Teil 2 der Serie "Mit Matthäus im Neuen Kirchenjahr"

Bild rechts: Die Bergpredigt liegt wie ein Stein auf dem Weg des Christseins – „Stolperstein“ und Orientierung zugleich.  

Dr. Johann Hintermaiervon Dr. Johann Hintermaier
Bischofsvikar, Regens und
Professor für Neues Testament
in Linz

Die Bergpredigt oder „Bergrede“ Jesu im Matthäusevangelium (Mt 5,1 – 8,1) ist zweifellos einer der bekanntesten, wichtigsten, aber auch umstrittensten Texte der Bibel.

Menschen aller Jahrhunderte haben sich gefragt: Kann man nach diesen Forderungen der Bergpredigt – besonders der nach Gewaltlosigkeit – leben, gar Politik betreiben?
Gelten die radikalen Forderungen vielleicht nur für Ordensleute oder nur für Christen im persönlichen und nicht im öffentlichen Bereich? Oder gelten sie nur als Regeln für den Ausnahmezustand knapp vor dem Ende der Welt?
Ist die Bergpredigt nur der Gesinnung nach und nicht der äußeren Tat nach zu leben? Oder sind gar ihre Forderungen deshalb so hoch, damit wir unserer Sünde und Gottlosigkeit überführt werden?

Verständnishilfen
Alle diese Fragen wurden im Laufe der Zeit gestellt und positiv oder negativ beantwortet. Folgende Verständnishinweise können dabei hilfreich sein:

Der Evangelist Matthäus stellt Jesus als jüdischen Lehrer dar, der selbstverständlich die jüdische Bibel bejaht, aber sein Verständnis dem der anderen Schriftgelehrten gegenüberstellt. Horizont der Lehre Jesu ist die Überzeugung vom angebrochenen und von Gott bald zur Vollendung geführten Himmelreich. Matthäus hält sich nicht sklavisch an den Wortlaut der Jesusüberlieferung, sondern interpretiert sie neu als Lehre und Anspruch für seine Gemeinde. Der Gott Jesu will auch heute sein Reich anbrechen lassen und Heil stiften:

Selig seid ihr (Mt 5,3–16)

Wir dürfen darauf vertrauen, dass Gott auf Seite der Armen und derer steht, die nach Gerechtigkeit dürsten. Deshalb sind auch diese Menschen zu beglückwünschen. Und wir Christen („ihr“) sollen (und dürfen!) durch unser Tun Menschen den Weg zu Gott zeigen.

Zusätzlich sage ich euch (Mt 5,17–48)
Gott will durch seine Gebote ein geglücktes Verhältnis zwischen den Menschen – also „Gerechtigkeit“ – herstellen und daher fordert Jesus auf:
Geht kreativ mit den einzelnen Weisungen um! – Den Mitmenschen nur nicht umzubringen ist zu wenig. Du bist eigentlich schon auf dem Holzweg, wenn du ihn beschimpfst oder auf ihn böse bist.  Oder: Es genügt nicht, die Rache nicht zu überziehen und für einen ausgeschlagenen Zahn nur den Wert eines Zahns zu fordern. Nein! Überlege, wie du das Böse an dir auslaufen lassen kannst; vielleicht sogar, indem du die andere Wange hinhältst!

Du aber (Mt 6,1–18)

Spenden, beten und fasten sind Übungen, die uns bewusst machen sollen, wo unsere Mitte ist und wozu wir eigentlich leben. Aber sie sind Übungen für meinen Glauben und nicht zur Werbung oder Angeberei bestimmt. In der Mitte der ganzen Bergpredigt steht das Vaterunser.

Loslassen und Vertrauen (Mt 6,19–7,12)
Die Besitz-, Recht- und Sorg-„Losigkeiten“ mahnen uns, nicht in den Dingen dieser Welt aufzugehen, sondern eine gewisse Distanz zu ihnen aufzubringen. Nicht um maximalen Gewinn und um dauernde Selbstinszenierung sollen unsere Gedanken kreisen, sondern um „Gottes Reich und seine Gerechtigkeit“.

Entscheiden und Tun (Mt 7,13–27)
Auf die Entscheidung und das Tun kommt es an. Große Worte, Programme, Forderungen, schöne Wünsche gibt es immer wieder. Aber nur das rechte Tun unterscheidet wahre und falsche Propheten, wahre und falsche Jünger. Gott gebe uns die Kraft, dass wir uns auf Jesu Vision der Welt und die Gerechtigkeit Gottes einlassen – zu unserem und aller Wohl und Glück!