Was tun, wenn ein Mensch im Krankenhaus liegt und selber nicht mehr entscheiden kann, was das Beste für ihn ist? Wenn er an Maschinen gekettet und unfähig ist, seinen Willen kundzutun? Darf man ihn verhungern oder verdursten lassen? Wer entscheidet hier über Leben oder Tod? Und anhand welcher Kriterien? Fragen wie diese waren Thema beim Gesellschaftspolitischen Stammtisch "Auf Leben und Tod".

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„Ethische Fallbesprechung“ heißt das Zauberwort, mit dem solch schwierige ethische Entscheidungen im strukturierten Rahmen und auf breiter Basis getroffen werden können. Das Dilemma ist dabei immer das selbe: Abschalten oder am Leben erhalten? Dass das Thema viele Menschen betrifft und interessiert, zeigte der bis auf den letzten Platz besetzte Kolpingsaal Dornbirn zum gesellschaftspolitischen Stammtisch mit dem Titel „Auf Leben und Tod“.

Alles ethisch
Es steht außer Frage, dass die moderne Medizin Ärzten, Pflegenden, Angehörigen und Patienten immer mehr Möglichkeiten eröffnet. Zugleich ergeben sich daraus aber auch neue ethische Fragen, die uns vor Herausforderungen stellen. Ethische Fallbesprechungen können dabei helfen, zu der „ethisch am Besten begründeten Entscheidung“ zu gelangen, erklärte der Medizinethiker Prof. Georg Marckmann in seinem Impulsreferat. Und diese ist nicht nur im Sinne der Ärzte, sondern in erster Linie im Sinne des Patienten und seiner Angehörigen.

Was ist eine ethische Fallbesprechung?
Im Rahmen eines strukturierten, von einem Moderator geleiteten Gesprächs mit einem multidisziplinären Team soll innerhalb eines begrenzten Zeitraums eine Entscheidung gefällt werden, so die Definition. Dabei orientiert man sich an den vier klassischen medizinethischen Prinzipien: Wohltun, Nichtschaden, Respekt der Autonomie und Gerechtigkeit.

Vier Prinzipien
Vereinfacht formuliert, geht es beim Prinzip des Wohltuns darum, das Wohlergehen des Patienten zu fördern - und zwar hinsichtlich Lebenszeit und -qualität. Das Prinzip des Nichtschadens zielt darauf ab, dem Patienten keinen Schaden zuzufügen. Beim Respekt der Autonomie soll vor allem die Selbstbestimmung des Patienten respektiert und gefördert werden. Hierfür bedarf es einer Aufklärung und der Erläuterung seiner Handlungsoptionen. Das Prinzip der Gerechtigkeit impliziert einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.

Und wie funktioniert das jetzt?
Das klingt nun zwar alles sehr kompliziert, läuft aber nach einer klaren Struktur ab, so Marckmann. In der ersten Phase der Analyse versucht das Team alles über den Patienten zu erfahren um Behandlungsmöglichkeiten, Chancen und Risiken abzuwägen. In der weiteren Bewertungsphase werden die ethischen Verpflichtungen dem Patienten gegenüber, also sein Wohlergehen und seine Autonomie, interpretiert. Vereinfacht gesagt: Ist dem Patienten unter der vorliegenden Prognose ein Weiterleben zuzumuten? Um heraufzufinden, wie der Patient selbst wohl entschieden hätte, werden Angehörige befragt. Im Idealfall gibt es allerdings eine Patientenverfügung. Auch die ethischen Verpflichtungen gegenüber Dritten wie Partner oder Familie spielen eine Rolle. In einem letzten Schritt werden die verschiedenen Verpflichtungen gegeneinander abgewogen und eine Entscheidung für oder gegen „das Leben“ gefällt.

Leben oder Tod in einer Stunde
Der gesamte Entscheidungsprozess darf, so Marckmann, nicht länger als eine Stunde dauern. Die Meinung der Angehörigen bezüglich des mutmaßlichen Willen des Patienten hilft dem Team zwar, das letzte Wort hat aber immer der Arzt. „Wir wissen aber bei Gott nicht immer, was richtig ist, da muss man ein Gespür entwickeln und feinfühlig sein“, spricht Chefarzt Guntram Winder vom KH Dornbirn aus Erfahrung. Mit der Pflege ein Team zu bilden, sei dabei unerlässlich. Auch die Palliativstation lebe von einem „multiprofessionellem Team“, hält die Pflegedienstleiterin am LKH Hohenems, Anna Frick, fest. Und in einem sind sich die Experten auf dem Podium einig: Ethische Prinzipien spielen im Krankenhausalltag zwar eine große Rolle, sie sind in dieser strukturierten Art, wie sie Marckmann beschrieben hat, aus Zeit- und Ressourcenknappheit allerdings noch nicht möglich.

