Wie jemand auf ein abgelaufenes Jahr zurückblickt, hängt auch davon ab, was ihm und ihr dieses Jahr gebracht hat. Und es hängt davon ab, ob sich jemand – trotz allem – in der liebenden Hand Gottes weiß.

Bild: Barack Obama. Der erste farbige Präsident der USA wurde zum Hoffnungsträger einer "anderen Politik".

Es gibt eine Zeit zum Gebären
und eine Zeit zum Wachsen…
Jedes neue Leben erfüllt uns mit Freude, es verweist uns auf Zukunft, es veweist uns auf Liebe, es verweist uns auf Hoffnung. Im ersten Lachen, im ersten Mama, im ersten Schritt begreifen wir, wie sehr wir in den eigentlichen Dingen des Lebens Beschenkte sind. Beschenkt auch durch ihn, der im Kind von Bethlehem ganz Mensch wurde, damit wir Menschen werden.
77.470-mal durften in diesem Jahr in Österreich Mütter und Väter ihr Neugeborenes in ihre Arme schließen. Manche von ihnen
haben sich ihr Ja zum Kind mühsam abringen müssen. Sie und alle, die ihnen beigestanden sind, haben der „Mensch-Werdung“ in unserem Land ein Gesicht gegeben.
Aber auch in dieser Stunde: jede Minute sterben auf unserer Welt zehn Kinder an Hunger, Armut – und Gleichgültigkeit. 

Es gibt eine Zeit zum Umarmen
und eine Zeit zum Lieben …
Die Liebe ist das große Geheimnis des Lebens. Auf sie kommt es an, das fühlen wir. Auf sie kommt es an, das zeigt uns Jesus am Tisch des Zachäus, in der Hinwendung zur Sünderin, in der Berührung des Bartimäus, in der Frage an Petrus. Auf sie, die Liebe kommt es an, das dachten heuer wohl auch die 34.100 Paare, die in Österreich Ja zueinander gesagt haben.
Auf sie, die Liebe kommt es an, das zeigen uns täglich Eheleute, die in Treue mit ihren Partnern auf dem Weg sind; das zeigen uns Väter und Mütter, Ordensleute und Priester, Entwicklungshelfer/innen und viele Freiwillige,  die in Vereinen, Gruppen und Initiativen ihr Leben in den Dienst anderer stellen.
Auf sie, die Liebe kommt es an, das machen in unseren Pfarrgemeinden viele Frauen, Männer und Jugendliche sichtbar, die Kranke und Alte besuchen, die ein offenes Ohr für Bedrückte haben, die Notleidenden die Hand reichen und die Sterbende und Trauernde
begleiten, die Feste gestalten und Menschen Heimat geben.

Es gibt eine Zeit zum Sterben
und eine Zeit zum Leben …
Wir wissen, dass unser Leben endlich ist – und doch stehen wir immer wieder fassungslos vor der Wirklichkeit des Sterbens und des Todes. Und unser Schrei nach dem „Warum“ bleibt viel zu oft ohne Antwort. 69.350-mal standen im abgelaufenen Jahr in Österreich Trauernde am Grab von Menschen, die ihnen wertvoll und nahe waren.
Wir betrauern in diesem Jahr auch den Tod von Chiara Lubich, deren tiefer Glaube Feuer (Foculare) über alle Konfessionsgrenzen hinweg zu entzünden vermochte; den Tod von Josef Petrik, dessen tiefe Menschlichkeit und Gottverbundenheit die Familienarbeit der Kirche Österreichs geprägt hat, den Tod von Helmut Zilk, Jörg Haider, Alexander Solschenizyn und von Miriam Makeba, der südafrikanischen Sängerin, die mit großem Herzen für Gleichheit und Versöhnung  gekämpft hat.
In der Mitte der Nacht bricht der neue Tag an. 
Deshalb ist diese Rückschau auch der Ort der Dankbarkeit für das Leben, für alle Feste, die wir mit den Unseren feiern durften – runde Geburtstage, Hochzeitstage, überstandene Krankheiten, unerwartete Versöhnungen, neue und alte Freundschaften.

