Sanft und gewaltlos kommt Gott in eine Welt, die von Gewalt gezeichnet ist. Gespräch mit Prof. Dr. Reinhard Haller.

Die Gewalt bei Jugendlichen unter 14 hat seit dem Jahr 2000 um 200% zugenommen. Gewalt wird immer alltäglicher. Auch an Weihnachten. Im Gespräch mit Prof. Dr. Reinhard Haller geht es um Ursachen der Gewalt, um die Bedeutung von intakten
Familien und den Stellenwert der Religion.

HallerGewalt in den Familien? Wie sieht das an Weihnachten aus? Ist diese Zeit konfliktträchtiger als andere?
An Weihnachten kommt es vor allem zu Gewalthandlungen, welche  enttäuschten Erwartungen  entspringen. Meist spielen sich diese Taten auf der Beziehungsebene, innerhalb von Partnerschaften oder eben in der Familie ab. Viele Menschen werden mit dem gerade in der Weihnachtszeit extrem gespannten Bogen zwischen Wunsch nach heiler Welt und hektischer, stressreicher Wirklichkeit nicht mehr fertig und reagieren sich durch Streit und Aggression ab.

Die Statistik lässt aufhorchen: Kriminalität bei Kindern unter 14 Jahren steigt massiv. Was sagt der Psychiater und Neurologe?
Die Zunahme der Kriminalität bei Kindern hat mit der sogenannten Akzeleration zu tun. Die Persönlichkeitsentwicklung hält nicht mit der früher einsetzenden körperlichen Reife Schritt, sodass eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem bereits erwachsenen Körper und dem nach wie vor  kindhaften Wesen besteht. Weitere Delinquenz begünstigende Faktoren liegen in den oft zerbrochenen Familien, in  fehlender Geborgenheit und im Anschluss an oft als „Ersatzfamilie“ dienenden Problemgruppen.  Auch  Jugendalkoholismus und Drogenmissbrauch begünstigen gewalttätiges Verhalten.

Wie definiert sich „Kriminalität“ bei Jugendlichen? Was ist ein Lausbubenstreich, was ein Verbrechen?
Die Grenze zwischen Lausbubenstreich und Verbrechen wird dort überschritten, wo nicht mehr auf den jedem Menschen innewohnenden „Moralinstinkt“ gehört wird. Schon ab dem 5. Lebensjahr hat ein Kind grobe Vorstellungen, was gut und böse, was recht oder unrecht ist.

Erleiden Kinder heute mehr Unrecht? Und spielt dabei die Scheidungsrate - ca. 50% in Vorarlberg - eine Rolle?
Ein sogenanntes „broken-home-Milieu“ ist jedenfalls ein erheblicher Risikofaktor. Jedes Kind braucht, um lebenstüchtig zu werden, einerseits die für den Realitätsbezug wichtige Vatergestalt und andererseits die für die emotionale Entwicklung maßgebende Führung durch die Mutter. In Scheidungsfamilien geraten die Kinder meist in eine kaum lösbare innere Konfliktsituation und Zerrissenheit. Dem daraus erwachsenden Druck wird  oft durch aggressives Verhalten ein Ventil gesetzt.

Hat der christliche Glaube in diesem Kontext eine Bedeutung und wenn ja, welche?
Die religiöse Erziehung stärkt die Gewissensinstanzen des Kindes, fördert seine moralische Kompetenz und führt zu einer Festigung seiner Persönlichkeit. Abweichende Verhaltensweisen wie Alkohol - und Drogenmissbrauch oder Gewalttätigkeit entspringen oft einem „existentiellen Vakuum“, das heißt, dem Fehlen eines Lebenssinns, der ganz besonders in der Religiosität liegen kann.

Christliche Werte scheinen an Bedeutung zu verlieren. Braucht eine Gesellschaft nicht ein Mindestmaß an humanen Standards?
Eines der wichtigsten Ziele jeglicher Erziehung muss in der Achtsamkeit, im Respekt vor anderen und im Einfühlungsvermögen in die Person des Mitmenschen liegen. Die Entwicklung der emotionalen Intelligenz ist noch wichtiger als die Förderung des Verstandes oder die Vermehrung des Wissens. Zwischenmenschliche Konflikte können nicht mit kognitiven Fähigkeiten, sondern nur über die Sprache des Herzens gelöst werden.

Gewalt wird alltäglicher: Internet, TV, Schule - kann da wirksam gegengesteuert werden?
Wir beobachten heute eine Zunahme der sogenannten „Verhaltenssüchte“, zu denen neben Ess-, Brech-, Kauf- und Spielsucht auch die Internet-, die Online- und die PC-Abhängigkeit gehören. Dabei werden oft Modelle der nicht-personalen Gewaltausübung vermittelt, was innere Abstumpfung und gemütsmäßige Verarmung zur Folge hat. Die an seelenlosen Objekten oder virtuellen Abläufen erlernte Gewalt wird dann auf die Person des Mitmenschen übertragen.

Und der Stellenwert der Arbeit? 
Arbeitslosigkeit stellt ein hohes Risiko für Gewalttätigkeit und sonstige Formen der Kriminalität dar. Mangelnde Bildung und fehlende berufliche Integration rufen Selbstwertzweifel und Versagensgefühle hervor, gegen welche sich der junge Mensch im wahrsten Sinn des Wortes mit aller Gewalt wehrt. Arbeit vermittelt zudem eine Halt gebende Struktur und gibt dem Leben Sinn.

Welchen Wunsch hätten Sie an die gute Fee, um die oft aussichtslose Lage vieler junger Leute zu beheben?
Ich wünsche den jungen und erwachsenen Menschen die drei großen „Z“: Ein Mehr an Zuwendung, Zärtlichkeit und Zeit wäre die beste Vorbeugung gegenüber vielen Problemen in unserer Gesellschaft, vor allem für die Not der Jugend.
(Wolfgang Ölz/Walter Buder)