messias für das jüdische Volk ist, sondern der Retter aller Menschen – also auch der Heiden (= alle Nicht-Juden). Diese Botschaft wird nochmals durch den Stammbaum unterstrichen. Jüdische Stammbäume laufen normalerweise ausschließlich über Männer. Im matthäischen Stammbaum tauchen jedoch gleich vier Frauen auf, und am Ende steht noch Maria, die Mutter Jesu.

Tamar

Die erste dieser vier Frauen heißt Tamar. Sie ist die Schwiegertochter Judas. Durch ihre kluge und rollensprengende Handlungsweise sichert sie sowohl ihr eigenes Überleben als auch den Fortbestand des Stammes Juda. Aus diesem Geschlecht stammt König David. Tamar ist keine Frau aus der Verwandtschaft Abrahams, Isaaks oder Jakobs, sondern eine Heidin. Am Ende ihrer Geschichte steht die Geburt von Zwillingen (siehe Genesis 38).

Rahab

Rahab hat ihr Haus in der Stadtmauer von Jericho. Sie versteckt die israelitischen Kundschafter und spricht ein herausragendes Bekenntnis zu dem ihr fremden Gott JHWH. Durch ihren „Seitenwechsel“ gelingt die Einnahme der Stadt Jericho, die den Anfang des Einzugs ins versprochene Land markiert. Somit nimmt sie einen wichtigen Platz in der Heilsgeschichte ein. Sie wird mit ihrer Familie verschont und findet als Ausländerin Aufnahme im Volk Israel (nachzulesen in Josua 2 und Josua 6).

Rut

Rut – nach ihr ist ein ganzes Buch der Bibel benannt – ist eine Moabiterin, die als Witwe mit ihrer ebenfalls verwitweten Schwiegermutter in deren Wohnort Betlehem zieht und sich mit ihr in einzigartiger Weise solidarisiert. Dies führt schließlich zur Versorgung beider Frauen durch den Löser Boas. Am Ende steht die Geburt Obeds, der im abschließenden Stammbaum als der Großvater König Davids ausgewiesen wird. Rut wird damit zur Urgroßmutter Davids.

Batseba

Batseba, die Frau des Hetiters Urija, gilt auch als Ausländerin. Zuerst Opfer königlicher Machtansprüche, spielt sie in der Thronnachfolge zusammen mit dem Propheten Natan eine aktive Rolle mit dem Ergebnis, dass Batsebas Sohn Salomo die Nachfolge Davids antritt. Als Königinmutter sorgt sie außerdem dafür, dass der ärgste Konkurrent ihres Sohnes ausgeschaltet wird (nachzulesen in 2 Samuel 11–12; 1 Könige 1–2).

Heilsgeschichte durch Frauen

Mit der Erwähnung dieser vier Frauen macht Matthäus deutlich, dass die Heilsgeschichte von allem Anfang an durch Heiden, aber auch durch Frauen geprägt wurde. So kann er als Schlusspunkt nochmals eine Frau setzen, die – diesmal zwar als Jüdin – die männliche Genealogie durchbricht. Auch wenn der Stammbaum auf Josef hin geschrieben ist, wird am Ende erwähnt, dass durch Maria Jesus geboren wurde. Der andere Part wird dem Wirken des Heiligen Geistes zugesprochen.

Ein Stammbaum also, der es in sich hat und durch dessen Besonderheit die Bedeutung der Zielperson ins Scheinwerferlicht gerückt wird: Jesus und seine Sendung.