Die Tagebuchaufzeichnungen mancher junger Menschen, die früh durch ein tragisches Schicksal ihr Leben verloren, sprechen von einer beeindruckenden Reife und Vollendung. Im Folgenden zitieren wir aus den Briefen des jungen Dänen Kim Malthe Bruun, geschrieben unmittelbar vor seiner Hinrichtung. Es ist der Abschiedsbrief an seine Freundin Hanne.

Mein kleines Mädchen! Ich wurde heute vor ein Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Eine schreckliche Botschaft für ein kleines Mädchen von zwanzig Jahren. Ich habe die Erlaubnis bekommen, diesen Abschiedsbrief zu schreiben. Und was soll ich schreiben? Wie soll nun dieser mein Schwanengesang lauten? Die Zeit ist kurz - der Gedanken so viele, was ist das Letzte und Wertvollste, das ich dir geben kann, was besitze ich, das ich dir hier zum Abschied geben kann, dass du mit Trauer und dennoch mit einem glücklichen Lächeln weiterleben, wachsen und groß werden kannst?

Wir segelten auf dem wilden Meer, wir begegneten einander vertrauensvoll wie spielende Kinder, und wir liebten einander. Das tun wir noch und das werden wir auch weiterhin tun. Aber eines Tages riss uns der Sturm auseinander, ich stieß auf Grund und versank, du wurdest an eine andere Küste gespült, du wirst in einer neuen Welt weiterleben. Du sollst mich nicht vergessen, das verlange ich nicht, warum solltest du etwas vergessen, das so schön ist, aber du darfst nicht daran hängen bleiben, du sollst ebenso leicht und doppelt glücklich weiterleben, denn das Leben hat dir auf deinem Weg das Schönste vom Schönen geschenkt. Reiß dich los, lass dieses glücklichste Glück alles für dich sein, lass es strahlen als das Stärkste und Klarste von allem, aber lass es nur eine deiner goldenen Erinnerungen sein, lass dich von ihm nicht blenden, dass du all das Herrliche nicht sehen kannst, das dir noch bevorsteht. Du darfst dich nicht der Schwermut hingeben, du musst reif und reich werden, hörst du, mein liebes Mädchen.

Du lebst weiter und wirst andern Abenteuern begegnen, aber versprich mir, das bist du mir bei all dem, wofür ich gelebt habe, schuldig, dass der Gedanke an mich sich nie zwischen dich und das Leben stellen wird. Bedenke, dass ich ein Seinsgrund in dir bin und, wenn ich dich verlasse, das nur bedeutet, dass er allein weiterlebt. Er soll gesund und natürlich sein, er soll nicht zu viel Platz einnehmen und nach und nach, wenn größere und wichtigere Dinge an seine Stelle treten, soll er in den Hintergrund gleiten und gerade nur ein kleiner Bestandteil eines Bodens sein, der voll Glück und Entwicklung ist.

Du fühlst ein Stechen im Herzen, das ist der Schmerz, wie man sagt, aber Hanne, schau weiter, wir müssen ja sterben und wenn ich ein wenig früher oder später entschlafe, so können weder du noch ich sagen, ob das gut oder schlimm ist. Ich habe dich grenzenlos lieb, aber jetzt nicht mehr, als ich dich schon immer geliebt habe. Da ist nichts, das mich im Herzen sticht, so ist es nun einmal und du sollst es einsehen. Es lebt und brennt etwas in mir - eine Liebe, eine Inspiration nenne es, wie du willst, aber es ist etwas, für das ich noch gar keinen Ausdruck gefunden habe. Nun sterbe ich und ich weiß nicht, ob ich eine kleine Flamme in einem andern Herzen entzündet habe, eine Flamme, die mich überleben wird, aber dennoch bin ich ruhig, weil ich gesehen habe und weiß, dass die Natur reich ist, sodass keiner es merkt, wenn ein paar vereinzelte Sprösslinge unter den Füßen zertreten werden und sterben. Warum sollte ich also verzweifeln, wenn ich all den Reichtum sehe, der noch lebt.

Hebe den Kopf empor, du meines Herzens allerköstlichster Kern, hebe ihn empor und sieh, das Meer ist immer noch blau, das Meer, das ich so geliebt habe und das uns beide umhüllt hat. Lebe du nun für uns beide. Ich bin weg und fort und was zurückbleibt, ist nicht ein Gedenken, das dich zu einer Frau nach Art der ... macht, sondern eines, das dich zu einer Frau macht, die lebendig und warmherzig, gereift und glücklich ist. Du darfst dich nicht in die Trauer vergraben, denn so versteifst du dich und bleibst in einer Anbetung vor mir und dir stecken, und du würdest das verlieren, was ich am allermeisten an dir liebte – deine Weiblichkeit.

Merke dir, und ich schwöre es dir, dass es wahr ist, dass jeder Schmerz sich in Glück verwandelt, nur werden die Wenigsten das nachträglich vor sich selber eingestehen. Sie hüllen sich in den Schmerz und die Gewohnheit lässt sie glauben, dass es beständig Schmerz sei, und so hüllen sie sich immerzu in ihn. Die Wahrheit ist die, dass nach dem Schmerz die Tiefe und nach der Tiefe die Frucht kommt.

 
Biographische Anmerkungen

Kim Malthe-Bruun by Julie BaerKim Malthe-Bruun (hier auf einem nach alten Fotos erstellten Gemälde von Julie Baer) wurde 1923 in Kanada geboren, übersiedelte aber im Alter von 6 Jahren nach Dänemark. Er wohnte in Kopenhagen und wurde Matrose. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs schloss er sich einer dänischen Widerstandsgruppe gegen das Naziregime an und verübte Sabotageakte gegen die Besatzer. Im Winter 1944 wurde er verhaftet, von der Gestapo gefoltert und hingerichtet. Seine ergreifenden Briefe an seine Verlobte und an seine Mutter wurden weltberühmt.

Kim Malthe Bruun CoverKims Gefühle und sein Schicksal sind in dem Buch von Vibeke Malthe-Bruun, "Kim. Die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe des Kim Malthe-Bruun, Hanser-Verlag, 1995", erschienen. Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.

(aus KirchenBlatt Nr. 32 vom 15./  22. August 2010)