Die Patientenverfügung: Wo man ran will, sich aber nicht traut
Eine große Hilfe im Entscheidungsprozess stellt die Patientenverfügung dar, die laut Umfrage zwar 80 Prozent  der Menschen gut finden, aber nur 10 Prozent haben, so Marckmann. Generell sind Menschen für eine aufsuchende Beratung sehr dankbar, erzählt der Medizinethiker von seinen Erfahrungen aus einem Pilotprojekt in Wisconsin. Dort haben nun 98 Prozent der Menschen, die an dem Projekt teilgenommen haben unter Anleitung über die verschiedenen Optionen nachgedacht und eine Patientenverfügung verfasst. Scheinbar ist diese Form des schriftlich verfassten Willens nämlich "Etwas wo man ran will, sich aber ran traut", fasst es Marckmann salopp zusammen. In Österreich kann mit der Hilfe von medizinisch geschultem Personal seit sechs Jahren festgelegt werden, was bei „dauerhafter Entscheidungslosigkeit“ geschehen soll. Gültig ist sie in dann für fünf Jahre. Ein letzter Tipp des Experten? Man soll keine Situationen in der Verfügung festhalten, in denen man noch reagieren kann wie z.B. eine Querschnittslähmung, sondern nur dauerhafte Entscheidungslosigkeit wie z.B. Bewusstlosigkeit.

Verhungern und Verdursten lassen
Besonders schwierig wird es für die Angehörigen, wenn es um die letzten Stunden geht oder sogar das berüchtigte Todesrasseln zu hören ist. „Daneben auszuhalten verlangt den Angehörigen viel ab“, so Frick. Hier ist vor allem eines wichtig: Kommunikation! Den Menschen müsse klar gemacht werden, dass die Patienten keine Schmerzen empfinden. Auch nicht, wenn die Nahrungs- oder Flüssigkeitszufuhr abgesetzt wird, denn „beim Sterben hat niemand Hunger oder Durst“, erklärt der Krankenhausseelsorger des LKH Feldkirch, Pfr. Dr. Peter Rädler. Die Sprache oder Begriffe, die man hier verwende seien "hochemotionale Begriffe", hält Rädler fest und präzisiert: "Wenn der Patient nicht nach Nahrung oder Flüssigkeit verlangt, kann und darf auch nicht von Verdursten oder Verhungern lassen gesprochen werden". Und manchmal ist das Aussetzen von Nahrung auch ein Weg "das Leben schön langsam zurückzunehmen", spricht Frick aus der palliativen Erfahrung.

In Deutschland ist die Zitrone ausgepresst
Zeit ist und bleibt heutzutage scheinbar Mangelware. Dabei lohnt es sich vor allem für die ethische Fallbesprechung Zeit zu nehmen, bestätigt Marckmann. Auch wenn das Personal schon aus der Struktur heraus unter Druck steht. Manchmal ist es einfach eine Frage der Prioritätensetzung und dabei dürfe die "Menschlichkeit nicht hinunterfallen". Personalmangel, Einsparungen und 70-Stunden Wochen sind in Krankenhäusern keine Seltenheit. Und in Deutschland ist die Zitrone schon ausgepresst, so Marckmann.

Sterbehilfe - aktiv, passiv oder indirekt
Ein Thema, dass nicht nur das Publikum des Gesellschaftspolitischen Stammtischs bewegt, ist die Frage der Sterbehilfe und ihrer verschiedenen Ausprägungen. So ist aktive Sterbehilfe, also die bewusste Herbeiführung des Todes durch Medikamente, in Österreich zwar verboten, in Ländern wie Belgien, Niederlande oder Luxemburg hingegen erlaubt.
Passive Sterbehilfe, also das Nichtergreifen oder Nichtfortführen lebenserhaltender Maßnahmen wird in Österreich durchaus praktiziert. So gilt das Abstellen des Beatmungsgerätes beispielsweise als passive Sterbehilfe, weil man das Sterben passiv geschehen lässt, arbeitet Marckmann die Unterschiede hervor. Bei der indirekten Sterbehilfe nimmt man durch das Verabreichen von Schmerzmitteln in Kauf, dass das Sterben kürzer ist, so Winder. Generell sollte im Mittelpunkt aber die Frage stehen, was der Patient braucht, so Marckmann. 

Zur  Sterbehilfe gibt es auch auf dem Podium eine einstimmige Meinung, die Winder mit einem Zitat von Kardinal König ausdrückt: „An der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben“.