Im vergangenen Herbst war der Jesuitenpater Henri Boulad für mehrere Vorträge zu Gast im Bildungshaus Batschuns. In zwei Folgen dokumentiert das KirchenBlatt die wichtigsten Aussagen des bekannten Autors und Referenten. Im Zentrum der Vorträge stand die Frage, was Glaube heute ist.

von Christian Kopf / Wilhelm Stangl

Man kann sich fragen, woher Henri Boulad sein Wissen um Gott und die Welt hat. Da ist einmal seine mystische Erfahrung, die er als eine passive Haltung der Hingabe bezeichnet, in der „Gott mich erfasst und mich umarmt“. Außerdem hat er das Werk des Jesuiten Teilhard de Chardin weiterentwickelt, der ihm mit seiner Theorie „Vom Alpha zum Omega“ einen wichtigen Verstehenshorizont eröffnete. Schließlich war Henri Boulad lange Jahre im sozialen Bereich engagiert, u.a. als Präsident der Caritas Ägypten sowie als Vizepräsident der Caritas Internationalis. 

Christian Kopf und P. Henri Boulad

 

Christian Kopf und P. Henri Boulad
im Bildungshaus Batschuns

 

Der lebendige Gott und alle Bilder, die wir uns mach(t)en

Wenn Gott ist, dann ist er ein Geheimnis. Boulad hält es mit Meister Eckhart: „Hätte ich einen Gott, den man kennen könnte, dann würde ich ihn nicht mehr für Gott halten.“ Dennoch müssen wir von Gott reden. Er verbietet nämlich nicht das Nachdenken über ihn. Im Gegenteil: Wir sind aufgefordert, uns auf ihn einzulassen.

Dynamik Gottes. Ist Gott Leben, kann er kein abgeschlossenes Wesen sein, mit bestimmten Grenzen und klar definiert. Er muss vielmehr dynamisch gedacht werden. Denn die Vorstellung eines dreifaltigen Gottes könne nur so aufgefasst werden.

Bilder Gottes. Im Bild der Quelle lasse sich das Wesen des dreifaltigen Gottes erahnen: So, wie die Quelle Wasser, Öffnung und Boden ist, könne auch Gott-Vater (-Mutter) als Boden und Fundament wahrgenommen werden. Der Sohn wiederum sei die Öffnung, welche leer sein muss; und das Wasser, das in diese Öffnung strömt, ist der Geist.

Ein Nichts. Ein weiteres Bild für Gott sieht Boulad im Mittelpunkt. Er stellt keine Fläche dar, hat kein Volumen und ist mathematisch eine Null. Er zieht daraus mit Meister Eckhart den Schluss: Wird Gott als Mittelpunkt aufgefasst, dann ist er ein Nichts.
Als Menschen sind wir Gefangene in den Kategorien von Haben und Sein. Im alltäglichen Bereich des Habens lässt sich alles messen und bewerten. Im Sein dagegen wird das Haben geopfert. Eignen wir uns eine Haltung des Verlierens, des Schenkens an, werden wir im Übergang vom Haben zum Sein hineinversenkt in die Sphäre des Heiligen.

Weitergabe. Boulad bringt es auf die paradoxe Aussage: Gott ist alles, weil er nichts hat. Denn was er hat, verschenkt er - an den Sohn nämlich, der, weil er leer ist, alles aufnehmen kann und an den Geist weitergibt. Nur wer in der Liebe, in der Selbstentäußerung die freudige Erfahrung des Verschenkens und Opferns macht, könne Gott erkennen, ist Boulad überzeugt.

Die Notwendigkeit des Christusverständnisses heute

Der Logos ist für Boulad das Abbild des unsichtbaren Gottes. Gott ist ein Geheimnis und wer Gott ist, hat uns Jesus geoffenbart. Im Johannes-Prolog heißt es: Er kam, um Zeugnis abzulegen für den Vater. Und zu Philippus sagt Jesus: Wer mich sieht, sieht den Vater.

Schöpfungsfreude. Den Jubel, welcher der dreifaltige Gott vor aller Schöpfung empfand, wollte er nicht für sich behalten. So gesehen ist die von ihm geschaffene Welt ein Ausdruck seiner göttlichen Liebe. Die philosophische Problemstellung, ob die Welt zufällig ist oder notwendig, beantwortet Boulad so: „Niemand ist notwendig; aber wir existieren, es gibt uns und also sind wir notwendig.“ Unser Leben sei jedenfalls ein Beweis dafür: Gott konnte nicht anders, als uns zu erschaffen. Die Liebe hat Gott dazu gezwungen, die Schöpfung hervorzubringen.
An jedem von uns liege es nun, zu entdecken, dass „ich für Gott notwendig bin, dass er mich braucht, wie eine Mutter ihr Kind braucht. Ich bin für Gott wichtig, ja geradezu unverzichtbar, weil er mich lieben will.“

Herz des Kosmos. Boulad ging dann der Frage nach, welche Logik hinter der Inkarnation steht. Wird das Symbol des Mittelpunktes als Bild für Gott genommen, so habe er sich in Raum und Zeit eingeschrieben und sei ein Nichts geworden. Auf diese Weise habe sich Gott zum „Herzen des Kosmos gemacht, zum Herzen des Menschen, zu meinem Herzen“. Denn: Wenn wir so wichtig für Gott sind, dann macht er sich so klein, damit er in mir wohnen kann.

Karfreitag und Ostern. Die historische Inkarnation interpretiert Boulad „als die Aufgipfelung eines die Zeiten überdauernden Dramas“. Denn wenn am Karfreitag Jesu Herz durchbohrt wird, dann nicht durch den Lanzenstich, sondern durch eine Flutwelle aller Agonien in der Geschichte der Menschheit. Doch Leiden, Passion und Tod seien nur eine Seite der Wirklichkeit Jesu; die andere gebe sich in Auferstehung, Leben und Fülle, also Ostern zu erkennen.

Gott in uns. Was macht Ostern zum Schlüsselereignis für das Verständnis der Geschichte und des Menschen? Den göttlichen Schatz, den Jesus in sich verbarg, wollte er an uns weitergeben. Aus dem Gott mit uns (Immanuel) ist ein Gott in uns geworden. Denn Jesus stirbt zwar als Jesus von Nazareth, doch auferstanden ist er als der kosmische Christus. Mit der Auferstehung aber wurde Jesus zum Anführer einer neuen vergöttlichten Menschheit, womit sich der ursprüngliche Plan Gottes erfüllt habe. Ostern sei, so gesehen, die tiefgehendste Mutation in der Geschichte der Menschheit.
 

* Mag. Christian Kopf ist Leiter des Bildungshauses Batschuns. Dipl. Vw. Wilhelm Stangl ist Beirat im Förderverein Bildungshaus Batschuns.