Am Aschermittwoch bekommt der „Ernst des Lebens“ einen tieferen Sinn. Die 40 Tage-Zeit auf Ostern hin nützen viele Menschen zu innerer Einkehr, zum bewussteren Umgang mit sich selber. Im KirchenBlatt-Interview mit Bischof Elmar geht es um Verdrängung und Erfahrung von Sünde, Mut zum Bekennen und um die Erlösung, die Jesus Christus für alle erwirkt hat. Von Walter Buder.

Welches Thema bestimmt heuer den Fastenhirtenbrief?
Wir haben ein Pastoralgespräch unter dem Thema „Die Wege der Pfarrgemeinden“ im Gange. Wichtig, damit wir unser Ziel erreichen können, ist es, den Glauben in seiner Kostbarkeit und Tiefe zu erkennen und dieses Geschenk Gottes im eigenen Leben zu praktizieren, es Wirklichkeit werden zu lassen, damit aus der zugesagten Frohbotschaft Zuversicht, Mut, Freude wird.

Fastenzeit ist immer auch Zeit der Buße, der Umkehr. Was sagt die Kirche den modernen Menschen zu diesem Thema? Und was sagt sie den Gläubigen im besonderen?
Das Wort „Buße“ hat für viele moderne Menschen einen negativen Klang. Aber in der modernen Welt zählt Selbstverwirklichung. Wer sich um die Entfaltung des eigenen, echten, authentischen Wesens bemüht, weiß, dass manche Selbstüberwindung unumgänglich ist, wie bei einem Sportler, der sich vorbereitet, weil er den Sieg will. So gesehen kommt jemand, der mit sich und seinem Leben ernst macht, nicht an dem vorbei, was „Buße“ meint. - Dem Gläubigen möchte ich sagen: Christus und seine Art Mensch unter Menschen zu sein ist Leitbild für unsere Selbstentfaltung. Sein Ziel für uns ist die Aufrichtung, der Aufbau echten Menschseins, eine Entfaltung der Persönlichkeit nach seinen Vorgaben.

Manche klagen über „mangelndes Sündenbewusstsein“ - andererseits ist der Begriff Sünde ja in aller Munde - „Umweltsünde“, „süße Sünden“, „schön wie die Sünde“, Geiz ist geil - et cetera? Was heißt das denn? 
Sünde bedeutet ein Fehlverhalten, aus dem Fehlentwicklungen verschiedenster Art resultieren können. Und zwar im Umgang miteinander, aber auch im Umgang mit der Umwelt.
Das Wort „Sünde“ ist heute im Alltagsgespräch meist defizitär gebraucht. Das Defizit besteht darin, dass die Verantwortung dafür vor Gott abgeschoben, nicht wahrgenommen werden will. - Was heute, in unserer säkularisierten Zeit sehr häufig ausgeblendet ist, das ist die Beziehung zu und die Verantwortung vor Gott. Weil den Menschen auf diese Weise oft die Hinführung zum echten Menschsein nach den Ideen Jesu (Jo 15, 12) abhanden kommt, gelingt in lebenswichtigen Beziehungsfeldern (wie Ehe, Familie zum Beispiel) vieles nicht mehr. Ein Bild: Die besten Sportler trainieren nicht im Freistil und nach eigenen Ideen, sondern sie suchen sich die besten Trainer, auch für den psychischen, den mentalen  Bereich. Die Frage ist auch: Wer ist unser Trainer in der Entfaltung unserer Persönlichkeit?

Es gibt einen Trend hin zur Beichte. Was spricht eigentlich gegen Bußandachten, die ja doch gut angenommen werden?
Dass wir Menschen Sünder sind ist keine katholische Entdeckung. Diese Erfahrung zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. Die Heilige Schrift lenkt in den ersten Kapiteln der Genesis bereits unseren Blick auf diese Kennzeichnung unseres Geschickes. Aber sowohl im ersten wie im zweiten Testament  gibt es zahlreiche Hinweise für die Überwindung der Sünde - aber nirgends ist sie als pauschale oder generelle Vergebung an eine Gruppe oder große Zahl dargelegt. Die Taufe Jesu, die Bezug nimmt auf die Erzählung von der Sündflut, zeigt Jesus als den, der als „Einzelkämpfer“ die Erlösung von der Sünde für uns schafft. Die Erlösung aber fordert ein persönliches Ja, damit Jesu „Vorarbeit“ für uns wirksam werden kann. Das ist eine einzigartige Wertschätzung Gottes, die in dieser Haltung zu uns sichtbar wird. Er kennt unseren Namen, er ist als guter Hirt auf der Suche nach uns, er hofft auf unsere persönliche Zuwendung zu ihm.

Heißt das, dass sowohl Sünde und auch ihre Vergebung neben der gemeinschaftlichen immer auch eine fundamental persönliche Dimension haben?
Sicher. Bußandachten haben ihren Sinn im sozialen Charakter unseres guten und schädigenden Verhaltens. Und: Wir sind aufeinander angewiesen, wenn die Erlösung Jesu spürbar, wirksam werden soll. - Aber: Die persönliche Wertschätzung durch Jesus hat zur Konsequenz, dass wir die Verantwortung für unser Tun und Lassen auch dann annehmen sollen, wenn wir ‘in der Sünde’ sind. Darauf zielt die Beichte: Über persönliche Einsicht, über Reue und Umkehrbereitschaft Gottes Barmherzigkeit zu mobilisieren. Wenn das Eingestehen vor Gott da ist und der Wille, das Gute zu realisieren, dann wird in uns ein Stück echtes Menschsein dazugewonnen. Darauf zielt die persönliche Beichte. - Unser Glaube sagt auch, dass wir durch unser Leben insgesamt entscheiden, wie unsere Beziehung zu Gott ist. Dies ist ein sehr persönliches Geschehen zwischen Gott und uns!

Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 09 vom 1. März 2009