Die christliche Spitalsdirektorin Suhaila Tarazi zur Lage im Gaza-Streifen. Ein Bericht von Johannes Zang.

Bilder eines Krieges: Israelische Studenten flüchten vor Raketeneinschlägen in Schutzräume; ein verletztes palästinensisches Kind wird während einer Kampfpause in ein Spital in Gaza gebracht. Seit drei Wochen herrscht im israelisch-palästinensischen Konflikt wieder Krieg. Mit massiven Luftangriffen und einer Bodeninvasion reagiert Israel auf den anhaltenden Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen.

Luft-, See- und Bodenangriffe der israelischen Armee haben in den letzten drei Wochen über 900 palästinensische Todesopfer im Gaza-Streifen, darunter knapp 300 Kinder, gefordert. Tausende Gazaner sind obdachlos, fast 22.000 Menschen mussten fliehen. Israel reagiert damit auf Hunderte von Geschossen, die die Hamas seit Ende der Waffenruhe am 19. Dezember auf israelische Grenzgemeinden abgefeuert hat. An die sechsmonatige Waffenruhe hatte sich bis dahin die Hamas gehalten, andere palästinensische Gruppierungen dagegen taten dies ebensowenig wie die israelische Armee, die am 4. November sechs Hamas-Männer bei einer Razzia erschoss.

Von aller Welt verlassen. Israel begann seinen Krieg einen Tag nach Weihnachten. Da waren viele Staatschefs noch im Urlaub. Und der gewählte US-Präsident hielt sich mit einer Stellungnahme noch zurück, er trete ja erst am 20. Jänner sein Amt an. Wieder einmal fühlen sich die 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen, darunter etwa 2500 Christen, von aller Welt verlassen.

Suhaila TaraziDie Krankenhausdirektorin Suhaila Tarazi vom christlichen Al-Ahli-Spital sagte dieser Zeitung, Israel unterscheide bei seinem Beschuss nicht zwischen Militanten und Zivilisten. Sie spricht offen von „Massaker“. Das Leiden sei unbeschreiblich. „Es gibt sogar Gegenden, in denen die Verletzten nicht geborgen werden dürfen oder wo Angehörige ihre Toten nicht bestatten dürfen. Es ist unglaublich, was hier geschieht. Jeder kann zur Zielscheibe werden. Wir wissen nicht einmal, ob wir in einer Stunde noch leben.“

In die Ecke getrieben. Der Gaza-Streifen, kleiner als das Bundesland Wien, versinkt damit in neuer Trauer. Und das bei einer Bevölkerung, die schon durch den ersten israelisch-arabischen Krieg (1948/49) schwer traumatisiert wurde: Etwa zwei Drittel der Menschen sind Flüchtlinge und Vertriebene dieses Krieges oder Nachkommen derselben. In den vergangenen Jahren haben israelische Maßnahmen diese ärmsten der Palästinenser immer weiter in die Ecke getrieben: der Flughafen wurde ebenso zerstört wie der im Bau befindliche Seehafen. Das hat den palästinensischen Raketenbeschuss ebensowenig zum Stillstand bringen können wie gezielte Tötungen, Abriegelungen oder Verhaftungswellen, Ein- und Ausreiseverbot, Verhinderung der Familienzusammenführung oder Handelsverbote.   

Ein Ghetto. Der frühere Hauptmann der israelischen Luftwaffe Yonatan Shapira sprach  in einem BBC-Interview offen von „Kriegsverbrechen“ seiner Regierung. Zum palästinensischen Raketenbeschuss meinte er: „Wir haben sie jahrzehntelang wie Tiere behandelt und in ein Ghetto gepfercht – das ist nun das Ergebnis.“ Der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, Kardinal Martino, meinte, dass die Menschen, umgeben von einer unüberwindlichen Mauer, unter Bedingungen leben müssen, die gegen jede Menschenwürde sei. Er verurteilte das Vorgehen Israels gegen die Zivilbevölkerung wie auch die Raketenangriffe der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung.

 (erschienen im Vorarberger KirchenBlatt 3/2009, Seite 7)

Zur Sache: Reisen nach Israel
Der Gaza-Streifen ist knapp 100 Kilometer von Jerusalem oder Bethlehem – und damit von den Stationen, die Touristen und Pilger gewöhnlich besuchen – entfernt. Insofern besteht für Pilgergruppen keine Gefahr.
Sollten allerdings radikale libanesische Gruppierungen, die in den letzten Tagen wiederholt Raketen auf West-Galiläa abgefeuert haben, den Beschuss fortsetzen oder gar verstärken, könnte das Bereisen des nördlichen Israels mit Nazareth und dem See Genesareth ein Risiko bergen. Es ist zu empfehlen, sich wegen geplanter Reisen beim Außenministerium bzw. beim Reisebüro oder Reiseveranstalter

eingehend zu informieren.

Buchtipp: Johannes Zang, Unter der Oberfläche – Erlebtes aus Israel und Palästina“, Berlin 2007. Zang lebte sieben Jahre in Jerusalem und Bethlehem. Er ist ein Nahostkenner und ZEIT-Autor. Eine Rezension seines Buches können Sie hier nachlesen.