Es gibt eine Zeit zum Niederreißen
und eine Zeit zum Aufbauen …
Ende Jänner richtet der Orkan Paula in Ost- und Südösterreich schwere Schäden an. In Vorarlberg kommen Anfang Februar elf Menschen beim Brand im Altersheim Egg ums Leben. Der Zyklon Nargis fordert Anfang Mai in Myanmar (Burma) an die 200.000 Tote. Zwei Millionen Menschen verlieren ihre Häuser. Die Militärjunta verhindert eine wirksame Hilfe durch das Ausland und überlässt die Menschen, die mehrheitlich verfolgten Minderheiten angehören, ihrem Schicksal. Mitte Mai erschüttert ein schweres Erdbeben den Süden Chinas: 70.000 Todesopfer und fünf Millionen Obdachlose sind zu beklagen. Es wird weltweit Hilfe geleistet, auch aus dem „verfeindeten“ Taiwan. Die Hurrikan-Saison richtet auf Kuba und Haiti schwere Schäden an. Börsenkrach
Für einen „Tsunami“ der anderen Art sorgt die weltweite Verteuerung der Lebensmittel. Die Zahl der Armen und Hungernden steigt
wieder an. Auch Spekulanten treiben die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Die Weltwirtschaftskrise kündigt sich bereits im Jänner mit massiven Kurseinbrüchen an und schlägt ab September voll zu. Verantwortungslose Manager und ein „korruptes System“ (P. Friedhelm Hengsbach) bringen das „goldene Kalb“ vom freien Markt, der sich am besten selber regelt, ins Wanken. In Brasilien werden trotz massiver Proteste (u. a. Dom Luiz Cappio und Dom Erwin Kräutler) ökologisch zerstörerische Flussbauprojekte vorangetrieben. In Österreich sorgt die „alte Koalition“ mit ihrem Dauerstreit für eine massive Wählervertreibung ins rechte Lager.
Aber auch in dieser Zeit: ein Zusammen-rücken in der EU – trotz Verfassungskrise nach dem negativen Votum der Iren; ein neuer
Name für die Hoffnung vieler auf eine solidarischere, ökologischere und friedlichere Welt: Barack Obama, der erste farbige Präsident der USA; dann doch Verhandlungen zwischen Präsident Morales und der Opposition nach staatsgefährdenden Auseinandersetzungen in Bolivien; gemeinsames Eintreten der Kirchen und Religionsgemeinschaften Österreichs gegen Rassismus, Intoleranz und Ausgrenzung.

Es gibt eine Zeit des Krieges
und eine Zeit der zarten Pflanzen …
verbranntBlutiger Fanatismus auch in diesem Jahr: 195 Menschen sterben in Mumbai (Bombay); brutale Übergriffe auf Christen in Indien: 500 Tote und Zentausende Vertriebene; gezielte Anschläge auf Christen im Irak (u. a. Ermordung von Bischof Rahho) und eine nicht abebbende Welle blutigen Terrors; ein abgewählter Gewaltherrscher in Simbabwe, der sein Land in den Abgrund treibt; ein brutal unterdrückter Aufschrei nach Autonomie und Freiheit in Tibet; ein neuer Krieg im Kongo mit erschütternden Zeugnissen vergewaltigter Frauen; alte Kriege in Afghanistan, Sudan, Somalia, Sri Lanka, Tschetschenien und im Heiligen Land; Georgien lässt in Südossetien die Muskeln spielen, Russland antwortet mit Krieg.
Aber auch: Wenigstens im georgisch-russischen Konflikt greift EU-Europa friedensvermittelnd ein. In Indien proestieren Zehntausende Christen, Hindus, Muslime und Sikhs gegen die Gewalt an Christen. Muslime und Christen suchen einen neuen Dialog; auf einer Konferenz in Rom verurteilen beide Seiten Gewalt im Namen Gottes. Serbien liefert den Kriegsverbrecher Ratko Mladic aus und rückt näher an die EU. Im Kosovo und Darfur übernimmt die EU „Sicherheitsaufgaben“. Papst Benedikt fordert vor der UNO und beim Weltjugendtreffen in Sydney eine neue Globalisierung, die auf Solidarität, Gerechtigkeit und Umweltverantwortung baut.

Impuls

Alles hat seine Stunde, für jedes Geschehen gibt es eine Zeit.
Aber keine Zeit, um die Hände in den Schoß zu legen, den Mut sinken zu lassen, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen und den Mächtigen klein beizugeben.

Vieles bleibt zu tun, um die Schwachen aufzurichten, Verwundetes zu heilen, die Schäden zu beseitigen, Vorurteile und Hass mit Begegnung und Versöhnung zu überwinden.
Vieles bleibt zu tun, damit eine neue Gesinnung der Verantwortung um sich greift und die Einsicht Platz gewinnt, dass wir alle in einem Boot sitzen und aufeinander angewiesen sind. Beginnen wir bei uns.

Auf ein gutes neues Jahr.