Teil 1 von 5 der Serie zur Woche des Lebens vom 30. Mai bis 6. Juni 2010. Autor: Dr. Stefan Schlager

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Das Leben wagen

„Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“, heißt es im Johannesevangelium (10, 10). Dieses Wort ist das „Generalthema“ einer Glaubensreihe rund um die „Woche des Lebens“.

Wir tun es jeden Tag – und registrieren dabei kaum, wie außergewöhnlich es ist: das Gehen. Diese scheinbar selbstverständliche Fortbewegung ist ein kompliziertes Zusammenspiel von etwa 60 Knochen und mehr als 60 Muskeln. Das Außergewöhnliche zeigt sich zudem auch darin, dass das Gehen als eine andauernde Rettung vor dem Sturz gesehen werden kann. Während das eine Bein sich auf die Landung vorbereitet, trägt das andere das gesamte Gewicht. Eigentlich würde der Körper an dieser Stelle schon zur Seite kippen, gäbe es nicht die Muskeln des Standbeins, die die Hüfte fixieren. Aber auch beim Aufsetzen des bewegten Beines würde der Körper einknicken und der Mensch fallen, wenn neben der Hüfte nicht die Knie stabilisiert wären. Welche Kunst das Gehen ist, zeigt sich besonders bei kleinen Kindern. Es verwundert nicht, dass deren erste Schritte gerne auf Fotos oder Filmen festgehalten werden. So sind auch mir die „Siege“ meiner drei kleinen Töchter gegen die Schwerkraft noch in bester Erinnerung. Sehr beeindruckt hat mich dabei ihre Ausdauer, nach dem
Fallen immer wieder aufzustehen.

Hinfallen und aufstehen
Was sich hier am Anfang des Lebens abspielt, kann auch als Bild für das Leben selbst angesehen werden: So wie die Kleinen immer wieder aufstehen müssen, weil Gehen immer wieder Hinfallen bedeutet, ist im Leben damit zu rechnen, dass man (ab-)stürzt, liegen bleibt und nicht vorwärts kommt. Zum Leben gehört das Fallen dazu – und es ist mehr als bemerkenswert, wenn Menschen nach (Ab-)Stürzen wieder aufstehen und weitermachen. Dieses Aufstehen ist eine nicht zu unterschätzende Lebensleistung!

Grenzen ausloten
Im Leben geht es aber ebenso um den Mut und die Fähigkeit, seinen Spielraum zu erweitern und Grenzen zu überschreiten. Das Überschreiten der Grenzen, das Erweitern des eigenen Horizonts gelingt dann, wenn die Zielrichtung stimmt. In Zeiten von GPS und Routenplaner ist ein besonderes „Feeling“ für gute und zuverlässige „Wegweisung“  eigentlich vorhanden. 

Vom richtigen Halt
Vom Gehen-Lernen der Kinder wissen wir weiters um die Bedeutung des richtigen Halts. So wichtig am Anfang das feste Halten des Kindes ist, so wichtig ist es, später diesen Halt zu lösen. Sowohl der, der hält, als auch der, der gehalten wird, sind dabei für die richtige Dosierung zuständig. Es kommt beim „Abenteuer Leben“ somit darauf an, selbst-ständig zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen, Fort-Schritte zu riskieren und dabei – etwa im Glauben oder in der Partnerschaft – jenen Halt zu suchen, der einen „nicht zu kurz“ hält. Sonst wird aus dem Halt leicht ein Zurück-Halten, ja ein Nieder-Halten – und aus dem anfangs beweglichen Leben wird ein „verhaltenes“ Leben. Als großes Lebensziel darf schließlich das Lernen des aufrechten Ganges gelten. Der Blick auf die Kinder zeigt wiederum, dass dieser aufrechte Gang nicht von selbst gelingt. Es braucht viel Übung und langen Atem dafür, denn Gehen heißt auch Rettung vor dem ständigen Stürzen.
Stefan Schlager

Impuls

Habt keine Angstvor eurem Leben

Nicht nur Gehen und Leben haben viele Berührungspunkte, auch Gehen und Glauben. So wurden am Anfang die Christinnen und Christen „Anhänger des neuen Weges“ genannt – aber ohne Gehen gibt es keinen neuen Weg.
„Gehe mir nach“, ist ja auch die Ermutigung Jesu, in seinen neuen Weg einzusteigen und das eigene Leben von der Weite, von der Menschlichkeit, von der Vitalität, aber auch von der Risikobereitschaft des Mannes aus Nazaret anstecken zu lassen. Was das bedeuten kann, ist in einem Text von Lothar Zenetti gut ausgedrückt: „Wo alle  loben, habt Bedenken, wo alle spotten, spottet nicht, wo alle geizen, wagt zu schenken, wo alles dunkel ist, macht Licht.“

Wie befreiend der neue „Zu-Gang“ Jesu zum Leben ist, macht das Pfingstfest deutlich. Begeistert begannen die Anhängerinnen und Anhänger des neuen Weges, über alle Grenzen hinweg, vom Leben des Nazareners und dessen befreiender Botschaft zu erzählen: Habt keine Angst – vor dem Leben, vor euren Möglichkeiten und den Möglichkeiten Gottes!

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Dr. Stefan Schlager
leitet das Referat für Theologische Erwachsenenbildung der Diözese Linz und ist zwei Tage während der Woche bei den Kindern zuhause. Er lebt mit seiner Frau und den drei Töchtern (6, 3 und 1 Jahr) in Pichl bei Wels.