Kurienkardinal Walter Kasper über Ökumene, Sinnsuche und Islam

Der Vatikankorrespondent des „Sonntagsblattes“ der Diözese Brixen hatte mit einem Kollegen der „Rheinischen Post“ Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem „Ökumeneminister“ des Papstes.

Bild: Walter Kardinal Kasper (* 5. März 1933 in Heidenheim an der Brenz) ist Kurienkardinal (seit 21. Februar 2001) und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen.

Herr Kardinal, Sie sprachen kürzlich von einer „positiven Dialogphase“ mit den Orthodoxen, gleichzeitig von Problemen beim Dialog mit den Protestanten. Warum?
Kardinal Kasper: Wir sind dankbar dafür, dass die Gespräche mit den Orthodoxen derzeit sehr gut verlaufen. Diese Fortschritte werden sicher auch unserem Dialog mit den evangelischen Kirchen nützen, denn die ökumenische Bewegung ist ja ein Ganzes. Allerdings: Während wir mit den Orthodoxen viele Gemeinsamkeiten haben, verlief die reformatorische Entwicklung in eine andere Richtung. Erschwerend hinzu kommt die Zersplitterung der Protestanten.

Erlauben Sie eine Frage zur Säkularisierung. Nach Ansicht des Salzburger Theologen Gregor Hoff steht für die katholische Kirche das dicke Ende noch bevor. Teilen Sie diese Sicht, oder kann Papst Benedikt den Europäern christlichen Schwung geben?
Ich möchte mich da nicht auf Vermutungen einlassen. Noch in den 1970er und 80er Jahren hielt man die Säkularisierung fast für ein eisernes Gesetz – das ist vorbei. Die Säkularisierung hat einen Knacks bekommen. Und der Papst trägt sehr dazu bei, die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Denken Sie nur an seine Rede vor Pariser Intellektuellen, an seinen Verweis auf die Wurzeln Europas und der menschlichen Existenz. Mehr kann er nicht tun, denn für diesen Appell muss sich jeder Einzelne öffnen.

Was ist die größere Herausforderung: Der aggressive Atheismus, der religionslose Alltagspragmatismus oder weltanschaulicher Pragmatismus?
Ich sehe da eine von Gott gegebene Herausforderung. Die Kirche und wir Europäer müssen aufwachen. Ohnehin stellt man bei vielen jungen Menschen eine neue Sinnsuche fest. Gefährlich für die Kirche ist der Alltagspragmatismus: Dass man einfach so dahinlebt. Da ist das Zeugnis jedes einzelnen Christen gefordert. Bedenken Sie stets: Wir alle sind Kirche!

Und der Islam? Erscheint er so stark, weil wir Christen nicht selbstbewusst auftreten?
Ja, da ist was dran. Der Islam hat eine Strömung, die sich gegen das Christentum wendet. Insofern sollten die Christen stärker auf ihrer Identität beharren. Die Diskussion mit dem Islam ist schwierig. Denn für den Islam sind - anders als für die Christen - Religion und Kultur nicht trennbar. Zum Dialog sind zwar einzelne Muslime bereit, aber wer weiß schon, wie repräsentativ sie für den Islam sind.

In Deutschland, aber auch in Norditalien fühlen sich viele Bürger durch Moscheebauten provoziert. Wie sehen Sie das?
Zunächst möchte ich unterstreichen, dass wir als Christen und aufgrund unseres demokratischen Standpunktes für Religionsfreiheit eintreten. Deshalb haben Vertreter anderer Religionen, die bei uns wohnen, das Recht auf das Feiern ihres Gottesdienstes und entsprechende Gotteshäuser. Aber ich füge hinzu, dass wir im Gegenzug auch christliche Kirchen in islamischen Ländern bauen möchten. Was man uns aber leider oft verwehrt.

Also nur ein frommer Wunsch?
Es zeigt eben die Ungleichartigkeit der Beziehungen. Wichtig ist, dass diese Moscheen wirklich  nur religiösen Zwecken dienen…

...und nicht, wie es vorkommt, politische Agitationszentren werden.
Ja, leider. Da zeigt sich wiederum der grundsätzliche Unterschied. Wir Christen trennen ganz klar, was Gott und was dem Kaiser zu geben ist. Eine Unterscheidung, die der Islam so nicht kennt.

Im Zusammenhang mit kritischen Bemerkungen des Papstes zum Geld: Ist Kapitalismus pur, ist wilde Spekulation Sünde?
Wenn man unter „Kapitalismus pur“ versteht, dass das Kapital und seine Vermehrung sozusagen der höchste Wert ist, dann widerspricht das diametral dem Christentum. Dass dies eine unkluge Einstellung ist, geht auch daraus hervor, dass Banken, die noch vor kurzem als grundsolide galten, plötzlich zusammenkrachen. Das Kapital kann nicht Grundlage der menschlichen Existenz sein.

Dasselbe gilt sicher auch für Spekulation?
Ja, eine Spekulation, die andere Menschen um Hab und Gut bringt oder andere Länder leiden lässt, ist unverantwortlich. Das würde ich schon als Sünde betrachten. Bedenken Sie: Die gegenwärtige Wirtschaftskrise zwingt dazu, dass wir uns besinnen, was die Grundlage und das Ziel unseres Lebens ist!

von Bernhard Hülsebusch
(Artikel aus dem KiBlatt 5/2009)