Zum 4. Advent: Terezinha oder "Du bist voller Gnaden"

„Siehe, ich lebe. Woraus?
Weder Kindheit / noch Zukunft
werden weniger .....
Überzähliges Dasein / entspringt mir im Herzen."  
Rainer Maria Rilke

Terezinha lachte selbst mit ihren Händen und Füßen - jede ihrer Bewegungen war Samba. Seit Stunden zauberte sie Rastazöpfchen aus Vanessas Haar. Für ihren siebenten Geburtstag sollte ihr Töchterchen die Schönste sein. Niemand konnte so feine Rastas flechten wie ihre junge Mutter, deren Hände nach starkem brasilianischen Öl rochen.

Was war das?
Terezinha flocht Vanessa eine grüne Perle ins Haar: „Das ist die Hoffnung -  zu viel davon ist ungesund“. Dann flocht sie gelbe ins Haar: „Dar a luz - das Licht geben“, das heißt in Brasilien ein Kind zur Welt bringen. Und Licht, fand Terezinha, sei nie genug. Dann flocht sie erst eine, später noch zwei schwarze Perlen ein: „Das ist der Tod. Die erste für deinen ermordeten Papa. Die zweite für mich - ich sterbe ja schon bald. Und ganz unten, das dauert noch lange, eine schwarze für dich.“
Die weiße bedeute die Erinnerung an den toten Vater „und die blauen“, lachte Terezinha kämen „aus der Tiefe des Meeres“, sie würden nachdenklich stimmen. Die violetten seien zur Selbstbescheidung gut, dafür genügten drei.
Dann nahm sie achtsam rote Perlen in die Hand: „Die Liebe, das Feuer, die Leidenschaft, das sind gefährliche Perlen. Doch ohne sie,"  lachte Terezinha, „ist das Leben gar nichts.“

Terezinhas Eltern waren überfahren worden, als sie vier war. Sie floh bald aus dem Waisenhaus, später aus dem Erziehungsheim, aus der sogenannten „FEBEM“, die in Brasilien berüchtigt ist. Ihr erstes Kind, das sie im Elend der Straßenschluchten von Sao Paulo zur Welt brachte, wurde ihr im Krankenhaus für eine Adoption abgedrungen. Damals war sie sechzehn. Dann fand sie den Prinzen ihres Lebens. Als sie von ihm schwanger war, wurde er vor ihren Augen wegen einer Drogenschuld erschossen. Ein Taxifahrer sah sie auf offener Straße in Wehen und so kam sie zum Gebären wieder ins Krankenhaus. Am Morgen nach der Entbindung floh sie, um diesmal ihr Töchterchen, Vanessa, zu behalten. Sie selber war mit dem HIV-Virus angesteckt worden. Sie fand den „Stern der Hoffnung“ - unser Hilfswerk in Brasilien, das seit 22 Jahren Müttern, Kindern und Marginalisierten, die im sozialen Elend auch noch an AIDS erkrankt sind, gut zu leben hilft.

Vanessa, so zeigte sich bald, war nicht positiv. Sie wird leben und hat vor einigen Monaten ein glänzendes Examen zum Eintritt in eine Eliteuniversität von Brasilien bestanden. Wir sind glücklich, dass Kinder, die in den Werken des “Sterns der Hoffnung” mit ihren Müttern zusammenleben, nun selber Sterne der Hoffnung werden.
Terezinha hat mit den Perlen ihre Tochter gesegnet. Jetzt weiß ich, was es heißt, gesegneten Leibes zu sein. Jede der sieben Farben bedeutet im afro-brasilianischen Kontext so etwas wie einen Engel: den Engel der Liebe, der Hoffnung und des Vertrauens, den Engel der Erinnerung, der Bescheidung und des Lebens. Und den Engel des Todes.

„Du bist voller Gnaden“ hat Elisabeth zur jungen Frau, zu Maria gesagt. Diese Gnade bedeutet das Spektrum aller Farben des Lebens, die Fülle des Daseins. - Wo werden wir sie finden?

www.sternderhoffnung.de