Im Alter von 90 Jahren: Altbischof Reinhold Stecher blickt auf die "Arena" zurück. Das Interview führte Gilbert Rosenkranz.

Vor 30 Jahren wurde im Dom von Innsbruck Reinhold Stecher durch seinen legendären Vorgänger Paulus Rusch zum Bischof geweiht. Im Interview erzählt der mittlerweile im 90. Lebensjahr stehende Altbischof  von seinem „inneren Schrecken“ am Tag der Weihe und von dem, was ihn als Bischof durch alle Herausforderungen getragen hat.

Foto rechts: Besuch von Papst Johannes Paul II. 1988 beim Kinderfest in Innsbruck. Ganz links: Bischof Stecher, rechts die damaligen Nachbarbischöfe Bruno Wechner und Egon Kapellari.

Wie haben Sie von Ihrer Ernennung zum Bischof von Innsbruck erfahren?
Bischof Stecher: Durch einen Brief mit einer Einladung zu einem Gespräch mit dem Nuntius in Wien. Ich habe ihm dann im Gespräch meine Einwände vorgetragen. Etwa, dass ich nie in einer führenden Tätigkeit der Diözese tätig gewesen bin, sondern immer nur in der Jugendseelsorge und in der Lehrerbildung. In diesen Aufgabenbereichen habe ich mich zu Hause gefühlt. Zwei Stunden lang hat der Nuntius versucht, mich zu überzeugen. Als er dann sagte, dass ich gemäß einer Befragung in der Diözese größtes Vertrauen besitze, habe ich schließlich doch Ja gesagt.

Ihr Vorgänger als Diözesanbischof, Paulus Rusch, war sehr lange im Amt gewesen. Wie haben Sie diesen Übergang erlebt? Wie hat Bischof Rusch auf Ihre Ernennung reagiert?
Paulus Rusch war sehr freundlich und korrekt. Was ich an ihm bewundert und mir auch zum Vorbild genommen habe: Er hat sich niemals eingemischt, obwohl er 42 Jahre lang Bischof war. Und das ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Unterschied, ob man 16 Jahre Bischof ist - so wie ich - oder 42 Jahre lang. Ich habe ihn manchmal besucht. Und ihn auch gelegentlich um seinen Rat gefragt.

Bischöfe Rusch und Stecher30 Jahre nach der Bischofsweihe (links - Weihe durch Bischof Rusch): Woran erinnern Sie sich besonders gern, wenn Sie an den Tag der Bischofsweihe denken?
Ich habe das Bischofsamt mit einem gewissen inneren Schrecken angenommen. Entsprechend habe ich mich auch am Tag meiner Bischofsweihe gefühlt. Weil ich ja auch geahnt habe, was auf mich zukommt.

Was hat Ihnen in Ihrer Zeit als Diözesanbischof Kraft und Halt gegeben?
Ich hab mir immer gedacht: Ich habe das Bischofsamt nie angestrebt. Dann wird mir wohl der Heilige Geist auch helfen, das Amt gut auszuüben. Überhaupt ist in diesen Jahren ein besonderes Vertrauen in das Wirken des Heiligen Geistes gewachsen.
Geholfen hat mir in meinen Jahren als Bischof sicher, dass ich mit der „Basis“ nie besonderen Kummer gehabt habe. Es ist mir mit den Leuten gut gegangen - auch mit dem Klerus. Es hat keine großen Konflikte gegeben. Und bei den großen Schwierigkeiten, wie Anderl von Rinn, hatte ich den überwältigenden Teil der Kirche Tirols auf meiner Seite. Bei schwierigen Angelegenheiten habe ich immer die diözesanen Gremien befragt, und zwar nicht nur den Bischofsrat.

Und was heißt es für Sie heute, Bischof zu sein?
Ich glaube, dass man sich als emeritierter Bischof vollständig von allen Leitungsaufgaben zurückzieht, aber seelsorglich und priesterlich aktiv bleibt, soweit es die Gesundheit eben erlaubt. So habe ich die Jahre des Ruhestandes nie als ein Winkeldasein empfunden. Ich bin dankbar, dass ich hier im Hause in Hoch-Rum noch tätig sein darf. Aber auch bei vielen Vorträgen, Lesungen, Einkehrtagen und Exerzitien im ganzen deutschen Sprachraum durfte ich noch pastoral tätig sein. Mit zunehmendem Alter muss ich allerdings jetzt den Radius etwas verkleinern. Dafür bleibt mehr Zeit, der Kirche und den Menschen im Gebet zu dienen. Eine besondere Freude war es für mich, mit Büchern und Bildern karitativ zu wirken.

Sie haben nie ein offenes Wort gescheut, wenn es Ihnen wichtig schien. Gibt es noch manchmal Themen in der öffentlichen Diskussion in Kirche und Gesellschaft, in denen Sie gute Lust hätten, sich einzumischen?
Mir ist klar: Alles hat seine Stunde. Deshalb habe ich auch nie mehr die Lust verspürt, mich nach meinem Rückzug in den Ruhestand öffentlich zu Wort zu melden. In Bezug auf meine Kritik an der Kirchenleitung in Rom ist es mir wichtig zu sagen: Ich habe alle Kritikpunkte, die ich als amtierender Diözesanbischof öffentlich vorgetragen habe, zuvor meinen Vorgesetzten in Rom in persönlichen Gesprächen mitgeteilt.
Wie gesagt: Alles hat seine Stunde. Und für mich ist jetzt nicht mehr die Stunde, in die Arena zu gehen. Das müssen jetzt andere tun.
Was anderes ist: Ich fühle mich in allem meinem Wirken verpflichtet, den Geist des Konzils weiterzutragen. Und das werde ich tun, solange ich kann.
Gilbert Rosenkranz

Ein leidenschaftlicher Pädagoge

Reinhold Stecher wurde 1921 in Innsbruck geboren. Die Herrschaft der Nationalsozialisten setzte seiner unbeschwerten Jugend ein Ende. Nach monatelanger Gestapohaft wurde er - kurz vor dem Abtransport ins KZ - zur Wehrmacht einberufen. Als einfacher Soldat überlebte er den harten Kriegseinsatz an der Nordfront in Finnland.

Das Theologiestudium bei Hugo und Karl Rahner und dem Liturgiker Josef Andreas Jungmann erlebte Stecher als „wunderbare Zeit“, getragen von großer Offenheit und einer wissenschaftlichen wie spirituellen Konzentration auf das Wesentliche. Die Pädagogik wurde zu seiner großen Leidenschaft, sowohl in der Lehrerbildung als auch im Religionsunterricht.
In Sommerkursen entdeckte er dann die Berge als „wertvolle Erziehungshelfer“. Seine rege Predigttätigkeit brachte Stecher zum Bücherschreiben, das er als „etwas gelockerte Form der Verkündigung“ verstand.

Da er sich in den „niederen Diensten der Seelsorge“ wohlfühlte, erschreckte ihn das Amt des Bischofs: „Ich hatte das Glück, dass mir Gottes Vorsehung immer ausgezeichnete Mitarbeiter geschenkt hat, die jene Fähigkeiten hatten, die ich nicht besaß“, erklärte Stecher humorvoll zum 30-jährigen Bischofsjubiläum.

(aus KirchenBlatt Nr. 6 vom 13. Februar 2011)