Advent: Warten können und sich öffnen. Von Frére Alois, Prior der Gemeinschaft von Taizé.

Advent – kann er in uns die Hoffnung erneuern? Keinen leichtfertigen Optimismus, der die Augen vor der Wirklichkeit verschließt, sondern eine feste Hoffnung, die sich in Gott verankert und die uns ganz im Heute leben lässt.

Das Kirchenjahr beginnt mit dem Advent, der Zeit der Erwartung. Warum? Um uns unser sehnliches Verlangen offenzulegen und es zu vertiefen: die Sehnsucht nach einem Absoluten, zu dem sich jeder Mensch mit seinem ganzen Sein – Körper, Geist und Seele – hingezogen fühlt, den Durst nach Liebe, der in jedem Menschen brennt. Wir erfahren diese Erwartung oft als einen Mangel oder eine Leere, die schwer hinzunehmen sind. Sie ist jedoch keine Fehlentwicklung, sondern gehört zu unserem Menschsein. Sie ist ein Geschenk. Sie bewegt uns dazu, uns zu öffnen, sie richtet unser ganzes Sein auf Gott aus.

Sehnen öffnet. Wagen wir zu glauben, dass Gott diese Leere füllen kann und dass wir diese Erwartung schon mit Freude leben können. Augustinus schreibt: „Das ganze christliche Leben ist ein heiliges Sehnen. Indem er uns warten lässt, macht Gott diese Sehnsucht weit, indem er uns sehnen lässt, macht er die Seele weit, indem er die Seele weit werden lässt, macht er uns fähig, zu empfangen … Wenn du dich danach sehnst, Gott zu schauen, hast du bereits den Glauben.“ Frère Roger liebte dieses Augustinuswort und betete in diesem Sinn: „Gott, du liebst uns: Wenn wir uns danach sehnen, deine Liebe zu empfangen, ist allein diese Sehnsucht bereits der Anfang schlichten Glaubens. Allmählich wird auf dem Grund unserer Seele eine Flamme entzündet. Sie kann ganz schwach sein, aber sie brennt immer.“

Reifezeit. Die Bibel stellt den langen Weg des Volkes Israels heraus und zeigt, wie Gott das Kommen Christi langsam vorbereitet hat. Packend wird in der Bibel die gesamte Liebesgeschichte zwischen Gott und der Menschheit erzählt. Sie beginnt mit der Frische der ersten Liebe, dann zeigen sich Grenzen, ja Untreue. Gott wird aber niemals müde zu lieben; er sucht stets aufs Neue sein Volk. „Kann denn eine Frau ihr Kind vergessen? Selbst wenn sie es vergessen würde: Ich vergesse dich nicht.“ (Jesaja 49, 15). Diese lange Geschichte kann in uns Verständnis für langsames Reifen wecken. Manchmal hätten wir gerne alles auf einmal, ohne den Wert von Reifezeiten zu sehen! Die Psalmen dagegen erschließen uns einen anderen Blickwinkel: „In deiner Hand liegt mein Geschick“ (Psalm 31, 16).

Empfangen. Warten können. Einfach da sein, einfach so. Sich hinknien, und so – auch mit dem Körper –  annehmen, dass Gott ganz anders handelt, als wir es uns vorstellen. Die Hände öffnen als Zeichen des Empfangens. Die Antwort Gottes wird uns stets überraschen. Der Advent bereitet uns auf Weihnachten vor; und darauf, zu empfangen. Das Glasfenster der Verkündigung in der Kirche von Taizé zeigt die Jungfrau Maria gesammelt und verfügbar. Sie ist still, in Erwartung, dass sich das Versprechen des Engels Gottes erfüllt.
Wie die lange Geschichte vor Christus in seine Ankunft auf der Erde mündete, so können wir uns im Advent jedes Jahr ein wenig mehr für Christi Gegenwart in uns öffnen. Jesus nimmt unsere Erwartung wahr, so wie er eines Tages die des Zachäus erkannte. Und er sagt auch zu uns: „Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein“ (Lukas 19, 5).

Solidarität. Lassen wir zu, dass die Freude des Zachäus in uns entspringt. Dann wird sich unser Herz wie das seine für die anderen öffnen. Er beschließt, die Hälfte seines Besitzes den Armen zu geben. Wir wissen heute, dass ein Großteil der Menschheit nach einem Mindestmaß an Wohlstand, Gerechtigkeit und Frieden dürstet. Gibt es konkrete Zeichen von Solidarität, die wir während der Adventzeit im Alltag setzen können?

Frieden. In den Gottesdienst-Lesungen der Adventzeit ist die Rede von einem „Großen Friede“, der aufblüht (Psalm 72, 7), von einem Land, „in dem der Wolf beim Lamm liegt, in dem es keine Gewalt mehr gibt und Gerechtigkeit wohnt.“ (Jes11, 1–9). Es sind poetische Texte, aber sie erwecken in uns ein Verlangen. Und wir sehen, dass „Frieden auf Erden“ in Schritten der Versöhnung keimen kann, im Vertrauen darauf, dass Menschen zueinander finden. Vertrauen auf Erden ist schlichter
Anfang des Friedens. Frère Alois, Taizé