Begle Patricia von Patricia Begle

Zeugnistag. Immer noch schwingt eine gewisse Spannung in diesem Begriff, auch wenn wir längst aus der Schule sind. Jetzt sind halt unsere Kinder dran und kriegen, was sie verdient haben: den Schein, der sagt, was sie können und nicht können. Sie halten ihn in der Hand wie einen Schlüssel, der die Tür zum nächsten Klassenzimmer öffnet - oder eben nicht.

Natürlich ist uns bewusst, dass Noten nie wirklich gerecht sind, fünf Ziffern unmöglich einfangen können, was Menschen ausmacht. Wir wissen um die Illusion der Objektivität bei der Notengebung. Wir kennen die Wirkungen von schlechten Noten: Druck, Frust, Minderwertigkeitsgefühl. Dass die Grundvoraussetzung für das Lernen, nämlich die Freude daran, verloren geht, das lässt ab und zu Zweifel aufkommen am System.

Trotzdem lebt das System immer noch, Ausnahmen gibt es wenige. Der Blick in die Wirtschaftswelt zeigt, welche absurden Formen ein Beurteilungssystem annehmen kann. Dort geben Rating-Agenturen ihr Urteil ab und stürzen damit Länder erst recht in den Ruin. Wieder mit abstrakten einfachen Zeichen, die quasi zwischen Sein und Nicht-Sein entscheiden. Was steckt hinter diesem Messen, Einteilen, Beurteilen, Verurteilen? Eine Spielart der Macht? Und wie würde eine Alternative aussehen? In Freiheit lernen? Oder: Die Freiheit nicht verlernen?