Zum 1. Advent: Die Zeit der Erwartung, dass alles anders wird. Von Prof. Peter Eicher.

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten. 
Hilde Domin

„Ich kann nicht mehr. Nein. Es ist aus, vorbei. Er hat alles zerstört. Mich auch.“
Ihre Stimme war kaum noch hörbar. Doch ihre Wörter öffneten den Abgrund - so tief, dass die Bodenlosigkeit sichtbar wurde. Ich hatte es nicht für möglich gehalten, dass ein Gesicht nichts als einen verstummten Schrei ausdrücken könnte. Ihre Welt, ihre Liebe, ihre Familie mit den Kindern, alles stürzte - in endlosem Verlust - in sich zusammen. Dabei war sie doch viele Jahre lang sein Stern gewesen - und er ihre Sonne. So berechenbar wie eine Planetenbahn, so unverzagt kreisten sie jahraus jahrein umeinander. Jetzt fiel sie allein in den leeren Raum.

Die Erde kreist um die Sonne und die Sonne erzeugt das Leben, die Wärme und das Licht.
Dennoch wird sie uns nach Auskunft der Astrophysik in einer Milliarde Jahren zu verbrennen beginnen. Weil sie ihren Wasserstoff im Kernbereich verbrennt, wird sie in sieben Milliarden Jahren als expandierender Riesenstern ihre gesamte Energie verbraucht haben. Schon heute quälen schmelzende Gletscher, die unerwartet starke Steigerung der CO-2 Akkumulation in der Atmosphäre und die Auslöschung von über 30-tausend Arten jährlich alle Menschen, die ihre Erde lieb haben und den Nachkommen das Glück des Lebens zu bewahren suchen. Im alltäglichen Handeln kommen viele nur schwer mit dem Faktum der Endlichkeit der Ressourcen und der Bewahrung der begrenzten Lebensmöglichkeiten zurecht. Sie fürchten, dass alles zu Ende geht und kämpfen gegen Andere,  welche die Schätze der Erde sinnlos verschwenden.

In der Kirche macht sich erst recht so etwas wie eine Endzeitstimmung breit.
Der Untergang der Verbandskirche und das Verdunsten der öffentlichen Sonntagsheiligung, aber auch das Ende der priesterlichen Betreuung aller Ortsgemeinden lässt manche schon das Ende der Christenheit ahnen. Tiefer gesehen scheint für viele Christenmenschen der Bedeutungswandel des Gottesglaubens in der säkularen Moderne so etwas wie der Tod oder das Ende Gottes zu sein.

„Advent“ heißt auf Deutsch die Ankunft des lang Ersehnten.
Ein Advent kann - wie die Nachricht von einer lang ersehnten Schwangerschaft - urplötzlich Begeisterung auslösen. Der Advent kann aber auch das leise Wachsen des Lichts mitten im Winter anzeigen - oder einen allmählich spürbaren Neuanfang nach einer geglückten Verständigung. Als wir Kinder waren, roch es im Advent nach Kerzenwachs, Gebäck und Geheimnis.

Wie kann die Kirche für diese Zeit der  Erwartung und des Neubeginns das Evangelium von der Endzeit verkünden lassen, in der kein Stein auf dem andern bleibt und Erdbeben, Seuchen und Kriege alles vernichten? Wie sind der Sturz der Sonne, der Fall des Mondes und die Verdunkelung der Sterne, die an diesem ersten Adventssonntag nach dem Evangelium des Lukas im 22. Kapitel verkündet werden, mit der Zuversicht auf die Menschwerdung Gottes vereinbar? Was hat die Apokalypse mit dem Advent zu tun?
n Ist es möglich, dem destruktiven Sog einer Ehe dadurch zu entkommen, dass das Ende einer Liebe anerkannt wird? Es ist möglich. Der Weltuntergang einer Familie kann der Anfang der Aufrichtigkeit im eigenen Leben werden - wenn auch durch die Not hindurch.

Ist es möglich,
sich - wie das Evangelium rät - um die Zeiten des Weltenendes nicht zu kümmern, um achtsam und solidarisch mit allem, was da lebt, umzugehen? Es ist möglich. Denn die sektiererische Angst vor dem Weltuntergang führt bekanntlich nicht zur ökologischen Achtsamkeit. Ein guter endzeitlicher Humor macht erfinderisch im Umgang mit der Bewahrung der Schöpfung.

Ist es möglich,
die Angst um die Kirche durch die Freude an der Begegnung mit den Suchenden zu lindern? Ist es möglich, das Ende von Gewohnheiten auch als Anfang neuer Gestaltung zu erleben? Ist es möglich, Gott nicht festzuhalten, sondern ihn durch alles hindurch zu erwarten?

Der Mensch weiß um das Ende.
Er kann, in der Liebe, in der Arbeit und in der Kirche so arm werden, wie er war, als er noch nicht war. So erfährt er, was es heißt, ein „Menschenkind“ zu sein. Wer loslässt, wird im Werden und Vergehen der Natur und im Scheitern der Liebe und im Scheitern des Lebens sehen, was darin zum Vorschein kommt: das Angesicht des „Menschensohns“. Dieses Angesicht richtet uns nicht, es „richtet uns auf“ (Lk 22,28). 

Prof. Peter Eicher

Universitätsprofessor DDr. Peter Eicher
lehrt an der Universität Paderborn Katholische Theologie (Systematik), ist therapeutisch in seinem Institut für kommunikative Begleitung in den Walliser Bergen tätig und begleitet seine Frau Lisette Eicher im größten Hilfsprojekt Lateinamerikas für AIDS-kranke Mütter, Kinder und Marginalisierte im absoluten Elend, im „Stern der Hoffnung“.

Die Weihnachtszeit ist voll von Bildern  und Symbolen.

Auf Einladung des KBW Nenzing gibt Prof. DDr. Peter Eicher  zwei Adventbesinnungen zu diesem Thema und zwar jeweils im Nenzinger Pfarrsaal.

Do 3. Dez., 20 Uhr
Sterne, Engel und Träume - Was bedeutet die Weihnachtssymbolik? 

Fr 4. Dez., 20 Uhr
Menschwerdung - Der Traum von der Gottesgeburt im Konsumzeitalter.

www.petereicher.de
www.sternderhoffnung.de