Kardinal Schönborn kritisiert Auswüchse des Darwinismus, Dr. Michael Willam äußert sich zu "Gesellschaftskritik aus dem Glauben"

Auf Einladung der „Freunde des Sanatoriums Mehrerau“ war Kardinal Christoph Schönborn am 3. Jänner zu einem Vortrag nach Bregenz gekommen. Begriffsklärungen, naturphilosophische und theologische Überlegungen, aber auch scharfe Kritik an bestimmten ideologischen Auswüchsen standen im Zentrum.

„Lassen wir Darwin das sein, was er ist: Ein hervorragender Naturbeobachter“. So eröffnete der Kardinal seinen Vortrag zum Thema „Evolution und Schöpfung: Die Diskussion geht weiter“. Darwins Theorie, die gerade ihren 150. Geburtstag begeht,  „ist eine geniale und plausible Erklärung, wie sich das Leben und die Arten auf dieser Erde durch Mutation, Anpassung und Selektion entwickelt haben“ und, so der Wiener Erzbischof weiter: „An dieser Theorie ist schlichtweg nicht zu zweifeln“.

Der „Darwinismus“ hingegen sei ideologisch gezeichnet, verfremde und missbrauche Darwins Einsicht der natürlichen Selektion („survival of the fittest“) zur Legitimation für erbarmungsloses Aussieben von Schwachen und nicht Durchsetzungsfähigen. „Für den Glauben stellt es absolut keine Schwierigkeit dar, jegliche naturwissenschaftliche Entdeckung anzunehmen“, klärte der Dogmatiker Schönborn das Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Der Glaube an Gott könne durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht in Gefahr gebracht werden und Evolution und Schöpfungsglaube, hielt der Autor des Katechismus der Schönborn_AusschnittKatholischen Kirche fest, können „ohne Probleme miteinander“.

Kreationismus und Materialismus. In evangelikalen Kreisen ist der so genannte „Kreationismus“ verbreitet. Diese fundamentalistische Ideologie, in der Aussagen der Bibel wortwörtlich gelten, „ist natürlich ein Unsinn“, stellt Schönborn entschieden klar.  Der Glaube an einen Schöpfergott müsse von kreationistischen Ansätzen unterschieden werden.
Ähnlicherweise ideologisch sei der Materialismus, der versuche, zu beweisen, dass es keinen Schöpfergott gebe. „Die Nicht-Existenz Gottes kann genauso wenig naturwissenschaftlich bewiesen werden wie seine Existenz“, gibt der Kardinal wissenschaftstheoretisches Kontra. Sowenig es Aufgabe der Theologie sei, naturwissenschaftliche Debatten zu führen, sowenig sei es tolerierbar zu behaupten, es gebe nichts anderes außer Materie. Hier liege eine „klare Grenzüberschreitung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisanspruches“ vor und solche Aussagen seien „nicht wissenschaftlich, da etwas postuliert wird, was mit den Methoden der eigenen (Natur)Wissenschaft“ nicht beweisbar sei.

Zufall, Notwendigkeit. „Alles nur Zufall?“ - oder geplant? Dass jeder einzelne von uns existiert, ist nicht notwendig - es könnte uns auch nicht geben. Im Glauben schreiben wir es dem Wirken Gottes zu, dass wir geworden sind, so wie wir sind - jedoch nur darum, weil viele Faktoren zu einem bestimmten Zeitpunkt „zufällig“ zusammengespielt haben. Unsere Eltern lernten sich (zufällig?) kennen, verliebten sich, zeugten (zufällig?) ein Kind, das durch (zufällige?) genetische Veranlagung, (zufällige) soziale Gegebenheiten und Merkmale aufweist, die genau diesen Menschen heute ausmachen.

Das Ganze und der Sinn. Die Antwort des Theologen ist klar, aber nicht einfach: „Erst mit dem Blick auf das Ganze können wir Ziel und Sinn der Schöpfung erkennen“, erläutert Kardinal Schönborn. Der Glaube an einen Schöpfergott sei ein „Deutungsangebot“,  für so viele zufällige Ereignisse, die erst „im Blick auf das Ganze, in dem die wahre Schönheit und Ordnung in der Natur wahrnehmbar wird“, Sinn bekommen. Darwin selber habe festgestellt, er könne im Einzelnen der natürlichen Abläufe zwar keinen Plan entdecken, doch im Blick auf das Ganze könne er einen solchen sehr wohl erkennen.

Bericht von Michael Willam aus dem KirchenBlatt Nr. 03 vom 18. Jänner 2009