„Die tollkühnen Frauen“ heißt die aktuelle Ausstellung im Frauenmuseum in Hittisau, in der vor allem eines im Vordergrund steht: „Die abenteuerlichen Lebensgeschichten zahlreicher Frauen aus der Zirkus- und Varietéwelt ..."

„Hereinspaziert, hereinspaziert“ - so lauteten im 19. und 20. Jahrhundert für viele Frauen die magischen Worte, die ihnen neue Welten und Möglichkeiten eröffneten. Sie führten manchmal über schmale Wege, irrsinnige Höhen und durch die Mäuler von Löwen. Und machten sie zu Weltstars.

von Simone Rinner

Wir schreiben das Jahr 1905 - es ist eine Zeit, in der es für bürgerliche Frauen nicht als schicklich gilt, alleine über die Straße zu gehen. Eine Zeit, in der sie vier Kilo Unterwäsche tragen und sich ins Korsett schnüren lassen müssen. Und in der ihre Prioritäten schon von anderen vordefiniert sind: Haushalt, Kirche, Küche, Familie. Es ist aber auch eine Zeit, in der eine Frauengruppe droht, das Frauenbild auf den Kopf zu stellen.

Vorbilder weiblicher Emanzipation
Bekleidet mit knappen Trikots bewegen sie sich in luftigen Höhen fort, stellen sich Kanonenkugeln in den Weg, legen ihre Köpfe in die Mäuler wilder Tiere und heben scheinbar mühelos Elefanten sowie mehrere Männer hoch. Die Zirkusfrauen des 19. und 20. Jahrhunderts werden zu „Stars und Vorbilder weiblicher Emanzipation“, erklärt Ida Bals, Kulturvermittlerin im Frauenmuseum Hittisau. Sie verdienen ihr eigenes Geld, verfolgen eine internationale Karriere und sind in jeder Position der Zirkushierarchie tätig. „Die Zirkusfrauen stellen das traditionelle Frauenbild zu der Zeit völlig auf den Kopf“, hält Bals fest, „und werden trotzdem respektiert“.

„Die tollkühnen Frauen“ lautet die aktuelle Ausstellung im Frauenmuseum in Hittisau, in der vor allem eines im Vordergrund steht: „Die abenteuerlichen Lebensgeschichten zahlreicher Frauen aus der Zirkus- und Varietéwelt festzuhalten und aufzuzeigen, was diese Frauen alles geleistet haben“, so Bals. Dies geschieht anhand einzelner Schicksale, die nicht nur beeindruckend, sondern manchmal auch traurig sind.

Große Widersprüche
Der Zirkus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war ein Ort großer Widersprüche. Zum einen konnten Frauen eigenständig arbeiten und wurden mit Männern komplett gleichgestellt. Zum anderen war der Zirkus ein Ort strenger Hierarchien und Regeln, denen sich die Mitarbeiter/innen unterwerfen mussten. Oftmals waren die Arbeits- und Lebensbedingungen sehr hart: Konkurrenz, Missgunst, schlechte Arbeitsverträge, die kurzen Laufzeiten der Engagements, die körperlichen Anstrengungen und die häufigen Ortswechsel waren für Artistinnen und Artisten aufreibend.

Tilli Bebe, DompteuseFür die Dompteuse Tilly Bébé,
die mit bürgerlichem Namen Mathilde Rupp hieß, hätte der plötzliche Tod ihrer zwölf Löwen der wirtschaftliche und persönliche Niedergang bedeuten können. Aufgrund ihres Ehrgeizes arbeitete sie aber mit 20 Eisbären weiter und erlangte erneut Berühmtheit.   (Bundesarchiv Berlin)


Schwaches Geschlecht ganz stark
Ob eine Frau Akrobatin, Dompteuse, Muskelfrau oder Zirkusdirektorin werden wollte, stand ihr frei. Die Wiener Muskelfrau Katharina Brumbach, bekannt geworden als „Sandwina“ (1884-1952), oder die Belgierin Athléta stemmten beispielsweise mehrere Männer gleichzeitig und ließen sich von Automobilen überrollen.

Die Dompteusen Miss Senide oder Tilly Bébé aus Österreich nahmen es im Raubtierkäfig mit mehreren Löwen, Tigern oder Eisbären auf, die sie zuvor mittels „zahmer Dressur“ zu bändigen versucht hatten. Auch wenn die beiden eines natürlichen Todes starben: die Geschichte der Frauen im Raubtierkäfig ist durchaus auch eine blutige.

Ohne Beine auf eigenen Füßen stehen
Dass die Zirkuswelt auch ihre Kehrseite hat, zeigen die Schicksale von „Freaks“ wie der Affenfrau Julia Pastrana oder der 2,27 Meter großen Südtiroler „Riesin von Ridnaun“. Aufgrund ihrer normabweichenden Körpermerkmale wurden sie nicht nur zur Schau gestellt, sondern außerhalb der Aufführungen auch weggesperrt. Wie man auch ohne Beine auf eigenen Füßen stehen kann, belegt die Geschichte der Ludescherin Antonia Matt-Günther, die 1878 mit einer schweren Behinderung geboren wurde. Für sie bedeutete der Einstieg in den Zirkus eine Karriere, die ihr Selbständigkeit und Wohlstand ermöglichte.

Religion und Schicksal
Auch Religion scheint in den Lebenswelten der Zirkusfrauen ein Stück weit eine Rolle gespielt zu haben. Die Feldkircherin Therese Zauser (1910-1942) trat als orientalische Tänzerin in Varietétheatern auf. Auf ihren Reisen nach Nordafrika und in den Nahen Osten begleitete sie dabei immer ein Bild des hl. Antonius, das noch heute in ihrem Reisekoffer in der Ausstellung zu sehen ist. Nach einer glanzvollen Karriere findet ihr Schicksal durch die verhängnisvolle Aussage „In eine Rüstungsfabrik bringt mich niemand“ im Februar 1942 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ein jähes Ende.

Frauen „stehen ihren Mann“
„Der Zirkus des 19. Jahrhunderts ist einer dieser wenigen gesellschaftlich tolerierten Orte wo die Umkehrung, Verdrehung und Neudefinierung traditioneller Geschlechterrollen akzeptiert worden ist“, erklärt Bals. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen ihren „Mann“ stehen und Zirkusdirektorinnen werden. Die Aufgaben einer „Prinzipalin“ sind umfangreich: Sie muss sich um bis zu 800 Mitarbeiter/innen kümmern, Tourneen organisieren, ist für Verträge und die Ausbildung der Jugend zuständig und muss die Finanzen im Auge behalten. Viele Direktorinnen übernahmen nach dem Tod des Vaters das „Zepter“, Artistinnen wie Miss Senide hingegen gründeten einfach ihren eigenen Zirkus.

Die Ausstellung

„Die tollkühnen Frauen“ ist eine Eigenproduktion des Frauenmuseums in Zusammenarbeit mit der Kuratorin Brigitte Felderer und der Malerin Raja Schwah-Reichmann, die speziell hierfür Figuren gestaltete.

„Die tollkühnen Frauen“
Ausstellung: 13. Mai 2012 bis 13. Januar 2013
Öffnungszeiten: Do 15-20 Uhr; Fr, Sa und So 10-12 und 14-17 Uhr
Eintritt: € 5,-/ € 8,- inkl. Führung
www.frauenmuseum.at

Wie sich die Zeiten ändern

Christina Gruber, LuftartistinDie Luftartistin Christine Gruber
bei einer ihrer Solonummern
an den Ringen (Pisternik)

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Gleichberechtigung und Gleichstellung mit dem Mann - was für die Zirkusfrauen und Varietékünstlerinnen des 19. Jahrhunderts noch selbstverständlich war, muss heute hart erkämpft werden. Die freiberufliche Vorarlberger Luftartistin Christine Gruber muss es wissen, schließlich arbeitet sie seit ihrem 18. Lebensjahr in dieser Branch

Alles begann mit „jugendlichem Wahnsinn und Abenteuerlust“, die Gruber damals nach Berlin in die „Etage“ - eine Schule für darstellende Kunst mit Schwerpunkt Bühnenartistik trieb. Das Reisen und die Chance, Leute aus allen möglichen Ländern kennenzulernen, ließ den Beruf zu „einem Teil der eigenen Persönlichkeit“ werden. Mit ihren Solonummern an den Ringen und dem Trapezduo an Tuch und Seil verzaubert sie die Zuschauer/innen.

So vielseitig die Zirkus- und Varietéwelt ist
, so „vielseitig sind auch die Positionen und Hintergründe der Frauen“, so Gruber. Zirkusfamilien mit langen Traditionen sind ebenso anzutreffen wie Quereinsteiger oder Menschen, die es als eine Art Sport sehen. Ob sie die Darbietungen als Kunst oder Unterhaltung sehe, komme darauf an wie der Austausch mit dem Publikum funktioniere. In erster Linie bedeutet Zirkus aber Unterhaltung, und deren Gesetze sind ziemlich hart.

www.christinegruber.com